Sie warf den von Kapuze und Schleier verhüllten Kopf zurück.
»Solltest du frei sein, zeige mich wegen meiner Unverschämtheit bei den Wächtern an, damit sie mich wegen meiner Unverfrorenheit auspeitschen, aber wenn du meine Litsia bist, entferne die Kapuze und den Schleier.«
Mit einer fast schon hoheitsvollen Resignation gehorchte sie.
»Sie ist hübsch!« rief Marcus aus. Andere Zuschauer schlössen sich seinem Urteil an.
»Es ist meine Litsia!« rief der Dicke, als sei er erleichtert.
Die Frau zog das Gewand ein Stück herunter, bis ihre nackten Schultern zu sehen waren. Sie hielt das Gewand vor der Brust gerafft.
»Sie trägt ja gar keinen Kragen!« rief der Schriftgelehrte vor mir. »Prügelt sie!«
Das Mädchen erbleichte kurz und ergriff das Gewand mit den kleinen Fäusten fester, aber schon im nächsten Augenblick hatte sie sich wieder gefangen und spielte ihre Rolle weiter. Es war offensichtlich, daß sie die Peitsche irgendwann einmal gespürt hatte und wußte, wie das war.
»Aber im neuen Ar respektieren wir doch unsere Sklavinnen, oder nicht?« rief der Dicke an das Publikum gewandt.
Diese Frage löste schallendes Gelächter und goreanischen Beifall aus, bei dem sich die Männer auf die linke Schulter klopften.
»Aber meine Litsia muß ein Zeichen ihrer Versklavung bei sich tragen«, fuhr er fort. »Bitte, Litsia, zeige es uns.«
Das Mädchen stieß den linken Fuß mitsamt einem hübsch geformten Unterschenkel aus dem Gewand. Um den Knöchel schmiegte sich ein schmales Fußeisen. Schnell verbarg sie Fuß und Knöchel wieder unter dem Gewand.
»Zeig uns doch etwas mehr, Litsia«, bat der Dicke.
Litsia öffnete das Seidengewand, ging leicht in die Knie, drehte den Kopf geziert zur Seite und behielt die Pose einen kurzen Moment lang bei.
»Sie ist wunderschön!« sagte Marcus.
»Ja!« stimmte ich ihm zu.
»Mit einem solchen Körper ist das bestimmt eine Sklavin der zweiten Generation.«
»Nein«, sagte ich. »Sie war eine freie Frau, aus Asperiche.«
Marcus warf mir einen überraschten Blick zu.
»Ja«, bekräftigte ich meine Worte.
»Bist du sicher?«
»Ja.«
»Interessant.«
Das Mädchen trug lediglich eine sittsame Sklaventunika. Sie hüllte sich wieder in das Gewand, warf den Kopf zurück und blickte das Publikum geringschätzig an. Buhrufe ertönten. Das war kein Benehmen für eine Sklavin.
»Es gibt Leute, die sind der Meinung, ich hätte sie verwöhnt«, sagte der Dicke.
Litsia streckte die Hand aus, und ihr Herr führte sie zurück zur Sänfte. Sobald sie darin Platz genommen hatte, hob man sie in die Höhe.
Die Sänfte befand sich eindeutig vom Boden entfernt. Man konnte die Vorhänge des Bühnenhintergrunds genau sehen.
»Ich verlasse mich darauf, daß du heute abend nett zu mir sein wirst!« sagte der Dicke zu der schlanken Schönheit in der Sänfte.
Sie würdigte ihn keiner Antwort.
Er schloß die Vorhänge der Sänfte. Sie schwebte weiter in der Luft, gehalten von den Trägern.
»Findet ihr, daß ich zu nachsichtig mit ihr umgehe?« fragte der Dicke das Publikum.
Zustimmende Rufe ertönten.
»O je!« rief daraufhin der Dicke, blickte geknickt zum Himmel und schüttelte wütend und hilflos beide Fäuste. »Wäre ich doch nur nicht ein so hingebungsvoller Anhänger des neuen und wunderbaren Ars!«
Die Zuschauer lachten.
Ich ging davon aus, daß sich ein Großteil der Abneigung gegenüber der neuen Regierung an Orten wie diesem hier Luft machte. Man hatte einige Theater wegen der beleidigenden Art solcher Satire oder Kritik geschlossen. Zwei waren niedergebrannt worden. Der Mann auf der Bühne schien sich innerhalb der akzeptablen Grenzen zu bewegen, wenn auch nur so gerade eben. Außerdem war es zweifellos weitaus weniger gefährlich als noch vor einigen Wochen, sich solchem Humor hinzugeben. Die Regierung war klug genug gewesen, die angestrebte ›Entmannungspolitik‹, die ja nicht über das Planungsstadium hinausgekommen war, zurückzunehmen. Sie hatte die Entdeckung machen müssen, daß die Bürger der Stadt ihre Männlichkeit niemals aufgeben würden, selbst dann nicht, wenn man sie dafür mit Lob überhäufte. Man hatte Aufruhr und Revolution gerade noch eben abwenden können. Trotzdem war es durchaus möglich, daß sich Spione in der Vorstellung befanden. Ich bezweifelte, daß der Dicke bei den Behörden besonders beliebt sein würde.
»Wenn mir doch nur ein Magier bei meinem Dilemma helfen könnte!« schluchzte er.
»Hüte dich!« rief der Bauer aufgebracht.
»Ja, genau, hüte dich«, rief der Schriftgelehrte lachend.
»Wenn doch nur ein Magier meine Litsia wegzaubern würde, und sei es nur für einen Augenblick, und ihr beibrächte, wie sich eine Sklavin zu benehmen hat!«
Wieder lachten ein paar der Männer. Eines mußte man dem Dicken lassen. Er machte seine Sache gut.
»Aber natürlich gibt es keine Magier!«
»Hüte dich!« rief der Bauer, der sich von der Vorstellung so sehr mitreißen ließ. »Hüte dich, es könnte dich einer hören!«
»Ich glaube, ich spreche mit ihr und bitte sie, eine bessere Sklavin zu sein!« sagte der Dicke.
Die Sänfte wurde noch immer von den vier Trägern über dem Boden gehalten. Die Vorhänge waren zugezogen.
Das Publikum war nun ganz still.
Der Dicke riß die Vorhänge zurück.
»Sie ist weg!«
Wieder konnte man durch die offene Sänfte den Bühnenhintergrund sehen.
Die vier Männer mit den Turbanen trugen die Sänfte ungerührt von der Bühne, so als wäre nichts Ungewöhnliches geschehen.
Die Zuschauer unterhielten sich aufgeregt miteinander.
Ich klopfte mir auf die linke Schulter, um dem Magier zu applaudieren.
Andere waren meinem Beispiel gefolgt.
Der Dicke verbeugte sich mehrmals. »Ich glaube, es gibt nur eine Möglichkeit, meine Sklavin wiederzubekommen!« vertraute er dann dem Publikum an. »Aber ich fürchte mich, sie zu ergreifen!«
»Warum?« rief der Metzger.
»Weil« – der Dicke wandte sich mit einem weittragenden Bühnenflüstern an den Fragesteller – »ich Magie benutzen müßte!«
»Und wenn schon!« rief der Schriftgelehrte.
Der Dicke legte einen Zeigefinger an die Lippen und dachte sichtlich angestrengt nach. »Da gibt es einen Weidenkorb«, sagte er dann. »Ein Mann aus Anango überließ ihn mir.«
Einige Zuschauer keuchten auf. Die Magier von Anango sind auf ganz Gor berühmt. Will man jemanden in eine Kröte verwandeln lassen, sind das die richtigen Leute, an die man sich wenden muß. Sicher, ihre Arbeit ist nicht billig. Die einzigen, die meines Wissens noch nie von den Magiern gehört haben, sind natürlich die Bewohner des weit entfernten Anango.
»Aber er muß ja kein Magier gewesen sein«, sagte der Dicke nachdenklich.
»Aber vielleicht war er doch einer«, rief ein aufgeregter Zuschauer.
»Das ist wahr!« sagte der Dicke.
»Es ist einen Versuch wert«, sagte der Kaufmann.
Der Dicke blickte ihn zweifelnd an. »Glaubst du nicht, daß er etwas dagegen hätte?«
»Nein«, sagte der Metzger. Ich fragte mich, woher er das so genau wußte.
»Aber er könnte doch derjenige sein, der sie fortgezaubert hat«, meinte der Metzger.
»Vielleicht will er ja, daß du den Korb benutzt, um sie zurückzuholen«, rief ein Schmied.
»Er hat gesagt, er sei mein Freund«, sagte der Dicke.
»Hol den Korb!« rief der Metzger.
»Holt den Korb!« rief der Dicke entschlossen seinen Kameraden hinter der Bühne zu.
Zwei der Sänftenträger, die nun aber keine Turbane mehr trugen, traten von rechts auf die Bühne und schleppten zwei Böcke heran, die sie anderthalb Meter voneinander entfernt in der Bühnenmitte aufstellten. Im nächsten Augenblick traten die anderen beiden Sänftenträger – ebenfalls ohne Turban, da diese Verkleidung nun nicht mehr erforderlich war – auf die Bühne und trugen einen langen Weidenkorb, dessen Länge etwa zwei Meter und dessen Höhe und Breite jeweils etwa einen Meter betrugen. Sie luden ihn auf den Holzböcken ab. Man konnte unter dem Korb hindurchblicken. Er befand sich voll im Blickfeld der Zuschauer.