»Die Sklavin wurde also in dem verschlossenen Korb auf die Bühne getragen, dann wurde ihr Körper irgendwie an der Rückwand befestigt.«
»An Schlaufen«, erklärte ich.
»Sie hing also an der Rückseite, vom Publikum abgewendet, als der Korb geöffnet wurde?«
»Ja.«
»Und wurde zurück in den Korb befördert, als der Dicke die Rückseite wieder hochklappte?«
»Ja. Und als sie wieder in dem verschlossenen Korb war, konnte sie, da sie trotz des Siriks über genügend Bewegungsfreiheit verfügte, die Schlaufen entfernen und sie in einem eigens dafür in den Boden eingelassenen Schacht verstecken.«
»Dann handelte es sich nicht um Magie?«
»Nein, es war keine Magie.«
»Aber es hätte welche sein können! Selbst wenn man dies alles so einfach mit ein paar Tricks hätte zustande bringen können, beweist das doch noch lange nicht, daß es auch so war.« Marcus konnte so stur sein.
»Ich habe diesen Korb mit eigenen Augen gesehen«, sagte ich. Das hatte ich tatsächlich, vor einigen Monaten in einem der Wagen des Dicken. Ich hatte sogar zu meinem eigenen Vergnügen damit herumgespielt.
»Aber das beweist nicht, daß er auch auf diese Weise benutzt wurde!« beharrte Marcus.
»Würdest du denn dem Zauberkünstler glauben, wenn er dir zeigt, wie er es gemacht hat?«
»Er könnte mir zeigen, wie man es macht, aber nicht, wie er es gemacht hat«, sagte Marcus. »Er könnte mich anlügen, um seine geheimnisvollen Kräfte vor mir zu verbergen.«
»Nun, daran habe ich nicht gedacht.« Der Gedanke war mir tatsächlich noch nie gekommen. »Ich schätze, du hast recht.«
Marcus ging eine Zeitlang schweigend neben mir her. Plötzlich rief er wütend: »Dieser Scharlatan! Dieser Betrüger!«
»Bist du wütend?«
»Das sind alles nur Kunststücke, einfache Tricks!«
»Aber es sind gute Tricks!«
»Nichts als Taschenspielereien!«
»Ich glaube nicht, daß er je behauptet hat, es wäre etwas anderes.«
»Man sollte ihn in siedendes Öl werfen«, rief Marcus.
»Das scheint mir etwas zu hart zu sein.«
»Zauberkunststücke!« sagte Marcus.
»Ich sehe das etwas anders als du, denn ich bewundere diese Kunststücke eben deshalb, weil ich weiß, wie raffiniert sie sind. Ich würde sie bestimmt weniger zu schätzen wissen, wenn ich sie lediglich als die Manifestation einer ungewöhnlichen Macht ansähe, die es, sagen wir, genauso ermöglicht, Menschen in Schildkröten zu verwandeln.«
»Schon möglich.«
»Ganz bestimmt sogar.«
»Ich möchte keine Schildkröte sein«, sagte Marcus.
»Hoffen wir also, daß es keine Männer gibt, die solche Wunder bewerkstelligen können.«
»Das ist wahr.«
»Denn gäbe es ›echte‹ Magie, so wie du sie verstehst, sähe die Welt vermutlich ganz anders aus.«
»Es würde bestimmt viel mehr Schildkröten geben.«
»Das ist durchaus möglich.«
Ich hatte nicht den geringsten Zweifel, daß mit den wissenschaftlichen Errungenschaften der Priesterkönige viele derartige Effekte durchaus machbar waren. Das gleiche lag auch im Bereich mehrerer Wissenschaften der Kurii. Aber solche Effekte waren rational erklärbar, zumindest für diejenigen, denen das nötige Wissen zur Verfügung stand; Effekte, die die Früchte ungewöhnlicher Wissenschaften und Technologien waren. Ich hielt es nicht für angebracht, Marcus von solchen Dinge zu erzählen. Wie wunderbar und unerklärlich mußte einem Wilden ein Streichholz erscheinen, oder ein Spiegel, ein Tennisball oder gar ein Schokoriegel.
»Die Sklavin war also gar nicht in Anango!« rief er plötzlich.
»Nein«, sagte ich. »Vermutlich nicht.«
»Aber das hat sie behauptet oder es zumindest so erscheinen lassen!« stellte er fest. »Sie ist also eine Sklavin, die gelogen hat, und sollte darum bestraft werden.«
»Jetzt hör aber auf«, empörte ich mich. »Sie hat ihre Rolle gespielt. Sie hat sich vergnügt, wie alle anderen auch. Und sie ist eine Sklavin. Was sollte sie denn deiner Meinung nach sagen? Die Wahrheit verkünden und die Vorstellung verpatzen, damit ihr Herr sie auspeitscht?«
Marcus nickte finster. »Ja«, sagte er. »Es ist ihr Herr, dem man den Vorwurf machen muß.«
»Ich hoffe, du kommst mit ihm zurecht.«
»Was?« rief der junge Krieger aufgebracht.
Ich nickte. »Ja. Ich würde sogar vorschlagen, daß du nett zu ihm bist.«
»Warum?« fragte Marcus.
»Weil er derjenige sein wird, der dir den Heimstein von Ar-Station besorgt.«
17
»Da sind wir.«
»Was ist das für ein Ort?« fragte Marcus.
Die Ausgangssperre war schon seit langem in Kraft, doch dank unserer Armbinden, die uns als Hilfswächter kennzeichneten, hatten wir keine Probleme, sie zu umgehen. Bei jeder Kontrolle kontrollierten wir zuerst die anderen. Und sobald man unsere Fragen zufriedenstellend beantwortet hatte, gaben wir freiwillig unsere Namen und unsere Aufträge preis, die wir natürlich stets verschiedenen Befehlshabern zuschrieben. Sollten später Berichte verglichen werden, womit ich nicht rechnete, würden einige Offiziere bestimmt überrascht sein, wenn sie erfuhren, wie viele Hilfswächter mit verschiedenen Aufträgen in der Nacht unterwegs waren.
»In diesem insula residieren der Große Renato und seine Truppe!« sagte ich.
»Der Magier?«
»Ja.« Ich hatte vor Verlassen des Theaters die nötigen Erkundigungen eingeholt, während Marcus draußen auf mich wartete und über die miterlebten Wunder nachgrübelte.
»In einem solchen Loch würde ich nicht einmal die angekettete Ubara einer eroberten Stadt halten.«
»Aber sicher würdest du das tun.«
Er mußte grinsen. »Na ja, vielleicht«, gab er zu.
Manche sind der Meinung, solche Frauen sollten schnell für den Kragen vorbereitet werden, während andere finden, daß man sich damit viel Zeit lassen sollte.
»Nicht alle Theaterleute leben so gut, wie sie sollten«, sagte ich.
»Anscheinend können sie doch keine Goldstücke herbeizaubern.«
»Nicht ohne vorher mindestens ein Goldstück zu haben«, sagte ich.
»Sich das zu verdienen dürfte zweifellos das schwierigste Kunststück von allen sein.«
»Ganz genau«, sagte ich. »Laß uns reingehen.«
Ich drückte die schwere Tür auf. Sie hing nur an der oberen Angel und war nicht verriegelt. So wie es aussah, rechnete man offenbar nicht damit, daß jeder Mieter vor Beginn der Ausgangssperre zurück war. Aber vielleicht waren der Besitzer oder sein Verwalter einfach nur nachlässig in Dingen der Sicherheit. Der Hausflur und der Fuß der Treppe wurden vom Schein einer winzigen Tharlarionöllampe erhellt.
»Puh!« sagte Marcus.
Wie üblich in den insulae stand am Fuß der Treppe ein riesiges Exkrementefaß, in das die vielen kleinen Nachttöpfe der vielen winzigen Wohnungen des Gebäudes entleert wurde. Man transportiert diese Fässer mit Karren zu den Carnaria und entsorgt sie dort. Zwar hat Ar eine Kanalisation, aber die gibt es nur in den Bezirken der Reichen. Die insulae sind Mietskasernen.
Marcus sagte: »Das hier ist ein Schweinestall!«
»Beleidige nicht den Bauernstand«, sagte ich. »Der Heimstein ruht auf dem Ochsen.« Thurnock, einer meiner besten Freunde, war ein Mitglied jenes Standes.
Nicht jedermann trifft das große Faß mit der nötigen Sorgfalt. Faule Mieter oder Leute, die ihre Treffsicherheit testen wollen, versuchen es von einem höheren Treppenabsatz. Den Magistratsverordnungen zufolge sollen die Fässer abgedeckt werden, aber gegen diese Verordnung wird sehr oft verstoßen. Manchmal erleichtern sich Kinder auch im Treppenhaus. Es gibt da sogar ein Spiel; Gewinner ist derjenige, der die meisten Stufen beschmutzt.
»He, wer ist da?« fragte eine unangenehme Stimme vom Treppenabsatz her. Wir blickten in einen schwebenden Lichtschein, der von einer hochgehaltenen Laterne ausging.