»Ich verstehe.«
»Hast du Angst?«
Er sah mich ungläubig an. »Natürlich nicht!«
»Es ist eine sehr gefährliche Sache«, sagte Marcus grimmig.
Ich hoffte, daß Marcus ihn nicht entmutigte.
»Ich weiß, daß du immer behauptet hast, ein großer Feigling zu sein, und bei jeder sich bietenden Gelegenheit auch so handelst«, sagte ich, »aber ich habe vor langer Zeit den leichtsinnigen Helden entdeckt, der sich hinter dieser durchtriebenen Pose verbirgt.«
»Du bist sehr scharfsichtig.«
»Darauf wäre ich nie gekommen«, sagte Marcus ehrfurchtsvoll.
»Du bist interessiert?« sagte ich. Ich wußte genau, daß ich sein Interesse geweckt hatte. »Möchtest du wissen, worum es geht?«
»Wenn es in Ar fünfzig Männer gibt, die den Auftrag erledigen könnten, warum fragst du nicht sie? Oder hast du sie schon gefragt?«
»Nein«, erwiderte ich. »Und du bist der einzige dieser Männer, die ich kenne. Außerdem bist du mein Freund.«
Renato ergriff gerührt meine Hand. Dann drehte er sich um.
»Wohin gehst du?«
»Nach oben, ins Bett«, sagte er. »Telitsia dürfte mittlerweile nach mir stöhnen.«
»Aber du hast dir doch unserer Vorhaben noch gar nicht angehört.«
»Ist dir klar, was mein Tod für die Kunst bedeuten würde?«
»Unter diesem Gesichtspunkt habe ich es noch nicht betrachtet«, mußte ich zugeben.
»Willst du, daß es mit der Kunst einer ganzen Welt bergab geht?«
»Nein.«
»Ich wünsche dir alles Gute.«
»Laß ihn gehen«, sagte Marcus. »Er hat recht. Unser Vorhaben ist keine Aufgabe für einen einfachen Sterblichen. Ich war nur damit einverstanden, daß wir das Thema überhaupt zur Sprache bringen, weil ich noch immer glaubte, er sei ein echter Magier.«
»Was?« fragte Renato und drehte sich ruckartig um.
»Nichts«, sagte Marcus.
»Was habt ihr vor, das so schwierig ist, daß nicht einmal einer wie ich es schaffen könnte?«
»Das gilt nicht nur für dich, sondern für jeden gewöhnlichen Mann«, sagte Marcus.
»Ich verstehe«, sagte Renato.
Marcus erwiderte seinen Blick. »Entschuldige. Ich wollte dich nicht beleidigen.«
»Marcus hat natürlich recht«, sagte ich plötzlich. »Kein normaler Mensch könnte hoffen, diese Aufgabe zu vollbringen. Sie würde Genialität, Schneid, Einfühlungsvermögen, Fingerfertigkeit, ja, sogar Schauspielkunst verlangen. Nur ein wahrer Meister könnte sie durchführen. Ach, was sage ich, der Meister aller Meister.«
»Und wofür hältst du mich?« fragte Renato. »Ich bin ein Meister, ich verfüge über eine gewaltige Ausdruckskraft, sie reicht von einem Horizont des Theaters zum anderen. Ich beherrsche ein nuanciertes Spiel, das alle anderen nur beschämen kann.«
»Tatsächlich?« fragte Marcus.
»Aber natürlich«, sagte Renato.
»Eigentlich brauchten wir ja eine Armee.«
»In meiner Jugend war ich eine Ein-Mann-Armee!« sagte Renato. Beim goreanischen Theater wird die Armee meistens durch den Schauspieler repräsentiert, der hinter einem Offizier das Banner trägt.
»Willst du, daß Ar dem cosischen Joch entflieht?« fragte ich.
»Aber sicher.«
»Ist dir bekannt, daß sich Ar weigerte, Ar-Station zu helfen, und daß Ar-Stations Loyalität es seine Mauern und seinen Heimstein kostete?«
Renato nickte. »Das weiß ich, auch wenn ich es nicht wissen dürfte.«
»Ar hat Ar-Stations Mut und Ausdauer viel zu verdanken.«
»Ja, stimmt.«
»Würdest du gern einen Teil der Schuld begleichen, die diese Stadt Ar-Station schuldet?«
»Sicherlich.«
»Und würdest du mit deiner Truppe eine Reise in den Norden unternehmen, eine Reise, die dich am Ende nach Port Cos bringt, in die Stadt am Nordufer des Vosk?«
»Leben dort treue Freunde des Theaters?«
»Es ist eine reiche Stadt.«
»Also treu genug«, sagte er.
»Eine Stadt, in der man euch nach der erfolgreichen Vollendung dieser Aufgabe wie Helden feiern wird«, sagte ich.
»Wir sind bereits Helden«, meinte Renato. »Wir werden allerdings nicht dementsprechend gefeiert.«
»Wenn du diesen Auftrag übernimmst, dann bist du wirklich ein Held.«
»Port Cos?« fragte er nachdenklich.
»Ja.«
»Dort haben sich doch die Überlebenden aus Ar-Station angesiedelt, nicht wahr?«
»Viele von ihnen.«
»Was hast du vor?«
»Die Deltabrigade läßt in Ar wieder Mut und Stolz aufleben«, sagte ich. »Die Regierung, nun ein Teil der cosischen Hegemonie, will die Brigade diskreditieren, indem sie der öffentlichen Meinung einreden will, sie habe etwas mit Ar-Station zu tun, das die Bürger zu hassen und zu verabscheuen gelernt haben.«
»Das war mir schon seit einiger Zeit klar«, sagte Renato.
Ich nickte. »Glaubst du, daß die meisten Bürger mittlerweile glauben, Ar-Station sei für die Brigade verantwortlich?«
»Nein«, sagte er. »Die einhellige Meinung lautet, daß es eine Organisation aus Veteranen des Deltas ist.«
»Was, glaubst du, würde geschehen, wenn der Heimstein von Ar-Station vor der Nase der Behörden verschwände?«
»Ich weiß es nicht«, sagte er nachdenklich, »aber ich vermute, alle würden denken, daß die Deltabrigade, die Veteranen, ihn gerettet hätten, was die offizielle Propaganda Lügen strafen würde, und die Tatsache, daß die Brigade zugunsten von Ar-Station handelt, könnte es möglicherweise in den Augen der Bürger rehabilitieren. Zumindest würde das Verschwinden des Steins die Regierung und Cos in Verlegenheit bringen und Zweifel an ihrer Tüchtigkeit wecken. Also könnte sein Verlust ihre Herrschaft unterminieren.«
»Das denke ich auch.«
»Du möchtest, daß ich für dich den Heimstein von Ar-Station besorge?«
Ich schüttelte den Kopf. »Für Ar«, erwiderte ich. »Für Ar-Station, für die Bürger von Ar-Station, für Marcus.«
Renato schwieg. »Nein«, sagte er dann.
»Wie du willst.« Ich trat einen Schritt zurück. Ich verspürte nicht den Wunsch, ihn zu bedrängen. Genausowenig wie Marcus.
»Du hast mich getäuscht.«
»Das tut mir leid.«
»Du hast mir gesagt, die Aufgabe sei schwierig, gefährlich«, sagte er verächtlich.
Ich war verblüfft.
»Ist dir bekannt, daß der Stein in der Öffentlichkeit zur Schau gestellt wird?« fragte er. »Jeden Tag eine Ahn lang?«
Ich nickte.
»Er ist allen zugänglich!«
»In gewisser Weise.«
»Er wird keineswegs in einem Turm unter Verschluß gehalten, von einem Burggraben voller Haie umgeben, hinter zehn Eisentüren versteckt, umringt von tödlichen Osts, wilden Sleen und fauchenden Larls.«
»Nein«, erwiderte ich. »Meines Wissens nicht.«
Renato sagte: »Ich werde es nicht tun!«
»Ich mache dir deshalb keinen Vorwurf.«
»Hast du eine so niedrige Meinung von mir?«
»Wie kommst du darauf?« fragte ich überrascht.
»Du bittest mich – mich, so etwas zu tun?«
»Wir hatten gehofft, du würdest es dir überlegen«, gab ich zu.
»Niemals!«
»Ganz wie du willst.«
»Was seid ihr beiden doch nur für niederträchtige Schurken!« sagte Renato ärgerlich.
»Was?« Ich verstand nicht, worauf er eigentlich hinauswollte.
»Es ist zu einfach!« sagte er. »Das ist meiner nicht würdig! Eine Beleidigung meiner Fähigkeiten! Das ist keine Herausforderung!«
»Es ist zu einfach?« wiederholte ich.
»Würdest du zu einem Meisterchirurg gehen, um dir eine Warze entfernen zu lassen?«
»Nein«, mußte ich zugeben.
»Zu einem Baumeister, um eine Tür einsetzen zu lassen?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Zu einem Schriftgelehrten, um dir die Bekanntmachungen auf den Anschlagtafeln vorlesen zu lassen?«
»Nein!« sagte Marcus. Ich schwieg.
Schließlich sagte ich: »Damit wir uns nicht mißverstehen: Du glaubst, diese Aufgabe sei zu einfach?«
»Aber natürlich«, erwiderte er. »Hier geht es doch um nichts weiter als um einen einfachen Austausch.«