»Glaubst du, du könntest es schaffen?« fragte Marcus begierig.
»Jeder könnte das schaffen«, antwortete Renato ärgerlich. Er verstummte. »Mir fällt da zumindest ein Mann ein, aus Turia«, sagte er dann.
»Aber das ist in der südlichen Hemisphäre.« Diese Bemerkung konnte ich mir nicht verkneifen.
»Da hast du auch wieder recht.«
»Dann tust du es?«
»Ich werde mir den Stein vorher genau ansehen müssen«, sagte er. »Aber das ist kein Problem. Ich werde morgen hingehen und ihn beschimpfen.«
Marcus versteifte sich.
»Das ist nötig«, sagte ich an ihn gewandt. »Er tut nur so.«
»Dann«, fuhr Renato fort, »sobald ich meinem Gedächtnis jede seiner Einzelheiten anvertraut habe, werde ich ein Duplikat anfertigen.«
»Du kannst dir alle Einzelheiten merken?« fragte ich.
»Mit einem Blick«, versicherte er mir.
»Bemerkenswert.«
»Einen Verstand wie den meinen gibt es jedes Jahrhundert nur ein- oder zweimal.«
Marcus fehlten die Worte, so überwältigt war er.
Renato wandte sich an ihn. »Junge, bist du mit dem Stein gründlich vertraut?«
Marcus nickte.
»Gut«, sagte Renato.
»Warum ist das gut?« fragte ich.
»Nur für den Fall, daß ich seine Farbe vergesse oder dergleichen.«
Ich nickte nachdenklich. Dann sagte ich: »Dir ist doch klar, daß der Stein unter ständiger Bewachung steht?«
»Schon, aber nicht in der Viertelihn, die ich brauche.«
»Du wirst es mit Hilfe eines Ablenkungsmanövers machen?«
»Es sei denn, du hast eine bessere Idee – oder siebzig bewaffnete Männer?«
»Nein«, sagte ich.
»Dort werden viele Wächter sein«, sagte Marcus.
»Ich arbeite am besten vor einem Publikum.«
Das bezweifelte ich nicht. Andererseits machte er mich etwas nervös. Ich hoffte, daß er kein zu großes Spektakel veranstalten würde. Es kam allein darauf an, den Stein zu holen, ihn aus der Stadt und falls möglich nach Port Cos zu schaffen.
»Bürger!« sagte Marcus.
»Ja, mein Junge?« fragte Renato der Große.
»Selbst wenn du bei diesem Unternehmen versagen und eines schrecklichen Todes sterben solltest, will ich, daß du eines weißt: der Dank Ar-Stations ist dir gewiß!«
»Danke«, sagte Renato. »Das finde ich rührend.«
»Oh, nicht doch, das ist doch selbstverständlich«, versicherte ihm Marcus.
»Nein, nein!« sagte Renato. »Sollten die Folterbank, rotglühende Eisen und brennende Zangen mein Schicksal sein, werde ich darin Trost finden.«
»Du bist der mutigste Mann, den ich je kennengelernt habe!« sagte Marcus.
Renato sah mich an. »Es scheint, als sei meine kunstfertig vorgetäuschte Furchtsamkeit, die ich mein ganzes Leben lang kultiviert habe, heute abend zweimal durchschaut worden.«
»Willst du den Heimstein mit Magie oder durch einen Zaubertrick in deinen Besitz bringen?« wollte Marcus wissen.
»Da habe ich mich noch nicht entschieden«, sagte Renato. »Was wäre dir lieber?«
»Falls es dich nicht in größere Gefahr bringt«, sagte Marcus entschlossen, »würde ich den Zaubertrick vorziehen, ein ganz und gar menschliches Betrugsmanöver.«
»Ganz meine Meinung«, erwiderte Renato. Er zwinkerte mir zu. »Und was meinst du?«
Ich zuckte nur mit den Schultern.
»Mit einem Zaubertrick überlisten wir Ar«, sagte Marcus todernst. »Wir halten sie zum Narren, erreichen unser Ziel innerhalb der Regeln, gewinnen auf ehrliche Weise!«
»Das ist wahr«, sagte Renato. »Ich habe für die Magier, die in der Sicherheit ihrer Schloßtürme bleiben, ihre Zauberbücher konsultieren, ihre Zaubersprüche aufsagen, ihre Zauberstäbe schwingen und dann wertvolle Gegenstände verschwinden lassen, nichts als Verachtung übrig. Da ist doch kein Wagnis dabei, keine Ehre! Das ist keine saubere Sache. Nein, es ist Betrug.«
Marcus nickte mit glänzenden Augen. »Ja, es wäre Betrug!«
Renato strahlte. »Du hast mich überzeugt! Ich werde einen Zaubertrick benutzen und keine Magie!«
»Ja!« sagte Marcus.
»Es ist gefährlich«, erinnerte ich Renato.
»Eigentlich nicht«, erwiderte er.
»Das ist mein Ernst.«
»Wäre ich der Meinung, daß auch nur ein Hauch von Gefahr dabei wäre, glaubst du, ich würde dieses Unternehmen auch nur in Betracht ziehen?«
»Ja, das glaube ich.«
»Es kommt doch auf den Mann an, der es versucht«, sagte Renato. »Würdest du es versuchen und dich dabei auf deine Fingerfertigkeit und Geschicklichkeit verlassen, wäre es in der Tat eine gefährliche Sache, sogar absolut verhängnisvoll. Ich glaube, ich würde noch am Vorabend die Folterbank vorbereiten lassen. Aber ich versichere dir, für mich ist das gar nichts, nicht mehr als ein Niesen.«
»Er ist ein Magier«, erinnerte Marcus mich.
»Aber er will es mit einem Taschenspielertrick machen«, erwiderte ich leicht gereizt.
»Das ist wahr«, sagte Marcus nachdenklich.
»Würdest du bitte draußen auf mich warten?« bat ich ihn.
»Aber sicher«, sagte der junge Krieger sofort und verließ das Haus.
»Ein netter Junge«, sagte Renato.
»Mit dem Unternehmen sind ernsthafte Risiken verbunden.«
»Für dich vielleicht, für mich nicht.«
»Wir haben Gold.«
»Fällt dir nichts anderes ein als der vergebliche Versuch, mir diesen Reichtum aufzuzwingen, selbst gegen meinen Willen?«
»Ich möchte, daß du zumindest darüber nachdenkst.«
Er schürzte die Lippen. »Das ist das mindeste, was ich für einen Freund tun kann«, sagte er dann.
»Es dürfte dabei helfen, die Kosten der Truppe im Norden zu decken.«
»Es handelt sich also um eine Spende für die Kunst?«
»Aber sicher.«
»Und du wärst ernsthaft beleidigt, falls ich sie abschlagen würde?«
Ich nickte mit ausdruckslosem Gesicht.
»Unter diesen Bedingungen läßt du mir keine andere Wahl.«
»Großartig«, sagte ich.
»Die Summe überlasse ich natürlich deiner wohlbekannten Großzügigkeit.«
»Wie du willst.«
»Natürlich sollte sie angemessen sein, da du der Patron bist und im Gegensatz zu mir die Risiken genau kennst.«
»Soviel Gold gibt es auf ganz Gor nicht«, sagte ich.
»Tatsächlich?«
»Ja.«
»Dann hoffe ich, daß meine Einschätzung der Risiken wesentlich zutreffender als die deine ist.«
»Das hoffe ich auch, von ganzem Herzen sogar.«
Renato dachte nach. »Hm. Findest du, daß ein ganzes Goldstück, sagen wir, ein Stater oder eine Tarnscheibe, zuviel für ein Unternehmen wäre, das die Kunst fördern soll?«
»Überhaupt nicht.«
»Und was ist mit zwei Goldstücken?«
»Das wird zu machen sein.«
»In diesem Fall kannst du dem jungen Mann seinen Geldbeutel zurückgeben.« Er gab mir Marcus’ Geldbeutel. Ich tastete sofort nach meinem. Er hing noch da, wo er hängen sollte.
»Es ist noch alles da«, versicherte er mir.
»Gut.« Marcus und ich trugen nie viel Geld mit uns. »Sei vorsichtig«, sagte ich dann.
»Wäre ich nicht vorsichtig, gäbe es mehr als nur elf auf mich ausgestellte Haftbefehle und es wüßten mehr als zweiundzwanzig Geldverleiher, wo ich zu finden bin.«
Darauf wußte ich keine Antwort.
»Ich muß jetzt nach oben und Telitsia zufriedenstellen. Seit sie eine Sklavin ist, hat sie mit der freien Frau, die du kanntest, nicht mehr viel gemeinsam.«
»Da bin ich mir sicher«, sagte ich. Ich streckte die Hand aus. »Ich wünsche dir alles Gute.«
»Ich wünsche dir alles Gute«, sagte er. Dann drehte er sich um und stieg die Treppe hinauf. Ich verließ das Haus.
»Weißt du, wer das war?« fragte ich Marcus, der auf dem Bürgersteig auf mich wartete.
»Ein Magier.«
»Hier ist dein Geldbeutel.«
»Aii«, sagte Marcus und griff zu seinem Gürtel.
»Angeblich fehlt nichts.«
»Er ist fortgezaubert worden«, sagte Marcus.
Ich schüttelte den Kopf. »Manchmal glaube ich, seine Finger sind flinker, als es für ihn gut ist.«
»Nein«, beharrte Marcus. »Ich habe nichts davon bemerkt. Das war Magie. Er ist ein echter Magier.«