Auch darauf gab ich keine Antwort.
»Wie konnte er nur etwas derartig Dummes, Kompromittierendes, völlig Verrücktes tun?«
»Vielleicht hat ihn ein flüchtiger Blick auf die Schönheit der Herrin sämtlicher Zurückhaltung beraubt«, flüsterte ich.
Das schien sie zu interessieren. »Sprich!« befahl sie mir.
»Er hat Vorstellungen im Zentralzylinder gegeben«, sagte ich. »Lesungen und dergleichen. Vielleicht hat ihn bei einer dieser Gelegenheiten die Stimme der Herrin bezaubert – selbstverständlich ohne daß sie etwas dafür konnte –, wie das Lied der Veminiumvögel. Oder es waren ihre Anmut und Ausstrahlung, das Ergebnis von tausend Generationen vererbter Eleganz. Vielleicht ist auch für einen kurzen Augenblick der Schleier der Herrin verrutscht, natürlich völlig unabsichtlich, und er hatte das Pech, einen Blick auf ihre Gesichtszüge zu erhaschen, oder aber er sah ein Stück ihres Handgelenks zwischen Ärmel und Handschuh, oder er sah – welch beängstigende Vorstellung – unter dem Saum ihres Gewandes ihren Knöchel aufblitzen.«
»Schon möglich«, erwiderte die Ubara. Und ich hatte nicht den geringsten Zweifel, daß die königliche Schlampe ausreichend dafür gesorgt hatte, daß sich solche scheinbar zufälligen Möglichkeiten ergeben hatten.
»Weißt du, daß er mir die erste Vorstellung seines ›Lurius von Jad‹ widmete?«
Das war mir bekannt. Ich nickte.
»Man sagt, es sei seine beste Vorstellung gewesen«, fuhr sie fort.
»Ja, Herrin«, erwiderte ich.
»Und er hat mir auch noch viele andere Auftritte gewidmet.«
Ich nickte.
»Die alle als begeisternde Auftritte gefeiert wurden.«
»Ja, Herrin.«
»Ich sollte diesen Brief zerstören«, sagte die Ubara dann. »Ich sollte ihn an eine der Flammen in einer dieser winzigen Lampen halten.«
»Ja, Herrin.«
»Wenn einer der Ratsmitglieder oder Seremides oder Myron oder auch sein Herr nur einen Blick davon zu sehen bekämen, könnte es seinen Tod bedeuten!«
»Ja, Herrin«, sagte ich. Aber die Ubara machte keine Anstalten, den Brief zu zerstören, sondern faltete ihn sorgfältig zusammen und verbarg ihn unter ihrem Gewand der Verhüllung.
»Milo vergißt auf unverschämte Weise seine Stellung!« sagte sie. Aber ich glaube, sie freute sich. Dann stand sie von ihrem Stuhl auf und kam auf mich zu. »Zu welchem Haus gehörst du, Mädchen?« fragte sie.
»Ich gehöre dem Haus von Appanius«, antwortete ich, wie es mir mein Herr befohlen hatte.
»Knie gerade und heb das Kinn«, befahl sie. »Den Kopf noch weiter zurück!« Sie beugte sich herunter und überprüfte den Kragen. »LIEFERE MICH BEI APPANIUS VON AR AB«, las sie laut vor. »Eine passende Inschrift für einen Kragen«, sagte sie und erhob sich. »Passend für eine Sklavin.«
»Ja, Herrin«, erwiderte ich.
»Es ist schon unglaublich, welch ein Unterschied zwischen einer wie dir und einer wie mir besteht« staunte sie. »Wie nennt man dich?«
»Lavinia.«
»Das ist ein hübscher Name.«
»Danke, Herrin.«
»Und du bist ein hübsches Mädchen.«
»Danke, Herrin.«
»Wage es nicht, den Kopf zu senken«, fuhr sie mich an, ergriff meinen Kragen und blickte mir wütend in die Augen. »Wertloses, versklavtes Miststück!«
»Ja, Herrin!« keuchte ich erschreckt.
Plötzlich fragte sie: »Was bedeutest du Milo?«
»Nichts, Herrin!« rief ich. »Nichts!«
»Wie kommt es, daß du den Brief überbracht hast?« fragte sie. »Und wage es nicht, den Kopf zu senken.«
»Mein Herr Appanius hat mich Milo als persönliche Dienerin zur Verfügung gestellt, um sein Quartier zu säubern und für ihn Botengänge zu erledigen.«
»Und hat er dich zum Schlafen an seinem Sklavenring festgemacht?«
»Nein, Herrin!« stieß ich atemlos hervor. »Er läßt mich auf meiner Matte schlafen, in der Zimmerecke, und ich darf nie vor dem Morgen gehen!«
»Das ist lächerlich!« fauchte die Ubara. »Er hat dich nie angefaßt, in der Art der Männer?«
»Nein, Herrin!«
»Erwartest du, daß ich das glaube?«
»Ja, Herrin«, flehte ich sie an. Sie schaute mich wütend an. »Ich bin für Milo nur eine bedeutungslose Dienerin.«
»Aber du würdest gern mehr sein«, stellte sie fest.
»Bitte, Herrin, verlangt nicht, daß ich dazu etwas sage«, schluchzte ich. Da blickte sie auf mich herab und lachte, und dieses Lachen traf mich tief.
»Milo hat dich also nie angefaßt?«
»Nein, Herrin.«
»Interessant.«
»Ich fürchte, seine Gedanken gelten nur einer Frau.«
Die Ubara sah überrascht aus.
»Ja, Herrin«, sagte ich. »Und ich fürchte, allein sie ist es, der sein Herz gehört.«
»Und wer sollte das sein?«
»Vielleicht kann die Herrin es sich denken.«
Plötzlich berührte sie ihr Gewand an der Stelle, an der sie den Brief verborgen hatte. »Er ist ein Narr, einen solchen Brief zu schreiben!«
Ich schwieg.
»Sind wir die einzigen, die von diesem Brief wissen?« wollte sie dann wissen.
»Ich glaube schon, Herrin«, antwortete ich.
»Vielleicht sollte ich dir dann die Zunge herausschneiden und dir bei lebendigem Leibe die Haut abziehen lassen!«
Ich wagte nicht, darauf etwas zu sagen, und bemühte mich, mein Zittern zu unterdrücken. Schließlich sagte sie: »Du darfst den Kopf senken.«
»Danke, Herrin.«
»Was meinst du, sollten wir unseren verrückten, tollkühnen Milo verbrennen lassen?«
»Ich hoffe, daß die Herrin angesichts ihrer berühmten Schönheit und des Schadens, der allein der Gedanke daran im Herzen armer Männer anrichten kann, eher Mitleid hat und diese Unverschämtheit mit Nachsicht betrachtet.«
Die Ubara lächelte.
»Kann man es dem Morgen zum Vorwurf machen, daß ihn das Licht der Sonne erhellt, oder daß die Gezeiten den Monden unterworfen sind?«
»Eigentlich nicht«, sagte daraufhin dieses eitle, hochmütige Geschöpf. »Aber du mußt wissen, daß ich persönlich an solchen Dingen nicht im mindesten interessiert bin. Aber es gibt da eine mir bekannte Frau, die eine solche Aufmerksamkeit vielleicht nicht gänzlich unwillkommen heißen würde.«
»Herrin?« fragte ich. Ich glaube, sie dachte ernsthaft, ich würde ihr das abnehmen!
»Ich werde mich mit ihr beraten müssen«, sagte die Ubara.
»Ja, Herrin.«
»Es ist Ludmilla von Ar.«
»Aber du bist es doch, Herrin, für die der schöne Milo schwärmt wie ein liebestoller Verr«, protestierte ich und ging damit ein leichtsinniges Wagnis ein, wie ich beschämt zugeben muß.
Da lachte sie. Offensichtlich hielt sie mich für ein dummes Ding.
»Du wirst ihm den Namen Ludmilla nennen«, fuhr sie fort. »Er wird schon verstehen.«
»Und wie soll ich diese Ludmilla erkennen? Wie soll er sie erkennen?«
»Du wirst mir Bericht erstatten«, sagte die Ubara. »Alles wird allein durch mich arrangiert werden.«
»Ja, Herrin.«
»Und als erstes wirst du ihm mitteilen, daß Ludmilla ihm wegen seiner Dummheit, einen solchen Brief zu schicken, sehr böse ist und daß der Gedanke, deshalb ihr Mißvergnügen erregt zu haben, ihn vor Entsetzen zittern lassen soll.« Dann fügte sie nachdenklich hinzu: »Aber sag ihm auch, daß Ludmilla, wie es ihrer Natur entspricht, dazu geneigt ist, Nachsicht walten zu lassen, daß sie seine Not vielleicht sogar rührt.«
»Aber sollte die Herrin nicht vorher mit der edlen Ludmilla sprechen, bevor sie solche Aussagen in ihrem Namen macht?« fragte ich.
»Ich kann für sie sprechen«, erhielt ich zur Antwort.
»Ja, Herrin.«
»Sag ihm auch, daß seine Klage nicht unbedingt abschätzig aufgenommen wurde.«
»Ja, Herrin.«
»Und jetzt senk den Kopf, Sklavin!«
Ich gehorchte und hörte das Rascheln von Seide, als Würde ein Schleier entfernt.
»Du darfst wieder hinsehen.«
Und ich blickte auf und konnte nur aufstöhnen. Ich brachte kein Wort hervor, sondern starrte sie nur ehrfürchtig an. Sie war schöner, als ich es mir je hätte vorstellen können! Sie war schöner, als ich es mir hätte erträumen können!