Ich scharrte mit dem Fuß über die Pflastersteine der Gasse. Die Frau in der Sänfte mußte in der Tat sehr reich sein, Milos Begleiter zogen sich sogar zurück, damit er sich mit ihr unterhalten konnte. Ich beobachtete sogar, wie er schließlich den Kopf beugte und die Finger einer kleinen, behandschuhten Hand küßte, die zwischen den Vorhängen durchgestreckt wurde.
Das fand nun die Frau in der anderen Sänfte alles andere als erfreulich. Sie hatte nicht nur ihre Träger dabei, sondern auch noch ein paar freie Männer. Unwillkürlich fragte ich mich, ob sich die Träger im Auftrag ihrer Herrinnen auf der Straße miteinander austauschten. Vermutlich war das nicht auszuschließen.
Als Milo schließlich weiterging, wandte sich die zweite Sänfte lautlos und anmutig und auf eine Art, die mich an die witternden Bewegungen des neunkiemigen goreanischen Sumpfhais erinnerten, in seine Richtung.
Ich gab Lavinia ein ungeduldiges Zeichen.
Die Schönheit war aufgewühlt und völlig von ihren Gefühlen gefangen!
Aber das war auch nicht verwunderlich. Sie hatte sich hilflos in Milo verliebt! Was auch der eigentliche Grund dafür war, daß sie ihm in die Falle gegangen war. Als sie ihm dann kurz nach ihrer Versklavung in Appanius’ Haus begegnet war und ihn am Tisch hatte bedienen sollen, hatte sie ihm in ihrer Panik Paga über das Gewand gekippt und ihn dann auch noch berührt! Obwohl Milo nur ein Sklave war, durfte er am Tisch seines Herrn essen! Diese Information hatte mich nicht überrascht. Appanius schien viel von seinem Lieblingssklaven zu halten. Sehr viel sogar. Daß ihn eine Sklavin berührte, war ihm unerträglich. Das war auch der Grund gewesen, daß er Lavinia wutentbrannt aus seinem Haus verbannt und aufs Feld geschickt hatte. Der Grund, warum ich sie so billig erwerben konnte.
Milo und seine Begleiter gingen an mir vorbei. Unsere Blicke trafen sich kurz, dann sahen sie schnell beiseite. Einen Augenblick später war auch die zweite Sänfte vorbei und hielt weiter auf die kleine Gruppe zu. Zögernd verließ Lavinia den Schutz der Wand und nahm die Verfolgung auf. Als sie an mir vorbeikam, ergriff ich sie am Arm und zog sie auf die Seite.
»Was ist los mit dir?«
»Ich warte auf meine Gelegenheit, Herr!« erwiderte sie, ohne mich anzusehen, da ihr Blick der Gruppe folgte. Ich ließ sie los. Es war sinnlos, auf sie wütend zu sein. Die Sklavin hatte bis jetzt noch keine passende Gelegenheit gehabt, um sich dem Schauspieler zu nähern. Ich glaube, meine leichte Gereiztheit lag eher in der Furcht begründet, daß sie diese im Prinzip so einfache Angelegenheit verpatzte, und zwar aus irgendwelchen unerklärlichen Gefühlsaufwallungen. Vielleicht konnte ich es auch einfach nicht erwarten, daß das Unternehmen erfolgreich abgeschlossen wäre.
Lavinia eilte los und ging der Sänfte und ihrem Zielobjekt hinterher. Und ich setzte mich auch wieder in Bewegung.
Ein paar Ehn später, auf der Straße des Aulus in der Nähe des Tarnhofs, sah ich dann, wie einer der freien Männer, die die Sänfte begleiteten, loseilte, um Milo und seine Begleiter zu veranlassen stehenzubleiben. Lavinia befand sich etwa dreißig oder vierzig Meter hinter der Sänfte. Ich wiederum ging zehn Meter hinter ihr. Die kleine Gruppe wartete nun auf die Ankunft der Sänfte, die sich ihr auf würdevolle Weise näherte; die Träger waren eindrucksvoll in ihren gemessenen Bewegungen, wie es sich für die zweifellos hohe Stellung der in ihr sitzenden Frau auch schickte. Sie stellten die Sänfte auf der schattigen Straßenseite ab, in Nähe einer Wand, die mit Theaterplakaten übersät war. Dann zogen sich alle zurück, die Träger, die freien Männer und Milos Begleiter. Das versetzte den Schauspieler in die Lage, sozusagen tête-à-tête mit der Frau zusammenzukommen, und zwar in einer Ungestörtheit, von der sie vermutlich erwartete, daß sie gesichert war.
Ich fragte mich, ob Milo auf seinem Rückweg vom Theater zum Haus seines Besitzers Appanius immer soviel Rummel über sich ergehen lassen mußte. Als die Sänfte anhielt, blieb Lavinia auch stehen, und ich folgte ihrem Beispiel. Während Milo mit der Besitzerin der Sänfte beschäftigt war, bemerkte der Mann, der vorausgeeilt war, um den Schauspieler zum Stehenbleiben zu veranlassen, plötzlich Lavinia und ging auf sie zu. Sie muß ihn kommen gesehen haben, denn sie reagierte voller Angst und drehte sich um. Sie warf mir einen verzweifelten Blick zu, aber ich tat so, als würde ich sie nicht sehen. Sie ging, die Straße des Aulus in meine Richtung zurück, aber der Mann rief: »Bleib stehen, Sklavin!«
Einen Augenblick lang fürchtete ich, daß sie von Panik übermannt loslaufen würde, woraufhin er sie schnell eingeholt haben und sie schlagen würde, denn freien Personen hatte man zu gehorchen. Aber zu meiner Zufriedenheit war sie trotz ihrer panischen Angst klug genug, sich umzudrehen und niederzuknien. Und da er ein Mann war, hatte sie die Knie auch in der richtigen Stellung. Einer der Vorteile dieser Stellung – neben ihrer allgemeinen Schicklichkeit – besteht darin, daß sie einen beschwichtigenden Wert hat.
Der Mann hatte sie vermutlich in der Nähe des Theaters gesehen, und dann war ihm aufgefallen, daß sie der Gruppe folgte. Vielleicht wollte er sich auch nur das Warten verkürzen und sie für ein kurzes Vergnügen gegen die Häuserwand drücken oder in einen Türeingang führen. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß es mich stören würde, solange es dabei blieb. Außerdem paßte das zu ihrer Rolle als Staatssklavin, die allgemein gegen derartige Aufmerksamkeiten nichts einzuwenden haben, sogar in dem Ruf stehen, sie zu provozieren. Der Staat kümmert sich nicht um die sexuellen Bedürfnisse seiner Sklaven.
Aber der Mann machte einen ärgerlichen Eindruck, darum näherte ich mich den beiden unauffällig. Er stand jetzt vor Lavinia, die mit weit aufgerissenen Augen vor ihm am Boden kniete. Ich begriff, daß er die Interessen seiner Arbeitgeberin schützen und sie verscheuchen wollte. Das war nicht hinnehmbar. Er hob die Hand, um die Sklavin zu schlagen. Ich ergriff sie mitten in der Luft am Handgelenk und hielt sie fest. »Ai!« rief er überrascht und von Schmerzen erfüllt aus. Als er aufhörte sich zu wehren, ließ ich die Hand los. Er zog sie zurück und rieb sie wütend.
»Was hat diese Einmischung zu bedeuten?« knurrte er.
»Was hattest du denn vor?« fragte ich neugierig.
Er trat einen Schritt zurück. »Ich?«
»Sich einer Staatssklavin in den Weg zu stellen«, sagte ich kopfschüttelnd.
»Sie verfolgt uns!«
»Warum?«
»Nun«, sagte er, »nicht uns, aber eine andere Person.«
»Wen denn?«
»Na, sie«, erwiderte er und zeigte in Richtung der Sänfte.
»Und was geht das dich an?« fragte ich.
»Meine Arbeitgeberin würde das nicht besonders schätzen.«
»Deine Arbeitgeberin ist also eine eifersüchtige Sklavin?«
»Nein!« sagte er. »Es ist Lady …«
»Ja?«
»Das spielt keine Rolle«, sagte er gereizt.
»Vielleicht hat ihr Herr ihr ja nur noch keinen Namen verliehen«, meinte ich.
Der Mann wies auf Lavinia. »Du siehst doch, daß sie eine Botschaft trägt.«
»Gib mir den Brief«, befahl ich Lavinia.
»Er ist privat«, antwortete sie.
Ich streckte die Hand aus, und sie gab ihn mir.
»Unwichtig«, sagte ich nach einem flüchtigen Blick auf das Papier und gab es ihr zurück.
»Laß mich ihn sehen«, verlangte der Mann.
»Du stellst mein Wort in Frage?« fragte ich lauernd.
»Nein!«
»Zieh!« sagte ich und griff in meine Tunika.
»Ich bin unbewaffnet!« sagte er entsetzt. »Das ist das Gesetz! Wir Arer dürfen keine Waffen tragen.«
»Dann laß uns unsere Meinungsverschiedenheit mit den Fäusten austragen«, schlug ich vor.