»Es sind nur sehr wenige Bürger aus Ar-Station in Ar«, sagte Marcus, »und von denen würde sich unter diesen Umständen kaum einer seinem Heimstein nahem, um ihn zu verhöhnen.«
»Und sollten ihnen diese Unterschiede auffallen«, fuhr Boots fort, »kann man sicher davon ausgehen, daß sie sie nicht unbedingt den Wächtern mitteilen.«
»Das glaube ich auch nicht.« Marcus lächelte.
»Aber wenn diese Unterschiede so winzig sind«, sagte ich, »könnte man dann nicht die Fälschung für echt erklären?«
»Ich kann garantieren, daß das nicht geschehen wird«, verkündete Boots.
»Wie kannst du das garantieren?«
»Vielleicht ist dir ja aufgefallen – ich habe es natürlich bemerkt, da ich mich besonders bemühe, solche Dinge zu bemerken –, daß so gut wie niemand den Heimstein berührt«, sagte Boots. »Es war sehr ungewöhnlich, daß ich ihn anfaßte und hochhob. Er ist flach, und er liegt flach auf seinem Brett.«
»Ja, und?«
»Also nahm ich mir die Freiheit, auf der Unterseite der Fälschung eine Botschaft einzuritzen; ich habe sie sogar eingefärbt.«
»Und wie lautet die Botschaft?« fragte ich.
»Das ist ganz einfach«, sagte Boots. »Dort steht ›Ich bin nicht der Heimstein von Ar-Station‹!«
»Das erscheint eindeutig«, sagte ich.
»Außerdem nahm ich mir zusätzlich die Freiheit, eine weitere Bemerkung hinzuzufügen.«
Ich blickte ihn gespannt an.
»›Nieder mit Cos!‹«
»Flieh auf der Stelle«, sagte Marcus entsetzt.
»Denk doch mal nach«, sagte Boots. »Wärst du ein Angehöriger der Wache und würdest entdecken, daß der Stein eine Fälschung ist, hättest du sicher Angst, daß der Stein während deiner Dienstzeit gestohlen wurde oder man annehmen würde, daß es dann geschehen sei.«
»Ja!« sagte ich.
»Darum erscheint es mir nicht unwahrscheinlich, daß die Wächter einfach so tun, als hätten sie es nicht bemerkt und den Stein der nächsten Schicht übergeben, als wäre nichts geschehen; sollen die sich doch den Kopf darüber zerbrechen, oder die übernächste Schicht. Es wäre sehr peinlich wenn nicht sogar gefährlich, wenn der Austausch während oder am Ende der eigenen Schicht entdeckt würde.«
Ich sagte: »Boots, du bist ein kluger Bursche.«
»Die Wächter kommen hauptsächlich aus Ar«, fuhr Boots fort. »Darum kann ich mir nicht vorstellen, daß sie die Sache mit dem gleichen Eifer verfolgen oder so aufgebracht wären, wie man es von den Cosianern erwarten kann.«
»Vielleicht würde es sie sogar belustigen«, meinte ich.
»Schon möglich«, sagte Boots. »Andererseits glaube ich auch nicht, daß die Cosianer besonders erpicht darauf sind, daß der Austausch während ihrer Wache entdeckt wird.«
»Nein«, sagte ich, »das glaube ich auch nicht.«
»Also brauchen wir wohl kaum Angst zu haben, daß der Austausch sofort entdeckt wird.«
»Oder, um genau zu sein, sofort gemeldet wird.«
»Genau.« Boots lächelte.
»Du kümmerst dich um ein Treffen morgen abend mit Marcus?«
»Natürlich«, sagte Boots.
Ich drückte Boots Tarskstück einen schweren Geldbeutel in die Hand.
»Das Gewicht läßt an viele Kupfertarsk denken«, sagte Boots überrascht.
»Zähl es später«, sagte ich. »Versteck sie.«
»Mein Gewand verfügt über diverse Innentaschen«, sagte er. Der Geldbeutel verschwand unter dem Gewand.
»Ich will jetzt nicht in die Einzelheiten gehen«, sagte ich, »aber vergangenen Sommer kam Marcus durch ungewöhnliche Umstände in den Besitz eines großen Vermögens, einhundert Goldstücke.«
»Einhundert?« fragte Boots überrascht.
»Ja.« Ich war ziemlich zufrieden, daß es mir endlich einmal gelungen war, den großen Boots Tarskstück oder Renato den Großen, wie er sich jetzt nannte, zu überraschen.
»Aber er bezahlte mir die einhundert Goldstücke für eine Sklavin.«
Boots starrte Marcus entsetzt an.
»Sie ist zehntausend wert, und noch mehr«, murmelte Marcus kleinlaut zu seiner Rechtfertigung.
»Man kann nicht sagen, daß er wirklich verrückt ist«, sagte ich. »Es gibt da ein paar besondere Umstände.«
»Außerdem wußte ich damals auch noch nicht, daß sie eine Cosianerin ist«, warf Marcus wütend ein.
»Das macht natürlich einen großen Unterschied«, sagte Boots.
»Sonst hätten auch ein oder zwei Kupfertarsk gereicht«, sagte Marcus.
»Zweifellos.«
»Und so kam ich in den Besitz von einhundert Goldstücken«, sagte ich.
»Und du möchtest, daß uns dieser Inbegriff der Schönheit uns in den Norden begleitet?« fragte Boots.
»Du hast doch nichts dagegen, oder?« stellte ich ihm die Gegenfrage.
»Aber wie könnte ich«, sagte Boots. »Dann haben wir in unserer Freizeit wenigstens etwas zu tun; wir können von allen Seiten angreifende Armeen abwehren, Schwärme von Söldnern bekämpfen und Räuberbanden und Horden von Schurken in die Schranken weisen.«
»Ich verstehe nicht«, sagte ich.
»Ich schon«, sagte Marcus erfreut.
»Ich habe eingewilligt, einen Heimstein nach Port Cos zu bringen, nicht den riskanten Auftrag zu übernehmen, eine der schönsten und begehrtesten Frauen von ganz Gor mit meiner Truppe reisen zu lassen.«
»Das ist sie allerdings«, stimmte Marcus zu. »Du kannst sie ja in einen Wagen einsperren oder in einem Sack transportieren.«
»Ich bin wirklich neugierig auf diese Sklavin«, sagte Boots.
»Trotz Marcus’ Begeisterung und Überzeugung in dieser Angelegenheit – so berechtigt sie auch sein mögen – sollte ich dir sagen, daß sie von einem unbeteiligten Beobachter nicht unbedingt geteilt werden, zumindest nicht auf den ersten Blick.«
»Ich schätze, das ist möglich«, sagte Marcus. Es klang nachdenklich und war ein für ihn ungewöhnlich großzügiges Zugeständnis.
»Das soll aber nicht heißen, daß das Mädchen keine hervorragende Sklavin ist«, sagte ich.
Boots nickte. Er lächelte. »Nun gut«, sagte er. »Ich gehe übrigens davon aus, daß der Geldbeutel, den ich von dir erhalten habe und der ungewöhnlich schwer ist, den Gegenwert von mindestens einem Goldstück enthält.«
»Du vertraust mir doch wohl.«
»Dir vertraue ich«, erwiderte er. »Ich bin nur mißtrauisch, was deine Rechenkünste angeht.«
»Keine Angst«, sagte ich. »Der Beutel enthält keine Kupfertarsk.«
Boots runzelte die Stirn. »Was?«
»Von den einhundert Goldstücken sind nur noch neunzig übrig«, erklärte ich. »Es tut mir leid. Du mußt jedoch wissen, daß wir Unkosten hatten, eine lange Reise, und die Preise in Ar sind sehr hoch, vor allem für eine anständige Mahlzeit und eine Unterkunft, dann brauchten wir Mittel für Bestechungsgelder oder um Informationen zu kaufen. Ich habe also die Hälfte, genau fünfundvierzig Goldstücke, in den Beutel gesteckt. Sie gehören dir.«
»Ich verstehe nicht«, sagte Boots.
»Die anderen fünfundvierzig habe ich behalten«, sagte ich. »Vermutlich brauche ich sie morgen. Ich weiß es nicht.«
»Das ist zuviel Geld«, protestierte Boots.
»Mach dir um uns keine Sorgen«, sagte ich. »Wir haben noch andere Geldmittel, sozusagen aus Spenden, die uns Leute gaben, die wir für gewöhnlich an einsamen und dunklen Orten trafen, und unseren Sold.«
»Wir hatten uns auf zwei Goldstücke geeinigt«, sagte Boots. »Höchstens.«
»Dann brechen wir eben jetzt unsere Vereinbarung.«
»Das würdet ihr tun?« fragte Boots fassungslos.
»Warum nicht.«
»Ihr Schufte«, sagte er.
»Nimm einfach an, wir wären verrückt«, schlug Marcus vor. »Nimm einfach das Gold und mit ihm unsere und Ar-Stations nie versiegende Dankbarkeit.«
»Ich kann unmöglich so viel annehmen.«
»Du bist doch Boots Tarskstück?« fragte ich.
Er nickte. »Ich glaube schon. Zumindest habe ich das seit Jahren geglaubt.«
»Dann nimm das Geld.«
»Gib mir einen Augenblick zur Besinnung«, sagte er. »Ich muß mich erst sammeln. Ich habe nicht damit gerechnet. Laß mir Zeit. Das hat meine Habgier unerwartet getroffen. Sie taumelt. Sie schwankt. Eine solche Großzügigkeit würde selbst dem abgebrühtesten Habsüchtigen den Atem verschlagen.«