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In der Dunkelheit rempelte mich ein Mann an. Solange ich ihn noch sehen konnte, tastete ich nach meinem Geldbeutel. Er war noch da, völlig intakt. Diebe gehen für gewöhnlich nach zwei Methoden vor: Sie schneiden den Beutel an seinen Schnüren vom Gürtel oder schlitzen ihn an der Unterseite auf, wodurch der Inhalt in ihre Hand gleitet. Beide Methoden erfordern Geschick.

»Willst du ein gelbes Ostrakon kaufen?« Die Stimme des Mannes war kaum zu hören gewesen. Ich betrachtete ihn. Er hatte sich die Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Falls sein Angebot ernst gemeint war, war mir in der Tat sehr daran gelegen, eine solche Marke zu erwerben.

»Die sind sehr wertvoll«, erwiderte ich.

»Nur einen Silbertarsk.«

»Bist du ein Bürger Ars?«

»Ich verlasse die Stadt«, sagte er. »Ich fürchte Cos.«

»Aber man wird sich Cos entgegenstellen und besiegen.«

»Ich verlasse die Stadt«, sagte er. »Ich brauche kein Ostrakon mehr.«

»Laß es sehen!«

Verstohlen zeigte er es mir, beinahe ohne dabei die Hand zu öffnen.

»Bring es her, hier ins Licht.«

Unwillig erfüllte er meinen Wunsch. Ich nahm ihm das Ostrakon aus der Hand.

»Zeig es nicht so auffällig herum«, flüsterte er.

Ich versetzte ihm einen harten Schlag in den Bauch, er krümmte sich zusammen und sank auf die Knie. Er ließ den Kopf sinken, würgte und übergab sich neben einem Feuer auf den Boden.

»Wenn du keinen Paga verträgst, dann troll dich«, knurrte ein Bauer, der dort saß.

Der Bursche sah mit schmerzverzerrtem Gesicht verständnislos zu mir hoch.

»Es ist tatsächlich ein gelbes Ostrakon«, sagte ich, »in einer ovalen Form, wie die gültigen Ostraka.«

»Bezahl mich!« stieß er mühsam hervor.

»Erst heute morgen war ich am Sonnentor«, fuhr ich fort, »wo die derzeitigen Listen angeschlagen sind, um solche Betrügereien zu verhindern, wie du sie vorhattest.«

»Nein.«

»Diese Ostrakon-Serie wurde eingestellt, vermutlich schon vor Monaten.«

»Nein«, keuchte er.

»Du könntest es aus einem Carnarium haben«, sagte ich. Das waren die großen Abfallgruben außerhalb der Stadtmauern.

Ich brach das Ostrakon in zwei Teile, die ich ins Feuer warf.

»Verschwinde!« raunte ich dann leise dem Burschen zu.

Er kam taumelnd auf die Füße und schlich zusammengekrümmt davon.

»Vielleicht müssen sie das mit den Ostraka aufhören«, sagte der Bauer, der mit untergeschlagenen Beinen am Feuer saß.

»Warum?«

»Es ist gefährlich, sie bei sich zu tragen«, sagte er. »Zu viele Leute werden ihretwegen ermordet.«

»Und was wird Ar dann tun?« fragte ich.

»Ich glaube, es wird seine Tore schließen.«

»Aber seine Regimenter stehen zwischen seinen Toren und Cos.«

»Das ist wahr«, sagte der Bauer.

Ich begab mich wieder auf die Suche nach Marcus und Phoebe. Er war natürlich ziemlich stolz auf sie. Ich zweifelte keinen Augenblick lang daran, daß er hier seine Kreise zog, scheinbar ziellos umherschlenderte, doch in Wahrheit mit ihr angab. Sie war mit Sicherheit eine der schönsten Sklavinnen in der Gegend.

Ich betrachtete die Stadtmauern. Wie hoch ragten sie doch empor! Und doch bestanden sie nur aus Stein und Mörtel. Man konnte sie bezwingen, ihre Brücken in Blut tauchen. Aber zwischen ihnen und den Flaggen von Cos standen die restlichen Regimenter Ars. Alles war gut.

Plötzlich ertönte ganz in der Nähe lautes Grunzen und das Aufeinandertreffen großer Stäbe, untermalt von Anfeuerungsrufen. Zwei kräftige Burschen trugen einen Stabwettkampf aus. Sie waren beide gut. Manchmal konnte ich den Bewegungen der Waffen kaum mit dem Auge folgen. »Paß auf!« rief ein Zuschauer einem der Kämpfer zu. »Ein Hurra für Rarir!« rief ein anderer. Einer der Kämpfer schrie auf und taumelte mit blutiger Schläfe zur Seite. »Guter Schlag!« rief ein Zuschauer. Aber der Kämpfer griff mit doppelter Energie wieder an. Ich blieb noch einen Moment lang stehen. Es gelang dem Jungen aus Rarir, die Deckung seines Gegners zu durchbrechen und ihm die Stabspitze vor die Brust zu rammen. Sofort ließ er einen Schlag auf den Kopf folgen, und der Mann geriet ins taumeln. Dann, im letzten Augenblick, hielt er sich zurück. Der benommene Gegner ließ sich zu Boden sacken und lachte.

»Ein Sieg für Rarir!« rief ein Zuschauer. »Bezahl uns!« rief ein anderer. Der Sieger hielt dem Besiegten die Hand hin und zog ihn auf die Füße. Sie umarmten sich. »Paga!« rief ein Mann. »Paga für beide!«

Ich ging weiter.

Weder von Marcus noch seiner zauberhaften Sklavin war etwas zu sehen. Vermutlich waren sie ins Zelt zurückgekehrt.

Zwei Männer feilschten um den Preis eines Verr.

Ein mit einem Joch beladenes Sklavenmädchen ging vorbei, an beiden Enden des Jochs schwankten Eimer. Vermutlich holte sie Wasser für die Zugtharlarion. Es befanden sich einige im Lager. Ich hatte sie gerochen.

Ein Kerl stolperte betrunken vorbei.

Ich sah dem Mädchen nach. Es war klein und hübsch. Vermutlich mußte es mehrmals gehen, um Wasser für die Tharlarion zu holen.

Ich fragte mich, ob der Betrunkene wußte, wo seine Lagerstatt war. Glücklicherweise gab es in der Nähe keine Carnaria. Es wäre nicht angenehm, in eine dieser Gruben zu fallen.

An einem der Lagerfeuer wurde gesungen.

Ich hörte das Knallen einer Peitsche, gefolgt von Schluchzen. Ein Mädchen wurde diszipliniert. Sie lag auf den Knien, gefesselt, die Handgelenke über dem Kopf an eine zwischen zwei Pfählen befestigte Stange gebunden. Soweit ich es verstand, war sie ungehorsam gewesen.

In einem Zelt gab es eine lautstarke, erhitzte politische Diskussion. Ich hörte zu.

»Marlenus von Ar wird zurückkehren«, sagte ein Mann, seinem Akzent nach zu urteilen ein Arer. »Er wird uns retten.«

»Marlenus ist tot«, widersprach eine zittrige alte Stimme.

»Dann soll doch seine Tochter Talena den Thron besteigen«, schlug ein dritter Mann vor.

»Sie ist nicht mehr seine Tochter«, erklärte der Arer. »Marlenus hat sie verstoßen.«

»Und wie kommt es dann, daß in der Stadt ihre Kandidatur für den Thron ernsthaft in Betracht gezogen wird?«

»Ich weiß es nicht.«

»Einige sehen in ihr schon eine mögliche Ubara.«

»Das ist absurd.«

»Da sind viele aber anderer Meinung.«

»Sie ist eine anmaßende und wertlose Schlampe«, behauptete der Alte. »Man sollte ihr einen Kragen um den Hals legen.«

»Paß auf, was du sagst, bevor man es dir als Verrat auslegt!«

»Kann es Verrat sein, wenn man die Wahrheit ausspricht?«

»Ja!«

»Vielleicht kennt sie ja sogar Marlenus’ Aufenthaltsort«, sagte der Arer. »Sie und andere könnten sogar für sein Verschwinden oder seine lange, andauernde Abwesenheit verantwortlich sein.«

»Ich habe nicht gehört, was du da gesagt hast«, erklärte sein Freund.

»Und ich habe es nicht gesagt«, bekam er zur Antwort.

»Und ich glaube, Talena wird den Thron von Ar besteigen.«

»Wie praktisch für Cos!« sagte ein anderer Mann, der sich bis jetzt noch nicht zu Wort gemeldet hatte. »Das ist bestimmt genau das, was sich Cos wünscht: daß eine Frau auf dem Thron von Ar sitzt.«

»Vielleicht werden sie ja dafür sorgen, daß genau das geschieht.«