»Vergib mir, Herr.«
»Sicher, es ist schon schwer, sie nicht anzusehen.«
»Ja, Herr«, sagte er und senkte den Kopf.
Auch Lavinia senkte den Kopf, aber sie lächelte.
»Wie ich bereits erwähnte, siehst du nicht gut aus«, sagte ich. »Das kommt zweifellos von den Prügeln, die du erhalten hast. Geh an die frische Luft. Dann kommst du zurück. Im Hinterzimmer findest du Wasser und ein Handtuch. Mach dich sauber. Dann reden wir weiter.«
»Ja, Herr«, sagte er und erhob sich.
Marcus stellte sich ihm in den Weg, aber auf mein Zeichen hin trat er beiseite und ließ ihn ziehen.
»Ich hätte ihn begleiten sollen«, sagte er.
»Nein.«
»Glaubst du, er kommt zurück?«
»Aber sicher«, erwiderte ich. »Ich glaube nicht, daß er in Ar nackt herumlaufen will. Dafür ist er zu bekannt und würde sich bestimmt sofort in Fesseln wiederfinden. Davon abgesehen glaube ich nicht, daß er sich die Kehle durchschneiden lassen will.«
Marcus runzelte nachdenklich die Stirn. »Vermutlich nicht«, sagte er dann.
»Darf ich sprechen, Herr?« fragte Lavinia.
Jetzt hatte ich nichts mehr dagegen. »Ja.«
»Würdest du das tatsächlich tun?«
Ich nickte.
Sie wurde totenblaß.
»Er könnte versuchen, sich bis zu Appanius’ Haus durchzuschlagen«, sagte Marcus.
»Das würde er niemals schaffen.«
»Aber einmal angenommen, er schafft es doch. Wenn ich mich nicht irre, würde Appanius ihn wieder willkommen heißen.«
»Schon möglich.«
»Vielleicht würde er ihn zurückkaufen, oder ihn verstecken.«
»In Milos Fall wäre das nicht so einfach«, meinte ich. »Wir haben seine Papiere. Früher oder später würden wir ihn schon erwischen und töten.«
Lavinia fing an zu weinen.
Ich runzelte die Stirn. »Was ist?«
»Laß mich für ihn bürgen!«
»Ich verstehe nicht, was du meinst.«
»Wenn er flieht, dann töte mich und nicht ihn.«
»Nein.«
Sie ließ den Kopf hängen.
»Er wird nicht fliehen.«
Lavinia sah mich mit geröteten Augen an.
»Du bist dir doch wohl darüber im klaren, daß er, auch wenn eine Flucht möglich wäre, auf jeden Fall Zurückkehren wird.«
»Herr?«
»Er hat einen ausreichenden Grund, der ihn garantiert zurückbringt.«
»Herr, was ist das für ein Grund?«
»Kannst du dir das nicht denken?«
»Nein, Herr!« rief sie aufgebracht.
Ich nickte nachdrücklich.
Sie legte eine Hand an die Brust. »Aber ich bin doch nur eine Sklavin.«
»Das sind die schönsten und aufregendsten aller Frauen«, sagte ich. »Um sie sind Kriege geführt worden.«
Sie stöhnte auf. »Er ist so schön!«
»Er sieht ganz gut aus, das will ich gern zugeben.«
»Er ist der schönste Mann von ganz Ar!«
»Du willst doch damit wohl nicht sagen, daß er attraktiver ist als ich?« fragte ich.
Lavinia sah mich verlegen an.
»Nun?« fragte ich.
»Mein Herr beliebt zu scherzen.«
»Ach ja?« Das hörte sich nicht gut an.
»Anscheinend will der Herr seine Sklavin bestrafen«, sagte sie zögernd.
»Warum sollte ich?«
»Sage ich die Wahrheit, wird mein Herr unzufrieden mit mir sein und mich bestrafen, aber sollte ich nicht die Wahrheit sagen, werde ich meinen Herrn belügen und als verlogene Sklavin noch härter bestraft werden.«
»Du findest ihn also attraktiver als mich?« fragte ich.
»Ja, Herr«, antwortete sie und senkte den Blick. »Verzeih mir, Herr.«
»Aber doch wohl nicht attraktiver als mich«, meldete sich Marcus zu Wort.
»Doch, Herr«, sagte sie. »Verzeih mir, Herr.«
Ich zuckte mit den Schultern. »Was weiß denn schon eine Sklavin?«
Marcus nickte. »Genau.«
»Bestimmt würden viele Frauen Ars mir zustimmen«, sagte Lavinia.
»Du bist eine bedeutungslose Sklavin«, sagte ich. »Schweig.«
»Ja, Herr.«
»Davon abgesehen, was wissen die schon?«
»Sie sind Frauen«, erwiderte Lavinia. »Sicherlich haben sie das Recht, sich in dieser Angelegenheit eine Meinung zu bilden.«
»Schon möglich«, gestand ich ihr zögernd zu.
»Danke, Herr«, sagte sie. »Bitte denke nicht zu schlecht über Milo.«
»Ich denke nicht schlecht über ihn«, versicherte ich ihr.
Marcus räusperte sich. »Hast du seinen ›Lurius von Jad‹ nicht gesehen?«
»Ich fand ihn ganz gut.«
»Er war schrecklich.«
»Du kannst Lurius von Jad eben nicht ausstehen«, sagte ich. »Außerdem warst du wütend, daß es Phoebe gefiel.«
»Deinem Freund Boots hat es auch nicht gefallen.«
»Vermutlich weil seine Telitsia begeistert war.«
»Seid nicht eifersüchtig auf Milo, falls er attraktiver ist, als ihr es seid«, sagte Lavinia.
»Also gut«, erwiderte ich. »Falls er es ist.«
»Ausgezeichnet«, sagte sie. »Falls er attraktiver als mein Herr ist, dann wirst du nicht auf ihn eifersüchtig sein, und falls er es nicht ist, dann besteht ohnehin kein Grund, auf ihn eifersüchtig zu sein.«
»Du hast recht«, mußte ich zugeben. Gegen diese Logik gab es anscheinend nichts einzuwenden. Aber warum befriedigte sie mich nicht? Normalerweise weiß man auf Gor Intelligenz bei einer Sklavin sehr zu schätzen, aber gelegentlich hat sie auch ihre Nachteile.
»Werde ich bestraft, Herr?« fragte sie plötzlich.
»Nein.«
»Danke, Herr.«
»Zumindest nicht jetzt«, sagte ich.
»Danke, Herr.«
»Keine Ursache.«
»Sei nicht betrübt, Herr«, sagte Lavinia. »Selbst wenn du nicht Milo bist, so seid ihr doch beide starke, attraktive Männer. Ihr habt etwas Besonderes an euch, etwas, das euch von vielen anderen Männern unterscheidet. Es ist eure Überlegenheit. Frauen spüren das in Männern wie euch, manchmal spüren sie zu ihrem eigenen Entsetzen, daß ihr richtige Herren seid. Das hebt euch weit über andere Männer hinaus. Darum wollen Frauen vor euch knien und euch dienen, euch erfreuen und lieben. Und das hat nichts mit einem hübschen Gesicht zu tun, das können auch Schwächlinge haben.«
»Alle Männer sind eure Meister«, sagte ich.
»Das weiß ich nicht, Herr«, sagte sie. »Aber das ist es, was sich eine Frau ersehnt.«
Marcus sah auf. »Der Sklave kehrt zurück«, sagte er.
»Natürlich.«
Lavinia seufzte vor Erleichterung. Ich hatte nicht vergessen, daß sie bereit gewesen war, für ihn ihr Leben zu opfern. So wie er versucht hatte, sie vor den Schlägen zu beschützen. Das galt es im Gedächtnis zu behalten.
Milo betrat einige Augenblicke später frisch gewaschen den Raum, wo er niederkniete.
»Nimm den Kopf runter, dann strecke das linke Handgelenk aus«, befahl ich. Er gehorchte, und ich brachte ein silbernes Sklavenarmband an, das dem ähnelte, das er zuvor getragen hatte. Auf dieses Armband waren in winziger Schrift die Worte ›Ich gehöre Tarl aus Port Kar‹ eingraviert.
Dann warf ich ihm eine schlichte Tunika zu. »Anziehen!«
»Ja, Herr.«
»Wie spät ist es?« fragte ich Marcus.
»Ungefähr die siebte Ahn.«
»Die Magistrate müßten jeden Augenblick eintreffen.«
Marcus nickte. »Sie werden vermutlich den Hintereingang benutzen.«
»Anzunehmen.« Sie waren in der Vergangenheit oft genug hier gewesen. Außerdem würden sie vermeiden wollen, daß man sie auf der Straße eintreten sähe. Sie würden ihre Verabredung, die, wie sie glaubten, mit Appanius und seinen Männern war, einhalten wollen. Natürlich würden sie bei ihrem Eintreten bemerken, daß sich die Pläne geändert hatten und sie einem anderen Mann zu Diensten sein würden.
»Betrachtest du schon wieder die Sklavin?« fragte ich.
»Entschuldige, Herr.«
»Laß den Kopf unten!«
»Ja, Herr.«
»Ich werde dir gleich erklären, was du für mich tun sollst.«
»Ja, Herr.«
Ich wandte mich Marcus zu. »Laß uns in der Zwischenzeit das Netz wieder in Stellung bringen.«