»Hast du die Ketten mitgebracht?«
»Natürlich«, sagte ich.
24
»Du darfst mir beim Ablegen des Umhangs helfen«, sagte sie zu dem hübschen Sklaven. Sie lächelte. »Deine Hand zittert ja.«
Ich verfolgte alles durch einen der Beobachtungsschlitze. Der ältere der beiden Magistrate, Tolnar von den zweiten Octavii – eine wichtige gens, die aber nichts mit den bekannten Octavii zu tun hat, die man manchmal auch die ersten Octavii nennt –, seines Zeichens stellvertretender Amtsleiter der Registratur, die kürzlich zum größten Teil von einem Feuer vernichtet worden war, stand vor dem anderen Schlitz. Sein Kollege Venlisius, ein kluger junger Mann, der durch Adoption kürzlich Mitglied der Familie Toratti geworden war, stand neben ihm. Venlisius arbeitete in demselben Amt; er war Archon der Urkunden, zuständig für den Metellanischen Bezirk. Beide Magistrate trugen ihre Amtsroben mit den dazugehörigen Stirnbändern. In den Händen hielten sie die Zepter, das Symbol ihres Amtes, in denen den Waffengesetzen von Cos zum Trotz mit Sicherheit Klingen verborgen waren. Es freute mich, daß diese Männer aus dem richtigen Holz geschnitzt waren, um die Gesetze Ars über die cosischen Verordnungen zu stellen.
Ich hatte sie aufgefordert, ihre Leibwächter wegzuschicken, was sie auch getan hatten. Ich rechnete nicht damit, daß man sie brauchen würde. Marcus und ich waren mehr als ausreichend, falls irgendwelche Gewalt nötig werden würde. Darüber hinaus würden sich gewisse Dinge unter Umständen als heikel erweisen, und ich hielt es für angebracht, die Zahl und Art der Zeugen zu beschränken.
»Muß ich meinen Umhang selbst abnehmen?« fragte die Frau.
»Nein, nein, Herrin«, erwiderte der Sklave Milo.
»Herrin?« wiederholte sie. »Anscheinend hast du Respekt gelernt.«
»Ja, Herrin«, sagte er, ließ sich schnell zitternd auf die Knie sinken und senkte den Kopf.
»Das sieht dir gar nicht ähnlich.«
»Verzeih, Herrin.«
»Aber ich finde es schön«, sagte sie. »Und, mein lieber Milo, du siehst gut aus, wenn du kniest.«
»Danke, Herrin.«
»Aber ich verstehe diese neue Demut nicht.«
»Was außer Demut könnte vor einer Person wie dir angebracht sein?«
»Ich glaube«, sagte sie langsam, »wir werden uns ausgezeichnet verstehen.«
Er schwieg und blieb mit gesenktem Kopf knien. Er zitterte am ganzen Leib. Ich konnte es ihm nicht verdenken.
»Es ist fast so, als hätte man dich plötzlich daran erinnert, daß du ein Sklave bist.«
»Ja, Herrin.«
Ich war froh, daß Appanius’ Schläge seine Haut nicht hatten aufplatzen lassen. Es hätte keinen guten Eindruck gemacht, wenn das Blut den Rücken seiner Tunika durchtränkt hätte.
»Interessant«, sagte sie.
»Welcher Mann könnte vor dir kein Sklave sein?«
»Schmeichler!« schalt sie ihn.
Ich mußte lächeln. Er hatte eine schnelle, in Komplimenten geübte Zunge. Er verstand sein Handwerk. Zweifellos war er für Appanius von großem Wert gewesen, in mehr als nur einer Hinsicht. Dann nahm mein Lächeln einen grimmigen Zug an. Wie empfänglich sie doch für seine Komplimente war! Wie wenig sie über sich wußte. Ich fragte mich ernsthaft, vor welchem Mann sie keine Sklavin sein würde.
»Der Umhang«, wiederholte sie gereizt.
Er sprang auf und nahm ihr mit der gebotenen Vorsicht den Kapuzenumhang ab, der sie vom Kopf bis zu den Zehen verhüllte. Er legte ihn auf einem Stuhl ab.
»Deine Wächter warten draußen?« fragte Milo.
»Ich bin allein gekommen«, erwiderte sie. »Du hältst mich doch wohl nicht für eine Närrin?«
»Nein, natürlich nicht.«
Sie schob die aus dünnem Stoff gefertigte innere Kapuze zurück und hakte den Kragen ihres Gewandes auf.
»Du wirst nicht glauben, wie schwierig es war, den Zentralzylinder zu verlassen!« sagte sie. »Es ist fast so, als wäre ich dort eine Gefangene. Seremides ist ja so argwöhnisch! Seine Spione sind überall. Wer kann schon sagen, wer sie sind oder welcher von ihnen mich in diesem Augenblick beobachtet? Wem kann ich vertrauen? Es ist schwierig, ohne eine Eskorte aus Leibwächtern auf die Straße zu gehen. Ich frage mich, wovor sie Angst haben. Das Volk liebt mich.«
»Du bist zu großartig und wunderbar, um ein Risiko einzugehen«, sagte Milo.
»Aber manchmal werde ich der Erhabenheit meiner Person überdrüssig. Es hat den Anschein, als wäre es nie anders gewesen. Vor langer Zeit, als ich noch ein Mädchen war, war es nicht anders, und dann, nach dem Mißverständnis mit meinem geliebten Vater Marlenus, hat man mich von den anderen getrennt, und jetzt, da der Krieg zum beiderseitigen Nutzen von Ar und Cos ein Ende fand und beide Staaten dank der cosischen Gnade und des edlen Lurius von Jad einen Sieg errungen haben – indem wir die Verbündeten unserer früheren Feinde sind, die nun unsere besten Freunde darstellen –, scheint es wieder so zu sein.«
»Die Herrin ist die Ubara«, sagte er. »Befiehl ihnen doch einfach, ihre Fürsorge einzuschränken.«
Sie lächelte. »Aber sicher.«
Milo warf ihr einen überraschten Blick zu.
»Aber ich habe die Wächter abgeschüttelt«, sagte sie. »Es war nicht allzu schwer. Sie sind Männer und dumm.«
»Wie hat die Herrin sie überlistet?«
»Wie dir sicher aufgefallen ist, trug ich einen einfachen Straßenumhang mit einer Kapuze, die ausnahmsweise zugebunden war. Man reichte eine Ausgeherlaubnis für eine vorgebliche Magd aus meinem Gefolge ein, die einen persönlichen Botengang zu erledigen hat, aber in Wirklichkeit war ich es, die an den Wächtern vorbeiging.«
»Man muß die Herrin für ihre Diskretion und Klugheit beglückwünschen.«
Sie lachte. »Wer wird schon den Schleier einer freien Frau entfernen?«
»In der Tat, wer?« sagte Milo ehrfurchtsvoll.
»Und nur die wenigsten kennen die Gesichtszüge ihrer Ubara!«
»Das stimmt, wunderbare Herrin!«
Sie lachte.
»Wie dankbar und demütig muß ich, ein einfacher Sklave, doch sein, daß man mir bei drei Abendessen gestattete, einen Blick auf sie werfen zu dürfen.«
»Du hast gewagt, mich anzusehen?« fragte sie streng.
»Verzeih mir, Herrin!« rief er. »Ich hatte gedacht, daß die Herrin aus diesem Grund den Schleier senkte.«
»Es war warm an diesen Abenden«, sagte sie.
»Natürlich, Herrin.«
»Aber ich hatte schon die Befürchtung, du könntest bei meinem Anblick meinem Zauber verfallen.« Sie griff anmutig nach den Schmucknadeln an der linken Seite des Schleiers und zog sie heraus. Einen Augenblick später hatte sie ihn verführerisch ein Stück gesenkt.
»Ai!« stieß er leise hervor. »Welcher Mann würde nicht dem Zauber einer solchen Schönheit verfallen?«
»Findest du?« Sie lachte erfreut.
»Ja!« erwiderte er. »Bestimmt ist die Herrin die schönste Frau von ganz Gor!«
Ich warf Lavinia einen Blick zu, die links von mir am Boden kniete. Ich hatte den Eindruck, daß ihre Unterlippe zitterte und sich eine Träne in ihrem Augenwinkel bildete.
»Ich fühle mich wie eine Sklavin«, sagte die freie Frau, »die durch die Straßen schleicht, um zu ihrem Rendezvous zu kommen.«
Talena, Ubara von Ar, betrachtete sich in dem Spiegel am anderen Ende des Raums.
»Manchmal beneide ich die bedeutungslosen, versklavten Dirnen«, sagte sie, »die nach Lust und Laune herumlaufen, mit ihren kurzen Röcken und Eisenkragen. Manchmal glaube ich, sie verfügen über mehr Freiheit als ich; dann glaube ich, daß ich, eine freie Frau, die Ubara von Ar, viel eher ein Sklavendasein führe als sie.«
»Das darfst du nicht einmal denken!« sagte Milo.
»Es ist wahr!« sagte sie niedergeschlagen.
Milo schwieg.
Die Ubara betrachtete sich weiter im Spiegel. Ich fragte mich, wie sie sich wohl sah? Sah sie eine launische Frau aus einer hohen Kaste, die so gekleidet war, wie es sich für sie gehörte, oder sah sie sich vielleicht in einer Tunika, so wie Männer sie vermutlich halten würden?
»Wäre ich eine Sklavin, die sich gerade zufällig hier aufhält«, sagte sie, »was, glaubst du, würde man mit mir machen?«