Unwillkürlich mußte ich lächeln.
Sollte sie doch auf dem Thron von Ar sitzen. Unter dem ausladenden und kostbaren, verzierten und geschmückten Gewand der Ubara würde sie nichts weiter als meine nackte Sklavin sein.
Draußen auf den Stufen ertönte ein Geräusch.
Vielleicht vergaß sie ja im Laufe der Zeit, daß sie eine Sklavin war, und hielt sich dann wieder für die Ubara von Ar. Andererseits würde sie bestimmt gelegentlich, vielleicht in einem unbehaglichen Augenblick, sich wieder an diese Tatsache erinnern. Ich hatte nicht den geringsten Zweifel, daß sie dann in der Nacht beim geringsten Laut zusammenzuckte, still in der Dunkelheit lag und sich fragte, ob sie wohl allein war. Oder ob ich gekommen war, um meine Sklavin zu holen.
Meine Gedanken schweiften zu Ar und seiner Lage ab. Ich dachte an das Vosk-Delta und die Katastrophe, die sich dort ereignet hatte, und an die Veteranen, die aus dem Delta zurückgekehrt waren. Obwohl ich kein Arer war, machte es mich so zornig, daß sie trotz ihrer Loyalität und Opferbereitschaft, ihres Diensteifers, ihres Muts und ihrer Hingabe von ihren Mitbürgern nichts als Spott und Verachtung erhalten hatten, daß sie die Verhöhnung ertragen mußten, die die Parteien in Gang gesetzt hatten, die von der Verdrehtheit einer solchen Politik profitieren wollten, um sie für ihre eigenen Ziele zu benutzen. Eines dieser Ziele bestand darin, Ar in einen Zustand noch größerer Schwäche und Verwirrung zu stürzen, den Willen und den Stolz seiner Bürger zu schwächen, um den Stadtstaat noch mehr der Gnade seiner Feinde auszuliefern. Und interessanterweise hatte es den Anschein, daß viele Arer, vor allem die Jugend, die Unerfahrenen, die Leichtgläubigen und vielleicht auch jene, die Mühsal, Verantwortung und Gefahr scheuten, die immer nur genommen und nie gegeben hatten, daß all jene die größte Bereitschaft zeigten, Cos’ durchsichtige Lügen aufzusaugen wie ein Hund, der das Wasser einer Pfütze aufschlabbert. Um sich hinterher dann an den Entschuldigungen für ihre Feigheit festzuklammern; diese Leute besaßen sogar die Frechheit, ihren mangelnden Mut als eine neue Tugend darzustellen, einen neuen, der Zeit angepaßten, verbesserten Mut.
Wie ungerecht war das gegenüber dem aufgeweckteren Teil der Jugend, der die Propaganda durchschaute, die jungen Männer, die, ohne das man es ihnen sagen mußte, genau erkannten, was man ihnen und ihrer Stadt antat, die sich schämten, in denen die Empörung loderte, die sich an die einstige Pracht Ars erinnerten und in denen das Blut ihrer Väter und die Hoffnung für die Zukunft floß!
Aber vielleicht irrte ich mich auch, vielleicht waren es gar nicht die Jungen und die Alten. Vielleicht standen auch einfach nur die Menschen, die bereit waren, zu arbeiten und zu dienen, jenen gegenüber, die es vorzogen, von der Arbeit anderer zu profitieren. Trotzdem war es einigermaßen unverständlich, daß die Bürger, die nicht durch das Delta gewatet waren und sich nicht den Pfeilen der Rencebauern und den Speeren von Cos entgegenstellt hatten, sich öffentlich den Veteranen als überlegen darstellten, die sie – indem sie den Parolen Cos’ gehorchten – mit Spott überhäuften und der Lächerlichkeit preisgaben.
Warum kehrten diese Veteranen überhaupt nach Ar zurück, ein Ar, das ihrer so unwürdig war?
Sie taten es, weil dort ihr Heimstein war. Aber daraus folgerte, daß sie eine Macht darstellten. Und so mußte Cos von neuem versuchen, sie zu verleugnen, ihren Einfluß zu untergraben, das Volk gegen sie aufzuhetzen. Es heißt, die Männer, die die städtischen Anschlagtafeln beherrschen, beherrschen die Stadt. Aber ich war mir da nicht mehr so sicher. Goreaner sind nicht dumm. Es ist schwierig, sie mehr als einmal zu täuschen. Sie vergessen die Vergangenheit nicht. Sicher, Cos konnte sich auf jene verlassen, die in seiner Vormachtstellung ihre Interessen am besten vertreten sahen, und viele dieser Leute nahmen hohe Ämter ein, saßen sogar im Zentralzylinder. Auch würde Cos’ unablässige Gehirnwäsche nicht völlig fruchtlos bleiben. Solche Anstrengungen produzieren Marionetten, Legionen von Kreaturen, die von Werten überzeugt sind, die sie niemals auch nur im Ansatz hinterfragt haben. Aber ich war davon überzeugt, daß es auch Bürger gab, für die ein Heimstein der Heimstein war und nicht nur ein Stück Felsen.
Ich dachte über das Ar unter dem Joch der Cosianer nach, über Hoffnung und Stolz, über die Deltabrigade. Ich dachte an Seremides, den ich vor langer Zeit gekannt hatte, damals während der Ära des Cernus’. Ich hatte der Sklavin mutige Worte gesagt, aber wer konnte schon wissen, was die Zukunft brachte? Und ich dachte an Marlenus von Ar, der zweifellos in den Voltaibergen bei seiner Strafexpedition gegen Treve getötet worden war. Seine von Jards blankgepickten Gebeine lagen mit Sicherheit in einer abgelegenen Schlucht in den Voltai. Welche Macht – ob die des Menschen oder der Natur – hätte ihn sonst von den Mauern von Ar ferngehalten?
Draußen vor der Tür quietschten Bodenbretter.
Ich lag still da. Dann rollte ich zur Seite und tastete nach dem Messer, das neben der Decke lag. Ich fand es. Ich zog es aus der Scheide und legte es wieder ab. Dann wickelte ich die Decke um meinen linken Unterarm. Ich nahm das Messer und erhob mich lautlos. Ich glaube nicht, daß ich gern der erste Mann gewesen wäre, der durch diese Tür treten würde. Unter der Tür schimmerte kein Licht hindurch, also hielt derjenige, der auf der anderen Seite stand, keine Lampe. Ich stand nicht direkt vor dem Holz. Die Eisenspitze eines aus nächster Nähe abgefeuerten Armbrustbolzens konnte eine so primitive Tür mühelos durchschlagen und sich in die gegenüberliegende Wand bohren.
Ich hörte, wie die Klinke niedergedrückt wurde und sich jemand leicht gegen die Tür stemmte. Natürlich war der Riegel vorgeschoben. Man würde sie schon eintreten müssen.
Dann hörte ich, wie jemand leise anklopfte.
Ich reagierte nicht.
Ich wartete.
Nach einer kleinen Pause klopfte es vier Mal. Kurz darauf wiederholte sich dies.
Ich war völlig überrascht. Ich warf die Decke zu Boden, steckte das Messer in den Gürtel und schob den Riegel nach hinten. Dann trat ich zurück, während sich die Tür öffnete.
»Ich gehe mal davon aus, daß man unbeschadet eintreten kann«, sagte eine Stimme.
»Ja.« Ich hätte auf ähnliche Weise gezögert, spät in der Nacht ein dunkles Zimmer eines insulas zu betreten.
»Ich war unvorsichtig. Wächter haben mich gesehen.«
»Komm rein.«
»Ich konnte ihnen entwischen. Sie suchen jetzt in den westlichen Straßen.«
»Was tust du hier?« fragte ich.
»Ich war mir nicht sicher, ob du noch hier bist.«
»Ich hielt es nicht für klug, plötzlich meine Unterkunft zu wechseln.«
»Ich schätze, du kannst dir die Miete mit deinem Sold leisten.«
Ich hantierte an der Lampe herum und entzündete sie.
Nach dem ersten Anklopfen, das den Bewohner aufmerksam gemacht hatte, waren die Klopfzeichen in Vierergruppen erfolgt. Der vierte Buchstabe im goreanischen Alphabet ist das Delka.
»Warum bist du zurückgekommen?« fragte ich.
»Ich bin nie fortgewesen«, antwortete er.
»Wo ist Phoebe?«
»Die ist mit einer Haube über dem Kopf versehen hinter einem der Wagen deines Freundes Boots Tarskstück angekettet. Ich habe sie mit eigenen Händen dort festgemacht.«
»Also glaubt sie, daß du sie begleitest?«
»Morgen früh wird sie die Wahrheit entdecken.«
»Sie wird dir nachreisen wollen«, sagte ich.
»Sie ist eine Frau«, erwiderte er. »Ketten werden sie dort festhalten, wo ich sie haben will.«
»Sie wird untröstlich sein.«
»Die Peitsche wird sie beruhigen.«
»Du weinst«, stellte ich fest, als das Licht endlich brannte.
»Das ist nur der Rauch von der Lampe.« Er blickte sich um. »Gibt es hier etwas zu essen?«
»Ein Stück Brot«, sagte ich und zeigte auf einen Klumpen, der am Boden lag.
Er nahm es und biß gierig hinein.
»Anscheinend qualmt die Lampe noch immer«, meinte ich.
»Ist mir gar nicht aufgefallen«, erwiderte er.