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Der große Mann steckte das Messer zurück und stellte sich auf den leeren Weinschlauch. »Ich habe gewonnen«, verkündete er.

»Der Schlauch ist zerstört«, sagte der Besitzer. »Der Wein ist weg.«

»Aber ich habe gewonnen«, sagte der Bärtige.

Der Besitzer des aufgeschlitzten Weinschlauchs verstummte.

»Zwanzig Mann waren bei mir«, sagte der große Mann. »Allein ich überlebte.«

»Er gehört zu der Bauernwehr!« rief da einer der Zuschauer. Man hatte Bauernwehren als Verstärkung für die restlichen regulären Truppen aufgestellt.

Plötzlich rief alles durcheinander.

»Berichte! Sprich!«

»Der Schlauch ist aufgeschlitzt«, sagte der Mann. »Der Wein ist weg!«

Dann nahm er den Umhang ab und legte’ ihn sich über den Arm.

»Er ist verwundet!« sagte ein Mann. Die linke Seite der Tunika des Bauern war blutverkrustet. Der Umhang war daran festgeklebt, als er ihn abnahm.

»Berichte!«

»Ich habe gewonnen!« sagte der Bärtige.

»Er spricht im Fieberwahn«, sagte einer der Zuschauer.

»Nein!« widersprach ich.

»Ich habe gewonnen«, sagte der Bärtige mit dumpfer Stimme.

»Ja«, sagte ich. »Du hast auf dem Schlauch gestanden. Du hast gewonnen.«

»Aber der Schlauch ist zerstört, der Wein versickert«, sagte ein Mann.

»Aber er hat gewonnen«, beharrte ich.

»Was ist im Westen geschehen?« wollte ein anderer Mann wissen.

»Ar hat verloren«, sagte der Bärtige.

Die Umstehenden blickten sich fassungslos an.

»Die Flaggen Cos’ bewegen sich auf die Tore von Ar zu«, sagte der Bärtige.

»Nein!«

»Ar ist wehrlos«, stöhnte jemand.

»Schlagt die Alarmstäbe!« schluchzte ein anderer. »Die Stadt muß die Tore versiegeln.«

Ich hatte eine ziemlich genaue Vorstellung von der Macht Cos’. Ich hatte auch eine ziemlich genaue Vorstellung von den Streitkräften, die sich in Ar befanden und hauptsächlich aus Stadtwächtern zusammensetzten. Ar würde keiner Belagerung standhalten.

»Ich habe gewonnen«, sagte der Bärtige.

»Und wieso hast du gewonnen?« fragte ein Mann wütend.

»Ich habe überlebt.«

Ich betrachtete den aufgeschlitzten Weinschlauch und den geröteten Staub. Ja, dachte ich, er gehört zu der Sorte von Mann, die überleben werden.

Zuschauer flohen aus der Runde. In weniger als einer Ihn war das Lager in Aufruhr.

Zelte wurden umgerissen.

Eine Sklavin rannte vorbei.

Aus Ar drang der Klang von geschlagenen Alarmstäben heran. Einige Insassen des Lagers schienen zu jammern. Aber die meisten, vor allem die Bauern, schienen ihre Besitztümer zusammenzusuchen.

Der bärtige große Kerl saß nun auf dem Boden und drückte weinend den feuchten Weinschlauch an die Brust.

Ich blieb eine Zeitlang dort stehen, die Sandalen in der Hand.

Männer hasteten an mir vorbei, zogen ihre Wagen und Karren. Einige hatten ihre Sklavinnen davorgekettet. Ein Teil der Frauen stand auch dahinter und schob. Tharlarion brüllten, als sie angeschirrt wurden.

»Wie weit ist Cos entfernt?« fragte ich den Bärtigen.

»Zwei, drei Tage«, erwiderte er.

Mir wurde klar, daß es von Myrons Entscheidung abhing, wie viele Tagesmärsche er befehlen wollte. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß er seine Männer antrieb. Er war ein ausgezeichneter Befehlshaber, und ich entnahm dem Gehörten, daß es nicht den geringsten Grund zur Eile gab. Möglicherweise ließ er seine Männer sogar einen Tagt oder zwei Tage ausruhen. Auf jeden Fall würde er sie frisch und munter vor die Tore Ars führen.

Ich zog die Sandalen an.

Viele der Lagerfeuer waren gelöscht worden. Unter Umständen würde es schwierig werden, den Rückweg zum Zelt zu finden.

»Alles in Ordnung mit dir?« fragte ich den Bärtigen.

»Ja«, sagte er.

Ich blickte zu den Mauern von Ar herüber. Hier und dort huschten Schatten an den Tarnfeuern vorbei; die Tarnsmänner kehrten zurück.

Ich blickte nach Westen. Irgendwo dort draußen standen die Truppen von Cos, deren Appetit vom Sieg angeregt worden war. In weniger als einer Woche stünden sie in Sichtweite von Ar, begierig auf den Kampf und auf Beute. Ich lauschte den Tönen der Alarmstäbe aus der Ferne, aus der Stadt. Ich fragte mich, wie ihre freien Frauen heute nacht wohl schlafen würden. Würden sie sich voller Furcht auf ihren mit Seidenlaken bezogenen Betten herumwerfen? Ich fragte mich, ob sie in dieser Nacht ihre Abhängigkeit von den Männern besser begriffen als in anderen Nächten. Sicherlich wußten sie tief im Innern ihrer hübschen Körper, daß sie genau wie die Sklavinnen in ihren Käfigen Kriegsbeute darstellten.

»Betet zu den Priesterkönigen! Betet zu den Priesterkönigen!« schluchzte ein Mann.

Ich stieß ihn beiseite und suchte mir meinen Weg durch die Menschenmenge, vorbei an den Wagen und den Tharlarion. Ein paar Ehn später war ich an unserem Zelt angelangt.

4

»Schmähe den Heimstein von Ar-Station, solange du noch kannst«, sagte der Wächter zu einem Kaufmann. »Wir wissen nicht, was die Zukunft bringt.«

»Nein«, sagte der Kaufmann und blickte sich um. Er wußte nicht, wer sich unter Umständen in der Menge aufhielt oder wo die Sympathien lagen. Also trat er nicht zwischen die Samtkordeln, die einen Korridor zu dem abgesperrten Platz bildeten, auf dem der Stein ausgestellt war.

»Ich habe keine Angst, es zu tun«, verkündete ein kräftiger Bursche aus der Kaste der Metallarbeiter.

»Ganz ruhig«, raunte ich Marcus zu, der neben mir stand.

»Ich fürchte auch nicht die Legionen von Cos, genausowenig wie ihre Anhänger oder Spione!« verkündete der Metallarbeiter. »Ich bin ein Bürger Ars!« Er trat zwischen den Seilen zu dem Stein, der auf einer Planke lag, die wiederum auf zwei großen Terracottafässern von der Art ruhten, in die man in insulae die Nachttöpfe ausleerte. In der Regel holt man diese Fässer ein- oder zweimal wöchentlich ab und kippt ihren Inhalt dann in eine der vor der Stadt befindlichen Carnaria, spült sie aus und bringt sie zum insula zurück.

»Ar-Station soll verflucht sein«, rief er, »eine ehrlose Stadt, korrupt, eine Zuflucht für Schurken, Heim von Feiglingen, die die Vaterstadt verraten hat! Nieder mit Ar-Station! Es soll verflucht sein!« Dann spuckte er auf den Heimstein.

»Ganz ruhig«, flüsterte ich Marcus zu. »Ganz ruhig.«

Ohne sich umzusehen, ging der Mann zwischen den Absperrungsseilen auf der anderen Seite wieder aus dem Kreis.

Gestern noch hatte es hier Warteschlangen gegeben, um den Stein zu verspotten, obwohl sie kürzer als noch bei unserem Eintreffen in der Stadt gewesen waren. Heute war so gut wie niemand gekommen. Der abgesperrte Platz lag in Sichtweite des Zentralzylinders, auf der Straße des Zentralzylinders.

Ich ergriff Marcus’ Handgelenk, um ihn daran zu hindern, das Schwert zu ziehen. »Vergiß nicht, sie glauben, daß Ar-Station Cos die Tore geöffnet hat.«

»Das ist eine verfluchte Lüge!« stieß er hervor.

»Allerdings«, sagte ich ziemlich laut, weil ich bemerkt hatte, daß sich einige Passanten nach Marcus umdrehten, »ist es eine verfluchte Lüge, auch nur anzudeuten, den Männern von Ar fehle es an Mut. Sie gehören zu den Tapfersten von ganz Gor.«

Mehr als nur einer der Umstehenden stimmte mir lautstark zu und kümmerte sich dann wieder um seine eigenen Angelegenheiten.

»Komm weg von hier«, sagte ich zu Marcus.

Phoebe war nicht bei uns. Wir hatten bei einem der Mietwagendepots auf der Straße der Wagen im südöstlichen Teil der Stadt haltgemacht und sie in einen Sklavenkäfig gesperrt, die Miete von einem Tarskstück bezahlt und den Schlüssel abgezogen. Das Depot war sehr überfüllt gewesen, allerdings mit Menschen und nicht mit Wagen. Die meisten Wagen, Kutschen und Mietwagen waren verschwunden. Die Fahrpläne innerhalb und außerhalb der Stadt wurden nicht mehr eingehalten. Tharlarion und Transportmittel waren mittlerweile angeblich ihr Gewicht in Gold wert. Ich hatte gehört, daß reiche Männer mehr als fünfzehn ausgebildete Sklavinnen – ausgesuchte ›Blumen‹ aus ihren Vergnügungsgärten – gegen ein einziges Tharlarion mitsamt Wagen eingetauscht hatten. Ich fragte mich nur, wie weit sie wohl kamen, wimmelte es auf den Straßen doch vor Briganten und cosischen Spähtrupps.