Keine halbe Stunde später erschien auch David bei Tony Carnera.
„Sie kommen wohl auch wegen dieses Schatzes?" fragte Carnera.
„In der Tat, ja", sagte David. „So verhält es sich. Ich habe mich überall umgehört und umgesehen, und der einzige Buchmacher, zu dem Samuel Stone ging, waren Sie. Er hat einen Hinweis darauf hinterlassen, daß Sie etwas mit diesem Schatz zu tun haben."
Der Gangster Carnera hatte inzwischen längst begriffen, daß da offenbar irgendwo sehr viel Geld lag, und er wollte seinen Anteil daran haben. Deshalb sagte er diesmal vorsichtig: „Na ja, könnte schon sein, daß ich etwas von diesem Schatz weiß. Was schaut denn für mich dabei heraus, wenn ich ihn ausliefere?"
„Von mir bekommen Sie zehn Prozent", sagte David. Tony Carnera verkniff es sich, laut herauszuprusten. Zehn Prozent, was dachte der Mann sich? Er wollte ohnehin in Wirklichkeit alles haben.
„Na gut", sagte er, „geben Sie mir etwas Bedenkzeit. Ich melde mich bei Ihnen."
David ließ ebenfalls seine Visitenkarte da.
Als er fort war, überlegte sich Tony Carnera: Der alte verrückte Geizkragen Stone hat also einen Haufen Geld hinterlassen. Na, da will ich mal dafür sorgen, daß ich es für mich allein in die Finger bekomme. Zum Teufel mit diesen anderen!
Einer seiner Leibwächter kam herein und sagte: „Da ist eine Frau Stone draußen, die zu dir will."
Carnera blieb erst noch eine Weile nachdenklich sitzen. Aha, dachte er, also auch seine Witwe kommt her. Na, die wird ja wohl wissen, wo der Schatz ist. „Laß sie herein", sagte er.
Die Witwe kam hereingestelzt. Sie war jung und hübsch und hatte eine gute Figur. Sie war früher Nachtclubtänzerin gewesen, als Stripperin. Dort hatte Samuel Stone sie auch kennengelernt. Er hatte sich in ihren schönen Körper verliebt und sie sich in sein Geld. So wurde es eine perfekte Ehe. „Ich bin Mrs. Samuel Stone", stellte sie sich vor.
Er musterte sie anerkennend. „Sehr erfreut, Sie kennenzulernen, Mrs. Stone."
„Meines Wissens standen Sie in Geschäftsbeziehungen zu meinem Mann."
„Das kann man wohl sagen."
„Ich habe Anlaß, zu glauben, daß Sie wahrscheinlich wissen, wo sich ein Teil seines Vermögens befindet... das ja jetzt mir gehört."
Und da hatte Tony Carnera eine blendende Idee. „Das trifft tatsächlich zu", sagte er.
„Wußte ich es doch!" rief die Witwe. „Wo ist es ?"
„Ich führe Sie gerne hin", sagte Carnera.
„Ist es irgendwo vergraben?"
„In gewisser Weise, ja."
„Können wir jetzt gleich dorthin?"
„Selbstverständlich. Ich hole nur noch meinen Mantel, dann fahren wir gleich los."
Eine halbe Stunde später fuhren sie an der Küste von New Jersey entlang. Es war eine sehr abgelegene und einsame Gegend mit nur ein paar vereinzelten Autos und sonst keiner Menschenseele weit und breit.
„Ist es noch weit?" fragte die Witwe.
„Nein", sagte Carnera. „Wir sind gleich da."
Hinten im Wagen saßen seine beiden Leibwächter. Tony Carnera hatte ihnen seinen Plan bereits erklärt, und sie fanden ihn großartig. Ihr Boß, dachten sie, war so raffiniert!
Sie kamen zu einem Haus an einem einsamen Strand, und Carnera sagte: „Hier ist es."
„Da drinnen ist der Schatz?" fragte die Witwe aufgeregt. „Ja."
Sie gingen alle vier in das Haus hinein, die Witwe, Tony Carnera und seine beiden Leibwächter. Die Witwe sah sich ungeduldig um. „Wo ist er, der Schatz?"
Tony Carnera musterte sie eindringlich: „Ich stehe davor." „Was?"
„Sie sind der Schatz, Schwester." „Was soll das denn heißen?"
„Es soll heißen, wenn da so eine Menge Geld in der Gegend herumschwirrt, dann wird es ja wohl jemanden geben, der bereit ist, ein Vermögen zu bezahlen, um Sie zurückzuerhalten. Sie sind soeben entführt worden."
Die Witwe wurde blaß. „Entführt? Das können Sie doch nicht machen!"
„Ich habe es gerade getan. Sie bleiben hier, bis die anderen eine Million Dollar Lösegeld für Sie bezahlen. Für die Familie Stone ist eine Million doch ein Klacks." Und er befahl seinen Leibwächtern: „Fesselt sie!"
Die Witwe begann zu schreien und sich zu wehren, aber das war natürlich sinnlos. Im Handumdrehen war sie an einen Stuhl gefesselt.
„Sie bleiben hier, bis das Geld da ist", sagte Carnera. Er kicherte. „Ich habe den Schatz ja gefunden, nicht wahr?"
Früh am nächsten Morgen wurde im Hause Stone eine Nachricht abgegeben. Sie lautete: „An den, der dafür zuständig ist. Samuel Stones Witwe ist gekidnappt worden und in unserer Hand. Wenn Sie sie lebendig wiederhaben wollen, müssen Sie ein Lösegeld von einer Million Dollar in kleinen, nicht gekennzeichneten Banknoten bezahlen. Sie werden um I3 Uhr angerufen und instruiert, wie die Geldübergabe zu erfolgen hat."
Der Neffe öffnete den Brief und las ihn dreimal durch. Er konnte es kaum glauben. Seine angeheiratete Tante war entführt worden! Das bedeutete, sie war aus dem Weg! Jetzt brauchten sie den Schatz nicht mehr mit ihr zu teilen!
Er sagte den anderen nichts von dem Brief. Am Ende waren sie noch närrisch genug und versuchten, sie tatsächlich loszukaufen! Es gelang ihm, es so einzurichten, daß er am Telefon war, als es um ein Uhr mittags klingelte. Er hob ab und sagte: „Hallo?"
Eine rauhe Stimme sagte: „Ist dort das Haus von Samuel Stone?"
„Ja."
„Haben Sie den Brief bekommen?"
„Ja."
„Sind Sie bereit zu zahlen?"
„Nein", sagte der Neffe.
Die Stimme am Telefon klang sehr verwundert.
„Was?"
„Sie haben es gehört", sagte der Neffe. „Behalten Sie sie!" Und er legte auf und lachte laut. „Wer war das?"
Der Neffe blickte überrascht hoch. Der Anwalt stand da und sah ihn an. So etwas Dummes, dachte der Neffe. Jetzt muß ich ihm wohl sagen, daß die Witwe entführt worden ist, und dann wird er vermutlich das Lösegeld bezahlen wollen. „Ich habe schlimme Nachrichten", sagte er. „Jemand hat die Witwe entführt!"
Der Anwalt lächelte erfreut. „Das ist eine wundervolle Neuigkeit! Das bedeutet, wir können den Schatz suchen und heben und brauchen ihr keinen Anteil abzugeben!" „Natürlich!" rief der Neffe voller Freude. „Sehr richtig! Und alles gehört dann uns!"
Aber der Anwalt sagte: „Es ist besser, wenn wir David nichts davon sagen.. Der ist so ein sentimentaler Narr, daß er bestimmt das Lösegeld zahlen und sie retten will."
In dem einsamen Strandhaus sagte die Witwe zu Tony Carnera: „Was soll das heißen, man will das Lösegeld für mich nicht bezahlen? Das ist doch lächerlich!" „Keine Bange", sagte Carnera, „die zahlen schon." „Meinen Sie?"
„Aber ja. Ich schicke ihnen einen von Ihren Fingern und dann eines Ihrer Ohren. Die erhalten sie nach und nach, Stück für Stück, bis sie mit dem Geld rüberkommen" Die Witwe war schockiert. „Das können Sie doch nicht tun!" Der Gangster kam zu ihr. Sie war noch immer an den Stuhl gefesselt. „Wer sagt, ich kann nicht? Ich gebe denen eine Woche, die Million Dollar herauszurücken. Wenn sie es nicht tun, befasse ich mich näher mit Ihnen."
„Sie werden nicht wagen, mir etwas anzutun! Ich bin die Witwe von Samuel Stone!"
„Wenn das Geld nicht kommt", sagte Tony Carnera ungerührt, „sind Sie bald wieder mit ihm vereint."
Carnera telefonierte noch einmal. Dieses Mal war der Anwalt am Apparat. „Ist dort das Haus von Samuel Stone?"
„Ja."
„Hören Sie gut zu. Wir haben seine Witwe, und wenn Sie sie jemals lebend wiedersehen wollen, dann bezahlen Sie gefälligst eine Million Dollar. Ich gebe Ihnen sieben Tage Zeit." „Aha. Wer spricht denn da?"
„Das werde ich Ihnen gerade sagen, Sie Schlauberger. Bezahlen Sie oder nicht?"
„Aber selbstverständlich", log der Anwalt. Er hatte natürlich in Wirklichkeit keine Absicht, auch nur einen Dollar zu bezahlen. „Ich brauche nur etwas Zeit, das Geld zusammenzubekommen."