Alle waren sogleich auf den Beinen. „Wir haben es gefunden, David! Wir sind alle daran beteiligt!"
„Nein", sagte David entschieden. „Der Erlös geht in die Wohltätigkeit, und dagegen könnt ihr nichts machen." Am nächsten Montag saß die ganze Gruppe dann erneut vor dem Fernseher in der Bibliothek und wartete auf den Hinweis für die nächste Schatzsuche.
4. KAPITEL
Es war Montag vormittag, der Tag, an dem sie alle wieder in die Bibliothek gingen, um den Fernseher anzustellen und zu hören, was Samuel Stone diesmal an Hinweisen zum Auffinden des nächsten Teils seines enormen Vermögens zu geben hatte.
Er hätte seinen Verwandten ja das Geld ganz einfach hinterlassen können. Aber er war ein sadistischer Mensch gewesen, dem es Freude machte, sie leiden zu lassen. Und darum hatte er sein Testament in verschiedene Schatzsuchejagden aufgeteilt.
Sie waren alle wieder anwesend - seine Witwe, sein Neffe, sein Rechtsanwalt und David, der junge Mann, der die Samuel-Stone-Stiftung für die Armen leitete. Er war der einzige sympathische Mensch im Raum. Die anderen hätten jederzeit auch einen Mord begangen, um an das Vermögen von Samuel Stone zu gelangen.
Der Butler kam herein und stellte den Fernseher an. Wieder erschien Samuel Stones Kopf auf dem Bildschirm. „Also", sagte seine Stimme vom Videoband, „ich nehme an, ihr seid alle wieder versammelt, um den nächsten Teil meines Geldes zu suchen. Ich sage noch mal, daß eigentlich keiner von euch auch nur einen Teil davon verdient. Na gut. Wollen mal sehen, wie intelligent ihr diesmal seid. Ich bin zwar schon tot, aber ich kann euch noch richtig zusetzen. Glaubt ihr an Geister? Ich jedenfalls ja, und ich sage euch, es gibt ein Haus, in dem es spukt. Wenn ihr es findet, müßt ihr dort eine Nacht verbringen. Und einer von euch wird danach reicher sein." Er lachte böse und verschwand vom Bildschirm. Der Butler schaltete das Gerät aus.
„Ist das alles?" keifte die Witwe sofort. „Was für ein Hinweis soll das sein?"
„Ein Haus, in dem es spukt?" sinnierte der Anwalt. „Wir sollen eine Nacht in einem Haus verbringen, in dem es spukt?" „Dabei wissen wir nicht einmal, wo es ist", sagte der Neffe. „Aber ich glaube sowieso nicht an Geister, also auch nicht an ein Haus, in dem es spukt."
„Ja, aber es sieht so aus, als ob Samuel Stone daran glaubte", antwortete ihm der Anwalt.
Alle wandten sich wieder David zu, der der Klügste von ihnen war.
„Was meinen Sie, David? Ist dies ein schlechter Scherz?" „Mr. Samuel Stone war kein Mann, der Scherze machte", sagte David. „Ich weiß nicht, ob es ein Haus gibt, in dem es spukt. Der entscheidende Punkt ist aber, daß er offenbar daran glaubte. Also müssen wir dieses Haus finden und die Nacht darin verbringen. Offensichtlich befindet sich der nächste Schatz in diesem Hause."
„Aber wie sollen wir es finden?" fragte die Witwe. David sagte zum Anwalt: „Haben Sie eine Liste aller Immobilien, die Samuel Stone besaß?" „Selbstverständlich." „Haben Sie jemals etwas gehört, daß es in einem dieser Häuser spuken soll?"
„Ach was, natürlich nicht", erwiderte der Anwalt unwirsch. „Das Ganze ist völlig lächerlich."
„Trotzdem hätte ich gern die Liste", sagte David. . „Und ich auch", kam die Witwe dazu. „Ich ebenfalls", sagte der Neffe. Alle hatten sie keine Ahnung, was sie mit dieser Liste tatsächlich machen sollten, es wollte nur keiner, daß sich David einen Vorsprung verschaffte. „In einer Stunde habt ihr sie", versprach der Anwalt.
Als David die Liste des Immobilienbesitzes von Samuel Stone durchging, kam er aus dem Staunen nicht mehr heraus. Samuel Stone hatte Bürogebäude und Hotels besessen, Golfplätze und Fitneßzentren und große Miethäuser. Aber einzelne Häuser gab es nur drei. War eines dieser drei vielleicht das, in dem es angeblich spukte?
David rief einen befreundeten Reporter an. „Ich weiß, das ist eine merkwürdige Frage", sagte er zu ihm, „aber wissen Sie vielleicht, ob an einem dieser Häuser irgend etwas ungewöhnlich ist?"
Er las ihm die erste Adresse vor. „Nein", sagte der Reporter. „Nie gehört." David sagte ihm die zweite Adresse. „Auch davon habe ich nie etwas gehört."
Dann las er ihm auch noch die dritte Adresse vor. „He!" sagte der Reporter. „Da klingelt es bei mir! In diesem Haus ist mal irgend etwas passiert, wenn ich mich recht erinnere. Ja, jetzt weiß ich es wieder. Vor ein paar Jahren ist in dem Haus eine Familie ermordet worden. Seitdem heißt es, daß es dort spuken soll."
David wurde ganz aufgeregt. „Besten Dank auch", sagte er. Niemand von den anderen, wären sie an eine solche Information gekommen, hätte sie David mitgeteilt. Aber David war ein ehrlicher Mensch und sah es als seine Pflicht an, die anderen davon zu unterrichten, daß er wußte, um welches Haus es sich handelte, in dem es angeblich spukte. Als sie es hörten, waren sie begeistert. Aber David warnte sie. „Ich weiß schon, was ihr vorhabt", sagte er. „Ihr wollt alle allein hin und den Schatz einkassieren. Aber denkt daran, was Mr. Stone gesagt hat: Wir müssen alle zusammen hin und eine Nacht dort verbringen."
„Aber natürlich, David", heuchelte die Witwe. „Wir würden doch nicht im Traum daran denken, dich zu hintergehen! Wo es doch so intelligent von dir war, das Haus überhaupt zu finden." Sie lachte. „Selbst wenn es dort nicht wirklich spukt." „Natürlich nicht", sagte der Anwalt. „So etwas wie Häuser, in denen es spukt, gibt es nicht." Anwälte glauben niemals etwas, solange sie es nicht schwarz auf weiß vor sich sehen. Und nicht einmal dann glauben sie es.
„Wann gehen wir hin?" fragte die Witwe.
„Na, jetzt gleich", meinte der Neffe. „Je eher wir dort sind, um so eher finden wir den Schatz."
Damit waren alle einverstanden.
„Heute abend um sieben, wenn es dunkel wird, treffen wir uns in dem Haus und suchen nach dem Schatz." Jeder nickte dazu. David gab ihnen die Adresse.
Die Witwe hatte keinerlei Absicht, bis zum Abend zu warten. Sie wollte vor den anderen dort sein, den Schatz finden und dann gleich wieder verschwinden.
Die gleiche Idee aber hatten auch der Neffe und der Rechtsanwalt. Und so liefen sie alle drei vor dem Haus ineinander hinein.
„Was macht ihr beiden denn hier?" fragte die Witwe. „Genau dasselbe wie du", sagte der Neffe.
„Und wie ich"; ergänzte der Anwalt. „Wir sind alle hinter demselben her. Also finden wir es, bevor David kommt." Das Haus war alt und windschief. Es war verlassen und unbewohnt, seit sich der Familienmord darin ereignet hatte. Niemand wollte mehr darin leben.
„Irgendwie sieht es gespenstisch aus", meinte die Witwe. „Wo man hinschaut, sind Spinnweben." Sie wischte sich angeekelt eine aus dem Gesicht.
„Machen wir es doch so", sagte der Anwalt, „ihr beiden sucht unten und ich oben."
„Nein, nein, nein", erhob die Witwe Einspruch. „Wir bleiben alle schön zusammen."
Sie begannen unten und suchten in jedem Winkel und jeder Nische. Sie hatten keine Ahnung, wonach sie suchten, wußten aber, daß sie es schon wissen würden, sobald sie es nur fanden. Es mußte etwas sehr Wertvolles sein.
Sie machten Schränke und Schubladen auf und durchsuchten jeden Raum gründlich, rückten sogar die Möbel beiseite und schoben die Vorhänge weg, aber alles war umsonst. „Das ist anscheinend nur ein schlechter Scherz", sagte die Witwe. „Gehen wir."
„Das können wir nicht", erinnerte sie der Anwalt. „Es hat doch geheißen, wir müssen die Nacht hier verbringen. Außerdem wird sowieso bald David kommen. Der ist sehr intelligent, vielleicht findet er ja etwas."
Also gingen sie alle drei nach unten und setzten sich in den Wohnraum, um dort auf David zu warten.