Sie erinnerte sich daran, daß Daniel nach dem Sex immer schläfrig wurde. In jenem Zustand würde er ihr alle Stühle für Professor Krawschensky überlassen, die sie von ihm forderte.
»Daniel! Wie geht es dir? Ermüdet von der vielen Arbeit?«
Er zuckte zusammen, und die Papiere, die er auf die Schenkel gelegt hatte, flatterten zu Boden.
»Verdammt noch mal, Liza, kannst du denn nicht anklopfen?«
»Du hast geschlafen.«
»Das ist nicht wahr.«
»Wenn ich jetzt der Gründer gewesen wäre?«
»Dann hätte ich dich bereits gehört, wenn du noch eine halbe Meile entfernt gewesen wärest. Jede Arbeit – jede echte Arbeit – kommt zum Stillstand, wenn der Gründer im Dorf ist. Dann spielt die Dorfkapelle, die Raketen steigen in den Himmel, es gibt Turnübungen auf der Wiese und Inspektionstouren durch die Abteilungen.«
Er versuchte, die Papiere vom Boden aufzusammeln, ohne die Füße vom Tisch zu nehmen. Liza trat näher und kitzelte ihn am leimbekleckerten Spann.
»Hast du schlechte Laune, Dan?«
»Damit du es gleich weißt, Liza« – er bewegte ungeduldig die Zehen –, »wenn Krawschensky dich hierhergeschickt hat, ist die Antwort ›nein‹.«
»Was nein.«
»Leider nein. Keine Kaffeekannen, keine Schirme, keine Stühle, keine Uhren, keine gestickten Pantoffeln. Ich habe meine Anweisungen. Wenn er Geräte aus den Werkstätten braucht, hat er Pech gehabt. Sag ihm, er soll seine verdammte chronomische Harmonie an dem Strandgut in der Bucht ausprobieren.«
»Du bist gemein. Er hat mich hierhergeschickt, aber wegen einer Rolle chronomischen Filtermaterials.« Das andere hatte noch Zeit. Daniel war fünfunddreißig und liebte noch Ausdrücke der Twen-Generation. »Also hab dich nicht so.«
Er nahm seine Füße vom Tisch und füllte bedächtig eine Ausgabeliste aus. Er war ein gutaussehender Mann. Obgleich er in einer leitenden Position war, vermied er das Image des Managers und hatte sich einen Bart stehen lassen. Er trug ein schickes Schulterholster für die Brieftasche, das Taschentuch und die Schreibstifte, und seine Haut war raffiniert tätowiert. Sie mochte Männer, die sich pflegten, gut entwickelte Brustmuskeln besaßen und sie vorteilhaft zur Geltung brachten.
»Eine Rolle Filtermaterial.« Er setzte seine Unterschrift unter die Liste. »Ich werde einen der Männer das Zeug aus dem Lager holen lassen.«
»Das hat noch Zeit.« Sie zog ihren weißen Kittel aus und hängte ihn an den Haken der Tür. Dann setzte sie sich auf den Schreibtischrand. »Die Leute haben Teepause. Außerdem ist es ein herrlicher Morgen. Ich dachte, wir könnten ein bißchen Spaß …«
»Sag mal, Liza«, unterbrach er sie und schraubte umständlich die Kappe auf seinen Füllhalter, »sag mal, warum hat es denn der Professor so sehr mit den Artefakten? Tut mir leid, wenn ich dir stur vorkomme; aber ich sehe nicht ein, warum er nicht etwas anderes als Versuchskaninchen verwendet. Zumindest so lange, bis er sicher ist, daß er das Inventar nicht sofort wieder abschreiben muß.«
Liza lehnte sich vor und glättete das bereits glatte Haar auf Daniels Brust. In einem anderen Jahrzehnt hätte sie eine bereits glatte Krawatte glattgezogen.
»Er macht sich solche Sorgen, Daniel. Es besteht immer die Gefahr, daß er über das Ziel hinausschießt. Den genauen Zeitpunkt des Wiedereintritts einzustellen, ist sehr schwer. Wir haben dabei schon Gegenstände für immer verloren. Vielleicht können sie jede Minute wieder im Labor auftauchen, vielleicht aber auch erst, wenn wir alle längst tot und zu Staub zerfallen sind. Und der Professor will vermeiden, daß die Zukunft mit Treibgut von unserem Stand beglückt wird. Das wäre unhöflich. Siehst du das nicht ein?«
Sie ging zum Wasserkühler, obwohl sie keinen Durst hatte. Ohne Kleider war es sehr schwer, Reize richtig zur Geltung zu bringen.
»Wenn er alle Rechnungen bezahlen müßte«, erwiderte Daniel grollend, »würde er vielleicht das Ganze unter einem anderen Aspekt sehen. Ich muß schließlich für meine Bilanz geradestehen. Und ›Höflichkeit‹ als Rechtfertigung auf dem Ausgabezettel genügt leider nicht.«
»Und noch etwas kommt dazu, Daniel. Die Zukunft wird uns an den Dingen messen, die wir ihr schicken. Diese Dinge sind Botschafter unserer Lebensweise.«
»Dann müßten wir Scheiße in die Zukunft schicken, wenn wir nicht Heuchler sein wollen. Wir sollten Gase, Gifte, Müll und Scheiße schicken!«
Sie trank das Wasser aus, obwohl sie gar nicht trinken wollte, und warf den Becher in den Müllschlucker. Offenbar trieben sie immer weiter von dem Ziel ihrer Wünsche ab.
»Du solltest dich lieber etwas abregen, Dan. Jede Gesellschaft hat ihre zwei Seiten, auch unsere. An so einem Vormittag sollte man sich des Lebens freuen. In den nächsten zwanzig Minuten hast du Pause. Es täte uns beiden gut, wenn wir ein bißchen Sex treiben würden.«
»Mag sein …« Er streckte sich und besann sich dann doch anders. »Mir wäre es lieber, wenn wir noch ein bißchen reden.«
»Worüber?«
Über Sex sprach man selten. Die Gewohnheit hatte dieses Thema seiner Wirksamkeit beraubt. Seltsamerweise brauchten die Nervenenden viel länger als die geistigen Zellkerne, bis sie abgestumpft waren. Sie kauerte sich auf die Lehne von Daniels Drehstuhl.
»Worüber möchtest du reden?«
»Worüber reden wir alle hier im Dorf wohl? Wir, die Uneingeweihten, die nicht wissen, was wirklich in eurem Labor vorgeht?«
»Liest du denn nicht die Rechenschaftsberichte des Professors?«
»Tu mir einen Gefallen. Verkaufe mich bitte nicht für dumm. Der Professor war jahrelang von der Regierung angestellt. Wenn er dort nicht gelernt hat, zehn Seiten einer Regierungserklärung mit nichtssagenden Phrasen zu füllen, sollte er sein Gehalt zurückzahlen.«
»Wo hast du denn die Entwürfe für deine Tätowierungen her, Daniel? Die Farbschattierungen auf deiner Schulter sind große Klasse.«
»Lenk nicht ab, Liza. Himmel, sind wir doch alle nur zu einem Zweck in diesem Dorf versammelt worden. Wir wollen weg. Er soll uns nicht mit solchen Nichtigkeiten abspeisen. Wir haben Angst. Deshalb haben wir auch ein Recht darauf, die Wahrheit zu erfahren.«
»Ehrlich, Dan, du würdest auch die Wahrheit nicht verstehen, wenn wir sie dir Zeile für Zeile erklären würden. Sie ist viel zu kompliziert.«
»Ich bin kein Dummkopf. Ich habe die chronomische Theorie genau studiert. Weshalb machst du keinen Versuch mit mir?«
Sie legte die rechte Hand auf seinen Bauch und steckte den Mittelfinger in seinen Nabel. Er hatte den oberen Ansatz der Schamhaare zu einem Halbmond ausrasiert.
Mit dem Daumen und dem kleinen Finger drückte sie auf die Haarspitzen, als wären es Knöpfe auf dem Computer-Schaltpult.
»Ich werde mir Mühe geben, es dir zu erklären. Obwohl du wahrscheinlich halb soviel Angst bekämst, wenn du vorher mit mir ein wenig Sex treiben würdest.«
Er nahm ihre Hand weg und hielt sie sanft, taktvoll zwischen Daumen und Zeigefinger. Sie hatte »Fehltaste« gedrückt.
»Ein andermal, Liz. Ich hatte schon zwei Orgasmen mit Sarah, und drei am Vormittag machen mich so schläfrig, daß ich heute gar nichts mehr zustande bringen würde.«
Sarah war seine Assistentin. Liza spürte – und verdrängte – einen bemerkenswerten Rückfall in die Vergangenheit. Sie war eifersüchtig.
»Du mußt es ja wissen. Ich dachte nur, es würde dir Spaß machen. Schließlich gibt es ja noch andere Gelegenheiten.«
»Du bist mir deswegen nicht böse?«
»Natürlich nicht. Du mußt schließlich deine Arbeit erledigen wie alle anderen auch.«
Sie log. Natürlich hätte sie es jetzt gern gehabt. Er stand auf und legte ihr die Arme um den Hals. Eine Liebesersatzgeste. Als Antwort stupste sie ihn mit ihren harten Brustwarzen. Sechs Stupse, und sein Penis vor ihrem Venusberg reagierte immer noch nicht. Sie verlor den Mut.