»Nein, nein, ich glaube nicht, daß er das hat.« Das Mädchen hinter dem Tresen war entzückt über so viel Zuvorkommenheit. »Achtzehn Schilling fünf. Ja, genau achtzehn Schilling und fünf Pennies.«
Krancz bezahlte auf den Penny genau und trug Merv dann auf die Straße hinaus. Das Mädchen schob das Geld in ihre eigene, private Tasche.
»Sie sind Leibwächter und kein Hilfsarbeiter«, sagte Manny Littlejohn. »Geben Sie das an James weiter.«
Sie setzten ihren Weg durch die Straße fort.
Der Gründer ging jetzt langsamer, weil er beunruhigt war. Nicht durch den Tod des Mannes, sondern über seine eigene Empfindungslosigkeit dabei. In einer Welt, in der so viele Menschen starben, war es nötig, daß wenigstens einer an die Würde der Persönlichkeit glaubte und für die Unantastbarkeit menschlichen Lebens eintrat. Er fühlte sich kleiner als sonst, weil ihm das Gefühl der Tragik fehlte. Oder jedes Gefühl … Und die Leute hinter ihm, was dachten die wohl? An sich selbst natürlich, wie es diese Sorte Leute immer taten. Es war eine traurige, kranke Welt.
An der nächsten Ecke, wo die Straße steiler wurde und eine scharfe Biegung um die Fassade des alten Zollhauses herummachte, standen ein paar Polizisten beisammen und warteten darauf, daß etwas passierte. Der Leiter dieser Handvoll Polizisten trat Manny Littlejohn in den Weg und sagte: »Einer Ihrer Männer, Mr. Littlejohn? Hat ein bißchen zu viel gehascht, wie?«
»Gehascht?« Manny betrachtete den Polizeibeamten mißbilligend. »Meine Männer haschen nie. Das verstößt gegen die Bestimmungen in meinem Dorf. Dieser Mann ist tot. Er starb, genauer gesagt, er wurde in irgendeinem obskuren Café umgebracht. Das Café ist ein paar hundert Meter von hier entfernt. Auf der linken Straßenseite.«
»Sie sollen Ihren Spaß haben, Mr. Littlejohn.«
Der Beamte trat zu seinen Leuten zurück. Er hatte seine Pflicht getan. Noch deprimierter (oder doch wieder getröstet?) über die Tücke des Menschen im Verkehr mit Menschen, setzte der Gründer seinen Weg zum Kai fort.
Der Stadtkai war eine verwirrende, durcheinanderschwirrende Woge von Leuten, Booten und Minicars. Letztere wurden von der Stadtverwaltung unentgeltlich an Touristen ausgegeben, da die Straßenverkehrsordnung alle anderen Kraftwagen in Wohnbezirken verbot. Sie waren auf der Parkrampe abgestellt, die über dem Wasser errichtet worden war, damit der Kai selbst von Fahrzeugen freigehalten werden konnte. Dort tummelten sich die Touristen, die Eiskremverkäufer, die Hasch-Kola-Verkäufer, die Wurst-Verkäufer, die Kaugummi-Verkäufer, die Porno-Verkäufer und die Leute, die Karten für die Rundfahrt durch die Bucht ausgaben. Eine Lokalband spielte Free-Association-Music, das durch Verstärker über den ganzen Kai verbreitet wurde. Boot-Jets wühlten das gereinigte Wasser zu glitzernden, silber- und goldschimmernden Kaskaden auf.
Aha, dachte Manny Littlejohn, die Lemminge beim Spielen. Diese Vorstellung machte ihm Vergnügen.
»Gründer! Was für eine Überraschung, Sie hier zu sehen!« Jemand sollte mal das Drehbuch ein bißchen verbessern. »Wir sind gerade herübergefahren, um der Regatta zuzusehen.«
Zwei Männer standen jetzt neben ihm, bullige Fischer, hart und sehnig. Wie sie ihn in der Menge erspäht haben konnten, war Littlejohn schleierhaft. Offenbar verstanden sie etwas von ihrem Job, egal, wie gut oder schlecht das Drehbuch war.
»Ich sehe nichts von einer Regatta«, sagte Littlejohn.
»Sie hat noch nicht angefangen«, sagte der Mann zu seiner Rechten, der etwas schneller schaltete.
»Wir haben ein Boot dabei«, sagte der Mann zu seiner Linken, etwas langsamer schaltend, aber trotzdem noch schlau genug, um das Thema zu wechseln. »Wenn Sie gern ins Dorf hinüber möchten, meine ich, Sir.«
»Richtig, John. Ich dachte tatsächlich daran, das Dorf zu besuchen.« War das nicht John und sein Begleiter Mortimer? Natürlich waren das John und Mortimer. »Es trifft sich wirklich gut, daß ihr beide mit dem Boot hier seid.« Er blinzelte verschmitzt. »Hoffentlich verderbe ich euch nicht die Freude, bei der Regatta zuzusehen.«
Sie verneinten verlegen. Der Gründer empfand leise Scham. Diese Leute waren so leicht aus der Fassung zu bringen. Und außerdem war es sowieso kein guter Witz.
»Dann wollen wir mal.« Er hob die Hand. »Das ist noch ein kleines Problem mit eurem Freund Mervyn. Leider hat er sich als untragbar erwiesen. James wird es euch später noch erklären. Nehmt euch seiner an. Armer Kerl.«
James trug den Toten jetzt über der Schulter. Keiner von den dreien sprach. Sie tauschten nur Blicke aus, während sie den Toten ins Boot hinunterhoben.
Manny Littlejohn konnte die Blicke nicht ganz deuten. Er konnte mit den moralischen Skrupeln eines David Silberstein fertig werden, denn er teilte sie und wußte die Antworten darauf. Doch das Mitleid, daß die drei empfanden, wenn sie das Fleisch eines toten Kameraden berührten, die schlaffen Hände und den Kopf, der lose am Hals baumelte, den Fuß, der zwischen Kaimauer und Boot zerquetscht werden konnte, weil er nichts mehr bedeutete – gegen dieses Mitleid hatte er kaum Abwehrmittel. Er konnte weder rechtfertigen noch bitten. Vielleicht half ihm ein Sex-Witz. Er wartete, bis die Männer wieder aus dem Boot stiegen.
»Wenn ich ihn Mr. Silberstein gemeldet hätte«, sagte Littlejohn, »hätte er dem armen Kerl mindestens sechs Monate Dorfarrest gegeben. Sechs Monate Zwangsarbeit bei Bessie.«
(Bessie war eine sexhungrige Dame, die Krankenschwester des Dorfes, deren geschiedener Mann nach Nicaragua ausgewandert war. Sie war so impulsiv und leidenschaftlich, daß sie sich von ihrem Mann wegen chronischer Impotenz hatte scheiden lassen, nachdem sie ihm in der Hochzeitsnacht den Penis abgebissen hatte. Das war natürlich nur ein Gerücht, aber ein nicht ganz aus der Luft gegriffenes Gerücht, das ein gewisses Unbehagen im Dorf auslöste.)
Die Männer lachten. Sie konnten es nicht unterdrücken. Mervyn hatte sich jetzt in Bessie-Futter verwandelt. Er war zu einer lächerlichen Figur geworden. Die Unflätigkeit der Anspielung verdrängte alles andere. Die Männer lachten und steckten die Hände in die Hosentaschen, um sich zu bestätigen, daß sie noch heil und gesund waren. Die Krise – wenn es überhaupt eine gegeben hatte – war gebannt.
»Entschuldigung«, sagte Littlejohn, und sägte gleichsam den Ast ab, auf dem die Männer saßen, »das war kein sehr taktvoller Witz. Ich hätte so etwas nicht sagen dürfen.«
Sofort versanken die Männer vor Scham fast in der Bucht.
In diesem Augenblick, als Littlejohn gerade erfolgreich seine Arbeitnehmer auf die ihnen zukommende Größe zurückgeschraubt hatte, hörte er die Sirene eines näherkommenden gepanzerten Lieferwagens. Er war schon im Begriff, die Leiter zum Boot hinunterzusteigen, verharrte jetzt aber auf der obersten Sprosse. Er hoffte, es würde das sein, was er vermutete.
Die Wirkung der Sirene bestand vorwiegend darin, daß sie mit zunehmender Stärke den Hörer lähmte. Sie löste ein Gefühl aus, das jenseits der Grenze zur Hysterie lag, das die Sinne überwältigte. Als der gepanzerte Wagen auf den Platz fuhr, der sich an den Stadtkai anschloß, war die Menge bereits von den mißtönenden Lauten gebannt. Das Sonnenlicht zitterte, die Straßenoberfläche pulsierte wie ein Trommelfell, die Häuser schwankten, und die Menschen schwenkten lautlos die Arme. Littlejohn schloß die Augen. Das war tatsächlich ein überwältigender Lärm.
Und es war, was er sich erhofft hatte. Es war die Trompete des Reichtums. Manny Littlejohns Reichtum. Der Lieferwagen – er kannte ihn gut, hatte seinen Entwurf persönlich überwacht – lieferte die wöchentliche Portion an Reichtum, die das Forschungsdorf Penheniot zum Leben brauchte. Eine Portion, die sich nicht von der Steuer absetzen, nicht als Prestige erklären, nicht mal als Protzerei vor Freunden (Freunden?) verwenden ließ. Eine Portion, die sich nur mit privaten Begriffen rechtfertigen ließ, als Ausgabe für ein Privatvergnügen und vielleicht auch für eine leise, versteckte Hoffnung. Eine Portion, auf perverse Weise durch das Blöken eines Panzerwagens symbolisiert.