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Er blieb immer noch stehen, nicht begreifend, daß er entlassen war. Liza führte ihn mit sich fort. Sie ignorierte den sonderbaren Blick, den David ihr zuwarf.

Sie mußte Roses vor Mrs. Lampton in Sicherheit bringen, die sie mit einer Heftigkeit haßte, als müßte sie ihr eigenes Kind vor ihr schützen.

Und Mrs. Lampton … Mrs. Lampton schloß ihre Besichtigungstour nun in Begleitung von Professor Krawschensky ab. Sie plauderte mit ihm, lachte über seine komische Uhr, ging mit ihm zum Kai zurück und war so bezaubernd und aufgeräumt wie eine Katze, die ihre Krallen eingezogen hat.

Die Hügel über Penheniot waren steil und mit Zwergeichen bewachsen. Liza mußte sich oft bücken, um unter den Zweigen hindurchzukommen. Auch unter dem dichtesten Gestrüpp war der Boden jetzt nach den langen, regenlosen Wochen trocken. Das Moos staubte von den Stämmen, die sie streiften. Fliegen folgten ihnen, durstig nach ihrem Schweiß. Es war keine Wanderung durch die Natur, wie Liza sich das vorgestellt hatte.

Oben auf dem Kamm des Hügels, hinter den versteckten elektrischen Sensoren, hatte man eine breite Lichtung in den Wald geschlagen, die sich zu beiden Seiten des elektrischen Zaunes ausdehnte. Winzige Ginsterbüsche und Gras hatten sich hier inzwischen breitgemacht. Roses deutete auf die Losung der Kaninchen und auf einen kleinen Hügel, der gesprenkelt war mit den Höhleneingängen der Kaninchen.

»Sie haben uns kommen hören. Wenn wir lange genug warten, kommen sie wieder heraus. Ein Stück weiter oben ist eine Quelle.«

Zwischen den Ginsterbüschen schlängelten sich ein paar Fußpfade. Und in der Mitte der in der Sonne flirrenden Lichtung dehnte sich der Zaun, ein täuschend harmloses Gebilde aus Draht.

»Die wissen jetzt über den Zaun Bescheid«, sagte Roses. »Halten Abstand davon.«

Liza war außer Atem. »Können wir hier warten, bis sie wieder herauskommen?« fragte sie atemlos.

»Sind ja deswegen hierhergekommen.« Er kauerte sich nieder. »Müssen ganz still sein, verstanden? Die hören uns auch unter der Erde. Sie haben schlechte Augen. Die Nase ist auch nicht viel besser. Aber hören tun die wie die Füchse.«

Sie suchte sich einen Fleck aus, wo sie sich niedersetzen konnte. Die Fliegen versammelten sich in Scharen um sie. Sie sah zu, wie Roses geduldig still hielt, nur ab und zu mit der Wange zuckte wie ein Pferd. Das Schweigen war total und so drückend wie die Hitze. Im letzten Jahr hatten hier noch zwei Bussarde gekreist, wie sie sich erinnerte. Doch in diesem Jahr blieb der Himmel leer.

Sie verlagerte ihr Gewicht auf einen Ellenbogen. Laub knisterte. Roses runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf. Sie fragte sich jetzt, weshalb sie überhaupt hierhergekommen war. Als Roses seinen Vorschlag machte, klang es nach einem guten Einfall, den sie nur auf seine Kosten ablehnen konnte. Sie war moralisch verpflichtet, sich für Kaninchen zu interessieren, wie alle Zeitgenossen. Aber kam ihr Interesse aus echtem Engagement? Hatte sie nicht immer nur an theoretischen, abstrakten, numerischen Begriffen gehangen? Liebe, kleine Kaninchen – was für einen Nutzen konnte ihr die Betrachtung dieser Kleinen bringen, abgesehen von einem Gefühl des unwiederbringlichen Verlustes? Wenn Roses’ Einfalt nur ein Ausdruck von Weisheit gewesen wäre. Wenn er sie nur hätte zur Einfachheit überzeugen können … Ihre Gedanken vertieften sich in das Rätsel Roses, ohne daß es ihr bewußt wurde.

Endlich kamen die Kaninchen ins Freie. Die älteren saßen eine lange Zeit an einem Fleck, die steifen Ohren schräg auf den Boden gerichtet, manchmal in ihre Richtung blickend, ohne etwas Beunruhigendes zu sehen. Die jüngeren wagten sich schon tollkühn heraus. Sie hoppelten nach typischer Hasenmanier herum, jagten sich, zupften Gras, lagen japsend unter der Sonne. Viele waren verkrüppelt. Ihnen fehlte meistens ein Bein, doch bewegten sie sich auch so ganz leidlich durchs Gelände, da es keine Wiesel, Füchse und Marder mehr gab. Die schwerer betroffenen Jungkaninchen würden zweifellos sterben, wenn sie entwöhnt waren, weil sie nicht weit genug laufen konnten, um ausreichend Futter zu finden. Das Dioxin, das die Bauern versprühten, war an diesen Geburtsschäden schuld. Es wirkte genauso unberechenbar auf Nachkommenschaft wie vor vielen Jahren das Thalidomid. Liza überlegte, wie die Eltern mit so viel Fehlgeburten fertig wurden. Scharrten sie wohl in den Höhlen ein und zogen weiter … Roses hatte sie davor gewarnt. Vielleicht meinte er, es lohnte gar nicht mehr, so etwas zu erwähnen.

Während ihre Gedanken wieder wanderten, sich mit dem sinnlosen Leiden junger Kaninchen, das ihnen so vollkommen unbewußt blieb, beschäftigte, waren sie plötzlich wieder wie vom Erdboden verschluckt. Im Schatten des Elektrozauns war das Gras ganz ruhig und unberührt, war es immer gewesen.

Roses berührte ihren Arm und deutete dann den Trampelpfad hinunter, der sich zwischen gekappten Bäumen verlor. Ein Mann kam langsam auf sie zu, Sir Edwin, der Ausbildungsleiter der Chrononauten, im konservativen grauen Anzug. Er pfiff leise vor sich hin, während er näher kam. Liza konnte sich immer noch verstecken, konnte auch auf ihre Entdeckung warten oder ihr zuvorkommen, indem sie ihn anrief, um jedes Schuldbewußtsein auszuschließen. (Schuldbewußtsein? Hatte sie dazu überhaupt einen Grund?)

Sie entschied sich trotzdem für die dritte Möglichkeit. »Überprüfen Sie unseren Schutzzaun, Sir Edwin?« rief sie.

»Sie können einen wirklich aus der Fassung bringen, Liza Simmons«, erwiderte der Ausbildungsleiter. Doch er drehte ihr ziemlich langsam den Kopf zu, als habe er sich immer unter Kontrolle. »Sie tauchen an den verrücktesten Plätzen auf.«

»Wir haben Kaninchen beobachtet«, sagte Liza. »Roses hat mich hierhergeführt, damit wir Kaninchen beobachten können.«

»Das klingt so unwahrscheinlich, meine Liebe, daß es nur die Wahrheit sein kann.«

Und warum sollte es nicht wahr sein? Und warum fühlte sie sich überhaupt verpflichtet, ihm einen Grund zu nennen? Sie stand auf und half auch Roses auf die Füße. Das Dorf hatte zwischen sie ein Messer des Standesunterschiedes geworfen. Sie fühlte sich wieder unsicher.

»Auch Sie, Sir Edwin, sind ziemlich weit vom Mannschaftsraum oder der Salonbar entfernt.«

Er nahm ihre Grobheit mit einem milden Lächeln hin. »Sie sind nicht nur verwirrend, sondern auch mit einer scharfen Zunge begabt«, sagte er. »Sehen Sie wirklich nur einen Mann in mir, der von Bar zu Bar torkelt?«

Natürlich sah sie ihn nicht so. Er war vielleicht ein Geck, aber beileibe kein Dummkopf. Doch sie konnte ihr Wort nicht ganz zurücknehmen.

»Gehört das Trinken nicht zu den Methoden der klassischen Diplomatie?« sagte sie.

Er zuckte nur die Achseln, nahm schweigend ihre Entschuldigung an. Das war schon eine eigenartige Konversation zwischen den gekappten, staubgepuderten Bäumen und dem schweigenden Zaun.

»Unten im Dorf ist eine fremde Dame«, sagte Sir Edwin, wollte damit vielleicht andeuten, daß er vor dieser Person hier herauf in den Wald geflüchtet war. »Sie will uns wohl Knüppel zwischen die Beine werfen. Wundere mich, daß der Projektleiter sie ins Dorf gelassen hat.«

»Wieso Knüppel?«

»Sie ist in einer schwierigen Lage, diese Dame. Intelligent genug, um die miserable Verfassung unserer Gesellschaft richtig einzuschätzen, doch dumm genug, ein paar Sündenböcke für diesen Zustand zu suchen. Ich traue ihr nicht über den Weg.«

Roses wußte, von wem sie sprachen. Vor Sir Edwin hatte er keine Scheu. Sie hatten oft miteinander gesprochen, als er am Kai fischte.

»Mistvieh« sagte er und hieb die Kappe seines Schuhs in den Waldboden.

»Leider verfügt sie über viel Macht. Wir müssen in Zukunft noch vorsichtiger sein.«

Doch der Zaun war ja neben ihnen mit Strom geladen, um solche Leute wie Mrs. Lampton vom Dorf fernzuhalten. Plötzlich fühlte sich Liza wohl in seinem Schatten. Der Zaun war zu ihrem Schutz errichtet worden. Auch die Sensoren und andere Dinge, die man ihr allerdings verschwieg. »Wir sind immer vorsichtig«, sagte Liza dann, »ich glaube nicht, daß wir von der Dame viel zu befürchten haben.«