Als er die Hose endlich ausgezogen hatte und die Decke um die Hüften festzurrte, suchte er nach Papier, um ein Feuer anzünden zu können. Erst langsam formte sich der Gedanke, daß er ja das dumme, unverständliche Buch dafür verwenden konnte. Als der Gedanke ihm klar bewußt war, freute er sich, denn es war nur gerecht, daß er sich an diesem Buch für seine klägliche Lage rächte. Es sollte für den Verlust seiner »Pantherfrau« büßen, sollte brennen für jeden Halunken, der ihn mit langen, gelehrten Worten beschämt hatte. Er riß das Buch vom Tisch und zerrte an den Blättern. Sie gaben nicht nach. Er packte es fester, teilte es in zwei Hälften und riß daran, bis der Schweiß ihm über die Schultern lief. Doch das Buch blieb unversehrt, spendete ihm Trost, Güte und Wohlbehagen, solange es an seine Brust gepreßt blieb.
Er warf das Buch auf den Boden, lief wütend im Raum auf und ab und trat das Buch jedesmal mit Füßen, wenn er daran vorbeikam. Dann fiel er wieder über das Buch her, stellte sich auf den Deckel und zerrte an einem einzigen, armseligen Blatt. Vergeblich.
Je wütender er wurde, um so ungeschickter, ja tierischer, wurden seine Bewegungen. Er bearbeitete das Buch mit der Schere und mit dem Fleischmesser. Die Hütte erzitterte unter seinen wütenden Schlägen. Die Decke war längst von seinen Hüften herabgefallen und lag auf dem Boden. Er warf das Buch in den Herd, schüttete Petroleum darüber und ließ ein brennendes Streichholz darauffallen. Die Flüssigkeit brannte mit heißer, rauchender Flamme; doch das Buch blieb so hell und unberührt wie am Anfang.
Draußen ging der Abend allmählich in die Nacht über. Die letzte Nachhut der Flut löste sich von den zerbrochenen Bohlen der Mole und ließ einen dünnen Saum aus braunem Schlick zurück. Eine Eule schwang sich aus den nackten Dachsparren der Sägemühle und breitete ihre Krallen in der Nachtluft aus. Roses kam mit fliegendem Hemd aus seiner Hütte und eilte zum Holzschuppen. Ein grünliches Licht begleitete ihn, das sich auf den Ranken spiegelte, die aus den Sträuchern nach ihm griffen. Er attackierte das Buch jetzt mit der Axt, schlug zu, bis ihm der Rücken schmerzte. Bei jedem Schlag gab das Buch ein wenig nach und nahm dann wieder seine ursprüngliche Form an, ohne daß eine Wirkung zu erkennen war.
Roses schlug zu, bis er vor Erschöpfung die Axt nicht mehr heben konnte. Dann stand er keuchend, auf den Stiel der Axt gelehnt. Die Stille wurde bedrückend. Er begriff, daß das Buch ihm nichts als Schande gebracht hatte, und er wollte nichts mehr damit zu tun haben.
Er trug es hinunter zum Strand, hielt es jetzt behutsam in seinen blasenbedeckten Händen. Er watete ein paar Schritt hinaus in den Schlamm und schleuderte dann das Buch mit letzter Kraft von sich. Es schlitterte fast lautlos ein paar Meter über die Oberfläche und trieb dann mit der zurückweichenden Flut hinaus wie eine brennende Kerze. Roses beobachtete das Buch, bis er es nicht mehr sehen konnte. Dann überkam ihn ein seltsames Gefühl der Verlassenheit.
Seine Füße waren kalt, seine Beine und sein ganzer Körper fröstelten. Er kehrte in seine Hütte zurück und zündete die Lampe an. Nur der Geruch erinnerte ihn noch an das Buch, der Geruch von überhitzten Radiogeräten, Aspirintabletten und den Reibeflächen von gebrauchten Streichholzschachteln. Und eine Spur von Rizinusöl. Der Geruch blieb die Nacht über und hielt sich auch noch am nächsten Morgen. Dann verschwand auch er. Und Roses tat alles, um die Erinnerung an diesen Geruch zu verdrängen.
Bemerkung des Verfassers.
Bis hierher ist diese Geschichte wahr. Wahr in dem Sinne, daß sie auf den Aussagen von Roses selbst beruht, die er nach vielem Zureden, vielen Gläsern Apfelwein und dem Versprechen machte, ihn ein Jahr lang mit seinem bevorzugten Lesestoff zu versorgen. Um dem Einwand zu begegnen, daß Roses die ganze Geschichte ja auch erfunden haben oder im Suff geträumt haben könnte, muß hier gesagt werden, daß das sonderbare Buch, das bisher eine so wichtige Rolle in der Geschichte spielte, keineswegs verloren war. Es befindet sich jetzt im Besitz des Verfassers dieses Werkes. Es wurde vor seinem Haus an der Mündung von Penheniot Pill angetrieben und dort am frühen Morgen nach jener Nacht, in der sich die eben erwähnten Ereignisse abspielten, von dem Verfasser selbst gefunden.
Da Bücher ja ein wesentliches Element in der Berufsausübung des Verfassers darstellen, trug er das Buch sofort hinauf zu seinem Haus und las es in einem Zug von Deckel zu Deckel durch – zur Enttäuschung seiner Frau, die an diesem Tag einen Einkaufsausflug nach St. Kinnow machen wollte. Selbst wenn sie das merkwürdige Licht gesehen hätte, das das Buch ausstrahlte – was ihr aber in der Morgensonne tatsächlich entging –, hätte sie das nicht für einen ausreichenden Grund gehalten, auf einen Ausflug zu verzichten, auf den sie sich schon seit fünf Wochen gefreut hatte. So brach sie allein nach St. Kinnow auf und revanchierte sich dort durch ein paar vollkommen überflüssige Einkäufe.
Das Buch existiert also tatsächlich. Und da das Material, aus dem es besteht, tatsächlich ungewöhnliche Eigenschaften besitzt, kann man auch getrost Roses’ Aussagen im wesentlichen Glauben schenken.
Was den Inhalt des Buches anlangt, so kann der Leser sich selbst ein Bild von seiner Glaubwürdigkeit machen, da der Verfasser ja nichts anderes als eine Rekonstruktion von diesem Inhalt liefert. Der Autor verhält sich dabei völlig neutral. Er würde natürlich nicht die Zeit des Lesers beanspruchen, wenn er den Inhalt des Buches nicht für bemerkenswert hielte.
Doch hier ist dem aufmerksamen Leser bestimmt wieder ein Zweifel gekommen. Wenn das Buch tatsächlich existiert, warum muß dann sein Inhalt neu erzählt werden? Warum wird das Buch nicht so veröffentlicht, wie es ist? Darauf gibt es eine doppelte Antwort. Einmal ist die Eitelkeit des Verfassers im Spiel. Natürlich möchte er, daß diese Geschichte so weitgehend wie möglich zu seiner Geschichte wird. Zweitens ist er wirklich überzeugt davon, daß dieses Buch, wie er es gefunden hat, ein Reinfall wäre, so gut wie ungenießbar. Der anonyme Autor (Autoren?) hatte versucht, mit den geschriebenen Worten so viel auf einmal auszusagen, so viel psychiatrischen Hokuspokus hineinzulegen, so viel doppelsinniges Feingespinst, so viel enzephalographisches Hierhin und Dorthin, daß das Ergebnis manchmal unverständlich, oft langweilig und immer schauderhaft herablassend ist. Kurz – das Buch, wenn man es im Original liest, ist schauderhaft.
Nach dieser Erklärung und der Warnung, daß es sich im besten Fall um unbewiesene Übertragungen und im schlimmsten Fall um einen Haufen Lügen handelt, kommen wir endlich zu der Geschichte …
I
Das Experimentier- und Forschungsdorf Penheniot lag am Ende des Tals an der Mündung des Pill, der früher unter einer kleinen Holzbrücke hindurch und an einer verfallenen Mole vorbeigeflossen war. Die Gebäude des Forschungsdorfs waren diskret angelegt und aus dem Material und in dem Stil gebaut, wie es in der Gegend üblich war. Wo es ging, hatte man dazu die noch vorhandenen Wohnhäuser und Scheunen als Tarnung verwendet.
Der Stab des Dorfes kleidete sich nach der traditionellen Trachtenmode von Cornwall, wenn das Wetter es nicht erlaubte, daß man nackt herumlief, wie es jetzt modern war. Es gab eine Post im Dorf, eine Dorfkneipe, ein Polizeirevier und mehrere Dorfköter, die sich am Kai herumtrieben, wenn sie nicht gerade für Experimente gebraucht wurden. Die Dorfkatzen hielten sich klugerweise zurück, damit sie nicht gleichfalls zu Experimenten herangezogen wurden.