Roses schlug die Riemen energisch in das mit grünlich schillernden Kugeln gesprenkelte Wasser, schoß zwischen die Zweige hinein, lief auf dem steinigen Strand auf. Liza wurde auf der Ducht nach vorn geschleudert, doch Roses achtete jetzt nicht auf sie. Er beugte sich über den Bootsrand, um einen der toten Schwäne an Bord zu hieven. Er knurrte ärgerlich über das Gewicht des toten Körpers. Er fiel klatschend auf den Boden des Bootes, Schleim verspritzend. Im dämmrigen Abendlicht kam Liza der Schwan riesengroß vor. Und ekelerregend.
»Teufel, Teufel …« Roses drehte den toten Schwan herum und untersuchte die Haut unter den Federn. »Was hat sie umgebracht? Kein Blut, nichts. Wer hat das getan?«
Liza wußte es. Sie lehnte sich zurück. Der Geruch würgte sie im Hals. »Umweltverschmutzung«, sagte sie.
»Was ist das denn?«
»Der Schmutz im Fluß.« Lohnte es sich, das noch näher zu erklären? »Die Fäkalien, die Scheiße, die Chemikalien, die Abwässer, die wir tonnenweise in den Fluß gießen.«
»Wir? Wir machen so etwas nicht.«
»Ich meine die Leute, Roses. Wir Menschen.«
Die Schuld einer Gesellschaft war ein Begriff, der sein Begriffsvermögen überstieg. »Wir werfen keinen Abfall in den Fluß, Miß.«
Die Zweige schabten an der Bootswand. Der Gestank unter den Bäumen war kaum auszuhalten. »Rudern wir weiter«, sagte sie. »Die Schwäne sind tot. Wir können daran nichts mehr ändern.«
Sie nahm einen der Riemen und stakte das Boot wieder vom Ufer weg. Roses war immer noch über den toten Vogel gebeugt. Sie berührte ihn sacht an der Schulter, wollte ihm andeuten, daß er den Schwan wieder aus dem Boot werfen sollte. Da hallte ein Ruf über das graue Wasser.
»He, ihr da, in dem gelben Boot!
Was treibt ihr denn dort?«
Zwei Burschen aus der Gegend trieben in einem Polypropylen-Ruderboot mit der Flut flußaufwärts. Liza war viel zu sehr mit den toten Schwänen beschäftigt gewesen, so daß sie ihr Nahen nicht bemerkt hatte. Sie gab keine Antwort. Sie wollte jede Auseinandersetzung mit Außenstehenden vermeiden.
»Seid ihr taub? Ich habe euch gefragt, was ihr da treibt! Ihr habt einen Schwan im Boot. Wißt ihr nicht, daß Schwäne gesetzlich geschützte Vögel sind?«
Wovor geschützt? dachte sie bitter. Doch sie sagte nichts. Als Angestellte im Forschungsdorf hatte sie Angst, sich in ein Gespräch verwickeln zu lassen. Roses hatte in diesem Punkt keine Hemmungen.
»Macht, daß ihr wegkommt«, sagte er. »Das hier geht euch nichts an. Wir haben ihnen nichts getan. Wir haben sie hier im Wasser liegend gefunden. Das ist alles.«
Das andere Boot war inzwischen fast längsseits gekommen. Der Ruderer lehnte sich auf seine Riemen, sein Begleiter lachte.
»Oh, arrr«, sagte er, Roses’ Stimme imitierend, »oh, arrr, Harry, das geht uns nichts an, sagt er. Harry, ich gehe jede Wette ein, daß dieser lange Lümmel der Dorftrottel aus Penheniot ist.«
Der Bursche an den Riemen lachte jetzt ebenfalls. Liza konnte sich ausmalen, was sich jetzt entwickeln würde.
»Häng die Riemen ein, Roses«, murmelte sie. »Es gibt nur Ärger. Hat keinen Zweck, mit den beiden zu diskutieren. Häng die Riemen ein und rudere los.«
»Ärger?« meinte Roses fragend. Er war an das Gelächter seiner Mitmenschen gewöhnt. Trotzdem hängte er jetzt die Ruder ein. »Was für einen Ärger denn?«
»Siehst du das, Harry? Die beiden flüstern miteinander. Mögen wir Dorftrottel, die flüstern? Dorftrottel, die hierherkommen und unsere Schwäne umbringen? Ich glaube nicht, daß wir so was mögen, nicht wahr, Harry?« Harry ruderte noch dichter heran. »Und wir mögen auch keine eingebildeten Zicken aus dem Dorf, nicht wahr, Harry? Sollen wir die beiden ins Wasser werfen, Harry? Sollen wir sie heimschwimmen lassen, Harry?«
Roses fing immer noch nicht an zu rudern. »Ich habe keine Schwäne umgebracht«, sagte er. »Ich habe sie hier im Wasser gefunden. Der andere liegt noch unter den Zweigen. Überzeugt euch selbst.«
»Der Bursche ist ja richtig redegewandt, Harry. Sollen wir ihm die Fresse polieren und dem Mädchen ein paar Ladungen zwischen die Beine verpassen?«
Die beiden Boote trieben jetzt mit der Strömung in die Mitte des Flusses. Man hörte nur das Gluckern des Wassers vor den eingetauchten Ruderblättern. Am weißen Abendhimmel glitzerten schon ein paar Sterne, und ein beleuchtetes Giebelfenster stand irgendwo über den Baumwipfeln. Es war eine groteske Situation.
»Er sagt die Wahrheit«, mischte Liza sich jetzt in die Auseinandersetzung ein. »Die Umweltverschmutzung ist schuld am Tod der Schwäne. Sie bringt auch alle anderen Vögel um. Jetzt sind eben auch die Schwäne an der Reihe.«
»Das Mädchen weiß Bescheid, Harry. Man sieht es ihr an, daß sie Bescheid weiß. Dieser Typ ist immer so gescheit, Harry.«
Sie verschwendete nur ihren Atem. »Rudere, Roses! Schauen wir, daß wir hier wegkommen.«
Doch das andere Boot legte sich jetzt quer vor ihren Bug.
»Laßt uns vorbei«, bat Roses. »Wir haben euch nichts getan.«
»Ein Mädchen und ein Dorftrottel, Harry. Worauf warten wir noch?«
Harry, der bis jetzt noch gezögert hatte, zog die Riemen scharf an. Sein Freund beugte sich herüber und packte den Ring am Bug. Roses wirbelte herum und schlug ihm mit der Faust auf die Finger.
»Dieser Dreckskerl. Harry, du gibst es ihm! Gib es ihm mit dem Riemen!«
Doch Roses war schneller als Harry. Er balancierte jetzt auf beiden Beinen im Kahn, schwang sein eigenes Ruder in Hüfthöhe und knallte Harry das Ruderblatt ins Gesicht. Liza fing den anderen Riemen auf, ehe er über Bord gehen konnte. Harry wurde zur Seite geschleudert.
»Verdammt, Pete, er hat mir den Unterkiefer gebrochen.«
»Idiot, du kannst ihn doch noch bewegen, oder etwa nicht?«
Die beiden Boote waren durch die gewaltsame Aktion voneinander weggestoßen worden. Roses stand mit gespreizten Beinen schweratmend im Boot und beobachtete Pete und Harry, die in ihrem Kahn leise miteinander verhandelten. Dann wendeten sie ihr Boot und ruderten auf das Heck zu, wo Liza saß. Liza glaubte, Roses würde die Gelegenheit nützen und wegrudern. Doch er blieb abwartend im treibenden Boot stehen. Wenn er zuschlagen wollte, stand sie ihm im Weg. Sie sah sich nach einer Waffe um und fand nur einen alten Henkeltopf, den Roses dazu verwendete, das Wasser aus dem Boot zu schöpfen. Die beiden Boote trieben jetzt hintereinander, Heck gegen Heck. Pete hatte einen Bootshaken in der Hand, eine Stange mit einer Speerspitze.
»Setzen Sie sich hin, Miß«, hörte sie seine Stimme leise hinter sich. »Setzen Sie sich hin und halten Sie sich fest.«
Sie gehorchte ihm. Was konnte sie schon anderes tun, da sie nur einen alten Kochtopf als Waffe besaß.
»Laßt ihr uns jetzt vorbei oder nicht?«
»Oh, arr, einen Teufel werden wir tun.«
Sie schämte sich für ihn, weil er sich ihrem Spott aussetzte. Der Zwischenraum wurde rasch kleiner. Petes Bootshaken schimmerte weiß im Zwielicht. Wahrscheinlich wollte er damit ihr Boot leckschlagen. Der Gedanke, daß er aus Versehen auch sie treffen konnte, war so entsetzlich, daß sie ihn sofort verdrängte. Plötzlich schwang der Kahn gewaltsam herum, drehte sich um neunzig Grad, während Roses den Schwung pendelnd ausglich. Pete war jetzt keine zwei Meter mehr entfernt, Roses genau gegenüber. Er holte zu spät mit dem Bootshaken aus. Roses Ruder erwischte ihn genau am Nasensattel, zerschmetterte das Nasenbein, warf ihn zurück, färbte sein Gesicht blutrot. Pete blieb in seinem Kahn liegen und bewegte sich nicht mehr. Die beiden Boote stießen sacht zusammen.
»Verdammte Brut …« Roses wartete, den Riemen stoßbereit in der Hand. »Ich habe euch gesagt, ihr sollt mich vorbeilassen. Könnt ihr nicht hören?«
Niemand lachte ihn jetzt mehr aus. Er stieß das andere Boot von sich weg, setzte sich hin und hängte die Riemen ein. Harry kniete auf der mittleren Ducht und spritzte Pete Wasser ins Gesicht. Das war das letzte, was sie von den beiden sah. Einer von den Riemen des anderen Bootes trieb mit der Strömung ab. Die beiden würden noch eine Weile mit sich selbst zu tun haben. Und sie hatte immer geglaubt, Roses wäre ein Mann, der keiner Fliege etwas zuleide tun konnte …