Von jetzt ab ist jeder persönliche Kontakt mit der Außenwelt verboten. Wir schicken auch keine Post hinaus und empfangen keine Post mehr. Wer von Ihnen Verwandte in der Außenwelt hat, bekommt bestimmte Termine zugeteilt, an denen er mit seinen Verwandten telephonieren kann, da wir unsere Vermittlung nicht überlasten dürfen. Auch werden die Gehälter in Zukunft nicht mehr in bar ausgezahlt, sondern Sie erhalten Kreditscheine.
Die Sanitätsabteilung bereitet bereits eine Massenimpfung vor, und wir teilen Ihnen noch mit, wann die Impfung stattfinden wird. Doch jeder von Ihnen, der sich in den letzten achtundvierzig Stunden aus irgendwelchen Gründen außerhalb der Dorfgrenze aufgehalten hat, muß sich sofort im Krankenhaus melden. Wenn unser Arzt eine Quarantäne für notwendig hält, werden diese Leute vorübergehend im Krankenhaus zur Beobachtung isoliert. Das ist eine Maßnahme, die im Interesse der Gesundheit unserer Gemeinde unerläßlich ist.
Im übrigen gibt es keinen Anlaß, sich Sorgen zu machen. Die Verwaltung ist selbstverständlich auf alle Eventualitäten vorbereitet. Wir haben unsere eigene Wasser- und Elektrizitätsversorgung, und unsere Lebensmittelvorräte reichen mindestens für ein halbes Jahr. Die Luftverschmutzung wird ständig überwacht, und das Seewasser wird ebenfalls ständig kontrolliert, damit schädliche Stoffe rechtzeitig ausgefiltert werden können. Auch Atemmasken gegen Luftverschmutzung liegen bereit, obwohl ich es für unwahrscheinlich halte, daß wir diese Gesichtsmasken in absehbarer Zukunft tragen müssen. Allerdings müssen wir damit rechnen, daß Unruhestifter und böswillige Leute aus der Umgebung unser Dorf angreifen werden. Doch unsere Verteidigungsanlagen sind so organisiert, daß sie jeden Angriff abschlagen können. Wenn es zu Schlägereien oder Schießereien kommen sollte, bitte ich Sie alle, in Ihren Häusern zu bleiben und sich ruhig zu verhalten. Unsere Sicherheitstruppe ist hervorragend ausgebildet und weiß genau, wie man solchen Elementen begegnen muß.
Alle Maßnahmen, die jetzt von mir angeordnet wurden, werden noch heute schriftlich bestätigt und vor dem Rathaus ausgehängt. Heute abend um neun Uhr findet ein Gottesdienst statt, in dem wir um Gottes Fürsorge für unser Volk und unseren Staat bitten. Das wäre alles.«
Er wollte schon wieder die »Forelle« einschalten, als ihm noch etwas einfiel.
»Ich glaube, daß Sie sich alle freuen werden, wenn ich Ihnen mitteile, daß Professor Krawschensky inzwischen ein entscheidender Durchbruch in seiner Arbeit gelungen ist. Er ist jetzt zuversichtlich, daß er das ganze Projekt in sehr naher Zukunft erfolgreich abschließen kann. Sie werden sich sicher meiner Gratulation anschließen und den Professor und seine Assistentin für diese Leistung beglückwünschen. Jeder von Ihnen weiß, was dieser Fortschritt für uns alle bedeutet. Noch einmal, vielen Dank, auch für das Zuhören.«
Sie würden bald aus dieser Misere heraus sein, in einem schöneren, freieren, gerechteren Land leben. Er schaltete das Mikrophon wieder ab und saß steil aufgerichtet in seinem Stuhl, die Hände flach auf den Tisch gelegt. Er überlegte, was er als nächstes tun sollte. Die Musik für jedermann von BBC schmeichelte im Hintergrund. Es wurde Zeit, das Drei-Uhr Bulletin herauszugeben. Er sah sich in seinem Büro um. Er rotierte, war beschäftigt, erfüllte seine Funktion. Er existierte. Dann sah er sich selbst und fühlte sich beschämt. Das hatte er allein Liza Simmons zu verdanken. Sie hätte ihn nicht so unterminieren dürfen – sie und dieser verdammte Roses Varco. (Warum eigentlich verdammt? Vor ein paar Wochen hatte er den Mann noch ganz entzückend gefunden, so erfrischend). Egal, das war vorüber. Als Mann zu existieren, war immer gefährlich. Als Projektleiter war er viel sicherer.
Was nicht heißen sollte, daß er nicht beiden Funktionen gerecht geworden wäre, wäre nicht dieser verdammte Roses Varco gewesen.
Roses Varco … Davids blendendes Gedächtnis, das ihn in die Position gebracht hatte, die er heute innehatte, präsentierte ihm die Tatsache, daß Roses Varco am vergangenen Abend die Gemeinde verlassen und seine Anordnungen wahrscheinlich nicht gehört hatte. Er mußte den Arzt anrufen, damit er Roses in sein Hospital holte. Und er würde dem Arzt auch sagen, er wolle sich mit der Angelegenheit von Roses’ Pillen befassen. Der konnte ihm das doch viel besser beibringen als er selbst.
Das Radio brachte das Pausenzeichen für die Drei-Uhr-Nachrichten. »Und hier sind die Kurznachrichten für Dienstag, den 23. August. Warmes und sonniges Wetter über ganz England. Das Gesundheitsministerium gibt bekannt, daß die Berichte über eine Epidemie im Südwesten des Landes der Wahrheit nicht standhalten. Der Ausbruch einer fiebrigen Erkrankung in verschiedenen Erholungsgebieten gibt zu keiner Besorgnis Anlaß, und die Gesundheitsbehörden haben die Lage vollkommen unter Kontrolle. Der Premierminister befindet sich zur Zeit auf Urlaub in Sumatra, steht aber in ständiger Verbindung mit den zuständigen Behörden. Auch er hält besondere Maßnahmen für nicht erforderlich. Eine leichte Zunahme der Krankheiten ist zu bestimmten Jahreszeiten als durchaus normal zu betrachten. Trotzdem rät der Automobilclub von Ausflügen in das Erholungsgebiet D ab. Impfstellen sind eingerichtet, falls ein Besuch dieses Gebietes unerläßlich ist. Weitere Einzelheiten darüber hören Sie in den Regionalnachrichten … In Washington ist die Menge, die das Weiße Haus umzingelt hat, mit Juckgas zurückgetrieben worden. Einheiten der Nationalgarde unter dem Befehl von General Morgan …«
David drehte das Radio ab. Die Probleme Amerikas waren nicht seine Probleme. Es war jetzt klar, daß die Lage im Südwesten des Landes ernst war. Wenn der Automobilclub von einem Ausflug in diese Gegend abriet, war das ein Euphemismus. David kannte die Pläne für Straßensperren und Quarantänegebiete. Daß man diese Pläne jetzt in die Tat umsetzte, war ein deutlicher Hinweis, daß sich hier eine Katastrophe abzeichnete. Man hatte keine statistischen Angaben gemacht, und – was noch bedenklicher war – man hatte die fiebrige Erkrankung nicht beim Namen genannt. Vielleicht gab es gar keinen Namen dafür. Es gab verdammt viele resistente Bakterienstämme oder mutierte Abarten, die möglicherweise jede Impfung fragwürdig machten. Man konnte eben nur tun, was man tun konnte. David Silberstein griff nach dem Telephon und gab Anweisungen, diesen verdammten Roses Varco ins Hospital zu schaffen.
Roses Varco hielt sich gerade am Strand auf, als der Sanitäter ihn fand. Roses wollte nichts mit dem Krankenhaus zu tun haben, und man mußte erst zwei Sicherheitsbeamte, schließlich noch einen dritten herbeirufen, ehe man den Tobenden ins Krankenhaus schaffen konnte. Zum Glück war Liza Simmons bereits im Krankenhaus eingetroffen. Ihre Gegenwart wirkte beruhigend auf Roses Varco. Sie ging mit ihm in die chirurgische Abteilung, wo der Arzt seine Untersuchung vornahm. Zwischen Scham und Sicherheit hin und her gerissen entschied er sich schließlich für die Sicherheit. Liza fand seine schüchternen Versuche, seine Blößen zu bedecken, ganz zauberhaft.
Die Ergebnisse aller Tests waren negativ. Der Arzt sah zu, wie sich Roses rasch wieder das Hemd überzog. Das würde bestimmt kein bequemer Patient werden, überlegte er.
»Würden Sie nicht gern für ein paar Tage im Krankenhaus bleiben?« fragte er mit falscher Begeisterung.
»Will ich nicht.«
»Ich fürchte, das muß sein.«
»Hier herinnen, meinen Sie? Nicht einen Tag. Nicht eine Minute.«
Der Arzt seufzte. Er hatte zwar eine geschlossene Abteilung, konnte aber keine Leute entbehren, um sie zu überwachen. Er blickte Liza hilfesuchend an.
»Der Arzt meint, wir hätten vielleicht gestern etwas einfangen können. Von den beiden Burschen auf dem Fluß.«
»Von den beiden Kerlen? Denen hat nichts gefehlt, was eine Tracht Prügel nicht heilen könnte.«
»Das kann man jetzt noch nicht wissen. Du willst doch nicht krank werden, oder?«