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Weshalb auch nicht? Sie hatte noch nie einen bestimmten Mann so sehr begehrt wie diesen. Und er hatte sie zurückgewiesen. Er war verklemmt in einem Ausmaß, das schon an Irrsinn grenzte. Sie versuchte Widerwillen gegen diesen halb-blöden Wilden zu empfinden, der immer noch zu einem Klumpen geballt neben ihr kauerte. Seine groben Kleider taten ihrer Haut weh. Ihn zu begehren, war im Grunde pervers, leicht ekelerregend. Er war unerreichbar, und vielleicht hungerte sie eben deswegen nach ihm. Unerreichbar. Er war ein seelischer Krüppel. Wahrscheinlich war er in seinem Alter bereits unheilbar. Er ging mit seinen Kleidern ins Bett und er roch. Sie war verrückt. Wenn sie sich schon auf eine Distanz von drei Metern an ihn heranwagte!

Seine Verkrampftheit lockerte sich etwas. Nach einer langen Pause des Schweigens suchte er wieder Trost bei sich selbst. Ihr schmolz das Herz. Sie drückte ihn an sich. Sie nahm nicht sein großes, törichtes Haupt in ihre Hände. Aber sie hatte auch etwas davon, daß sie nur ganz still neben ihm lag und sein Hemd auf ihrer Haut spürte.

»Ich möchte gern wissen, was der Lärm draußen zu bedeuten hatte«, sagte sie. »Hoffentlich ist niemand verletzt worden.«

Sie erwartete keine Antwort. Sie hatte einen endlosen Monolog vorbereitet, nur um freundliche, beruhigende Worte von sich zu geben. Doch … »wenn es knallt, gehen meistens Leute drauf.« Er bewegte sich, schob die Beine wieder unter die Decke.

Sie dachten beide darüber nach. »Vielleicht war es nur eine Übung«, sagte Liza.

»Wenn es knallt, dann knallt es oder?«

»Aber es gibt auch oft einen Knall, wo niemand verletzt wird. Zum Beispiel, wenn ein Feuerwerkskörper abbrennt.«

»Das vorhin war kein Feuerwerk.«

Sie ließ ihn gewinnen. »Ich glaube du hast recht«, sagte sie. Und sie glaubte tatsächlich nicht an eine Nachtübung.

»Ich denke, das waren Pete und Harry. Ich denke, ihren Freunden hat das nicht gefallen, was wir mit den zweien gemacht haben.«

»Was du mit ihnen gemacht hast, Roses.«

»Hm, arrr. Du hast ganz recht.« Sie merkte, daß er lächelte. »Hätte es aber nicht ohne dich fertiggebracht. Andere Mädchen, die rennen weg.«

»Ich konnte nirgends hinrennen.«

»Stimmt.« Er seufzte glücklich bei dieser Erinnerung. Er bewegte seinen Arm, legte ihn über die Brust, fand das unbequem und schob den Arm über den Kopf, so daß er neben ihren Haaren lag.

»Das war kein schlechter Abend, ganz bestimmt nicht … wenn die Schwäne auch keinen Grund hatten, zu sterben.« Er drehte den Kopf und blickte Liza im Dunkeln an. »Was war das, woran sie gestorben sind?«

»Verschmutzung. Verdorbene Luft. Alle Vögel gehen ein. Hast du das nicht bemerkt?«

Es gab ein Gesetzbuch. Es gab Dutzende davon. Was man brauchte, war ein Gesetz, das den Leuten das Scheißen verbot.

»Roses – bist du nicht schläfrig?«

»Noch nicht. Bald. Ich weiß immer, wann. Denn dann gehen die Gedanken durcheinander. Deshalb weiß ich es.«

Sein Arm glitt unter ihren Kopf, und sie rückte etwas näher heran, paßte genau an seine Seite. Sie redeten noch eine Weile miteinander und dann gingen die Gedanken durcheinander. Schließlich schliefen sie ein.

Als sie erwachten, war heller Morgen. Liza ging wieder in ihr eigenes Bett. Sie wollte nicht, daß Roses sich Sorgen machte, was wohl die Schwester sagen würde, wenn sie den Monitor für ihr Zimmer betrachtete.

Mit der Morgenflut kam die erste Leiche. Von der Mündung bis zum Kai von Penheniot wurde sie vom Fernsehspion verfolgt. Es war die erste Leiche von vielen, da das Meer jetzt nicht nur eine Abwassergrube, sondern auch ein Bestattungsplatz geworden war. David Silberstein – er war in jenen Tagen überall zugleich – hatte bereits die Stelle, wo die Leiche angeschwemmt wurde, abgesperrt, und der Arzt stand in Bereitschaft.

Die Leiche – eine ältere Frau, nur leicht aufgedunsen – wurde sofort in einen Metallsarg gelegt, versiegelt und in das pathologische Labor geschafft. Dort führte der Arzt unter absolut sterilen Bedingungen eine Autopsie durch und isolierte einen Mutantenstamm von Darmkatarrh-Erregern. Das war eine Krankheit, die in Westeuropa seit Jahrzehnten nicht mehr aufgetreten war. Wenigstens nicht außerhalb der regierungseigenen Forschungsstätten für (anti-) biologische Kampfstoffe. Und von diesen Forschungsstätten gab es mehrere hier im Südwesten von England. Aus dieser Tatsache würden die Mrs. Lamptons, wenn sie darüber aufgeklärt würden, möglichst rasch ihre agitatorischen Schlüsse ziehen.

Dr. Meyer hielt sich jedoch in seinem Bulletin zurück. Das Fieber, so ließ er erklären, war zwar ansteckend, wurde aber von dem Mehrzweck-Impfstoff, den er vorbereitet hatte, ebenfalls abgeblockt. Die Inkubationszeit dieser Krankheit war kurz und wenn sich nicht außergewöhnliche Umstände entwickelten, könnte er alle Dorfbewohner, die sich augenblicklich in Quarantäne befanden, spätestens nach vierundzwanzig Stunden wieder entlassen. Er stellte weiterhin fest, daß die tote alte Frau nur mit einem Nachthemd bekleidet war, was darauf schließen ließ, daß die Frau in einem der Häuser am Fluß gewohnt haben mußte und von ihren Verwandten aus Angst vor Ansteckung einfach ins Wasser geworfen wurde. Wenn sich die Verwandten, fuhr Dr. Meyer fort, tatsächlich mit solchen drastischen Maßnahmen vor einer Ansteckung bewahren wollten, hätten sie die Frau schon drei Tage vor ihrem Tod ins Wasser werfen müssen.

David Silberstein hörte sich den Bericht an und nickte, als habe er das alles vorausgesehen. Er schloß daraus auf einen Zusammenbruch der Ordnung auf eben jenen Gebieten, zu deren Festigung und Schutz das Dorf errichtet worden war. Diese Bereiche hießen private Intimsphäre und nationale Tradition und Struktur. Gesetz und Ordnung waren schon seit Jahren in Auflösung begriffen, und so sorgte David Silberstein wenigstens hier im Dorf für solide Verhältnisse. Er ordnete die sofortige Verbrennung der Leiche im Dorfkrematorium an. Dann ließ er sich mit der Gesundheitsbehörde von St. Kinnow verbinden – was einige Mühe kostete – und meldete, was er getan hatte. Die Leute dort schienen viel zu beschäftigt zu sein, um sich um den Fall zu kümmern.

Dann versuchte er den Gründer in London zu erreichen. Wie er vermutet hatte, waren alle Leitungen besetzt. Während die BBC immer noch von einer entspannten Lage sprach (obgleich die Quarantäne bereits über Bristol und die Industriebezirke um Salisbury verhängt worden war), wurden Ferngespräche aus den gefährdeten Gebieten nach Möglichkeit blockiert. Er fragte sich, wie lange das Märchen von den geordneten Verhältnissen noch aufrechterhalten werden konnte. Inzwischen mußten ein paar Millionen Einwohner wissen, wie es wirklich im Land aussah.

Wie zu erwarten, war es Mrs. Lampton, die zuerst den Bann offizieller Zensur durchbrach. Natürlich hatte sie nur die edelsten Motive und brachte dabei die Dinge so durcheinander, daß keiner mehr Herr der Lage wurde. Mittags im Regionalprogramm (das längst nicht so scharf überwacht wurde wie das überregionale) kam ein Interview mit der Generalsekretärin des Komitees für die moralische Verantwortung in Wissenschaft und Forschung. Der Projektleiter nahm die Ankündigung mit gemischten Gefühlen hin. Er ahnte, was kommen mußte.

Sie begann das Interview mit der Behauptung, sie wolle unter keinen Umständen einen Wirbel machen. (Ihre Hysterie war schon immer ein angeborener Zustand, ein geistiges Gezeter, ein gedankliches Im-Kreis-Herumgaloppieren.) Doch habe die Öffentlichkeit ein Recht darauf, die Wahrheit zu erfahren. (Die Öffentlichkeit, in ihrem blinden Egoismus, hatte ein Recht darauf, daß man ihr überhaupt nichts sagte.) Was war das für ein geheimnisvolles Fieber? In welchem Ausmaß wütete es, und wie groß war die Gefahr der Ansteckung? Da die Fernmeldeverbindungen ständig unterbrochen waren, fragte sie sich, ob man beabsichtigte, ganz Südwest-England hinter einem cordon sanitaire zu verstecken. Und falls das zutraf, wo lagen die genauen Grenzen dieses cordon sanitaire? (Sie war vernarrt in dieses Fremdwort und verwendete es noch ein paarmal.) Und was passierte nun mit den Leuten hinter dem cordon sanitaire? Die Öffentlichkeit hatte ein Recht darauf, das zu erfahren. Und war es reiner Zufall, daß die Epidemie in den Gebieten wütete, wo sich die Forschungszentren befanden? Sie zählte fünf namentlich auf. Penheniot war auch darunter. (Damit servierte sie den Bewohnern dieser Bezirke einen Sündenbock auf dem Silbertablett. Man wußte jetzt, wer und was an dem Fieber schuld war. Nicht nur an dem Fieber, sondern an allem, was jemals schiefgegangen und in der Zukunft noch schiefgehen würde.) Sie fragte sich, ob nicht das, wogegen ihr Komitee so lange angekämpft hatte, jetzt eingetreten wäre. Es gäbe kein sicheres Mittel gegen menschlichen Irrtum und menschliches Versagen. Und deshalb …