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»Wo wirst du es tun?« – »Hier.«

David Silberstein blickte seufzend in das leicht bewegte Wasser hinunter … Eine beneidenswerte Tätigkeit. Er stand auf.

»Ich muß weiter.«

»Möchte Ihren Job auch haben«, sagte Roses. »Sie bekommen wenigstens immer frischen Kaffee.«

Als David Silberstein das Laboratorium betrat, war tatsächlich schon Kaffeepause. Professor Krawschensky stand neben der Maschine, eine Rolle Computerband in einer Hand, eine Kaffeetasse in der anderen. Selbst wenn Professor Krawschensky regungslos dastand, gewann man den Eindruck, er wünschte sich weit weg von hier oder unter eine Tarnkappe. Wenn in David Silberstein noch eine Spur von Hochgefühl nach dem Gespräch mit Roses zurückgeblieben war, starb diese Euphorie in diesem Augenblick. Hier war alles auf dem Sprung, unter Nervenstreß – Professor Krawschensky, er selbst, das ganze Dorf (Roses allerdings ausgenommen). Deswegen waren sie ja hier, um zu rotieren, unter Nervenstreß zu spuren. Sie rotierten unter der Knute des Erzantreibers, Emmanuel Littlejohn, legten sich alle mit ihren nicht unbeträchtlichen intellektuellen Gaben und mit Unterstützung des nicht unbeträchtlichen Vermögens von Emmanuel Littlejohn ins Geschirr.

Der Professor erblickte David Silberstein und lief auf ihn zu. Er verlagerte die Kaffeetasse aus seiner rechten Hand in seine linke, tauschte mit David einen Händedruck und nahm dann seine Tasse wieder in die rechte Hand.

»Mein lieber Freund …« Er scharrte nervös mit den Füßen. »Es ist doch hoffentlich alles in Ordnung, oder? Ihr Besuch … Ich meine, es hat sich doch hoffentlich nichts verschlimmert, oder?«

Der Professor las keine Zeitungen und sah sich auch nicht die Nachrichtensendungen der Fernsehanstalten an. In dem Wettlauf, den er mit der Außenwelt veranstaltete, sperrte er sich geistig gegen jede detaillierte Information, wie gut sein Gegner im Rennen lag. Deshalb befand er sich dauernd in einem chaotischen nervlichen Zustand und bettelte um etwas, was ihn angeblich doch nur belastete. Er blickte David Silberstein über den Rand seiner Tasse hinweg an. Er trank nicht, sondern versteckte sich nur.

»Nein, sagen Sie mir nichts. Ich weiß auch so, was draußen vorgeht. Ersparen Sie mir die schockierenden Einzelheiten. Gott sei Dank mache ich Fortschritte in meiner Arbeit. Die Sonne scheint. Es ist gut, auf Gottes guter Erde noch am Leben zu sein. Das ist alles, was wir wissen oder wissen müssen.«

Der Professor lief zu seiner Assistentin und drückte ihr die Rolle mit dem Computerband in die Hand. »Hier haben Sie die Beschleunigungssequenz für das Experiment Nr. 3376. Ich hoffe, wir können abfahren.«

Ohne auf eine Antwort von Liza zu warten, wendete er sich wieder seinem Besucher zu.

»Sie werden beeindruckt sein. Die Startphase haben wir jetzt vollkommen in den Griff bekommen. Selbst bei organischen Stoffen. Eine wesentliche Verbesserung seit unserer letzten kleinen Vorführung, wenn ich mich noch richtig erinnere. Aber ich hätte Ihnen längst eine Tasse Kaffee anbieten sollen. Liza, eine Tasse Kaffee für Mr. Silberstein!«

Liza fädelte erst sorgfältig das Band ein, ehe sie sich der Kaffeemaschine zuwendete. Liza verstand es meisterhaft, mangelnde natürliche Anmut durch Fürsorge und Sorgfalt zu ersetzen.

»Die Dosierung der Bremskraft beim Wiedereintritt macht uns augenblicklich Schwierigkeiten. Sie scheint schwieriger zu sein, als ich mir das vorgestellt hatte. Theorie und Praxis sind eben leider zwei Paar Stiefel … Doch wie geht es Ihnen eigentlich, alter Freund? Mir kommt es vor, als hätte ich Sie schon seit Tagen nicht mehr gesehen. Was sage ich – seit Wochen nicht mehr! Tja, ich mache mich rar. Meiner Frau gefällt das überhaupt nicht. Sie meint, das schade der Gesundheit und wäre unfair den anderen gegenüber. Aber die Zeit drängt. Sie ist unersetzlich. Und immer die Hoffnung, daß das nächste Experiment endlich den entscheidenden Durchbruch bringt.«

Der Professor eilte auf die Startbühne und prüfte Brennweiten und Skalen, während er, ab und zu über die Schulter blickend, weiter Konversation machte. David Silberstein hörte nicht mehr zu, nahm dankend die Tasse mit dem heißen Kaffee entgegen, die Liza ihm reichte. Sie tauschten miteinander einen Blick, waren sich einig in ihrem amüsierten Bedauern. Dann trat Liza neben den Professor auf die Bühne. David sah ihr zu, wie sie Skalen ablas und mit den Angaben verglich, die sie säuberlich in Listen eingetragen hatte. Offenbar hatte sie diese Prüfung schon einmal gewissenhaft vorgenommen. Doch sie zeigte keine Spur von Ungeduld, die die Harmonie stören konnte. Sie war nicht schon, wie es ihr auch an natürlicher Anmut fehlte, doch sie glich das durch Hingabe und Aufmerksamkeit für jedes Detail aus. Aber sie übertrieb nicht. Ihre Bescheidenheit rührte den maßvollen David Silberstein in der Tiefe seiner keuschen Seele. Sie war ein Wunder. Zu traurig, daß er bereits fünfundvierzig war und sie erst sechsundzwanzig. Traurig, aber kein unüberwindliches Hindernis.

Silberstein wendete sich ab und überließ den Professor seinen Skalen und dem technischen Wechselgesang mit seiner Assistentin.

Das Laboratorium besaß ein riesiges Fenster, das auf die Bucht hinausblickte und sich von außen dem Betrachter als Atelier eines profilierten Künstlers darbot. Dieser Eindruck wurde noch verstärkt, wenn man durch das Glas die Knöpfe eines kleinen Bohn-446-Computers und die Hebel einer verstellbaren Bühne schimmern sah. Selbst die Pulsgeneratoren und Beschleuniger – falls man sie von draußen hätte sehen können – hätten durchaus Werkzeuge eines Bildhauers sein können, der mit Hologrammen experimentierte. Und die Startbühne ähnelte wirklich sehr der Bühne einer Akademie, auf dem das Modell, von einigen Scheinwerfern neugierig beleuchtet, saß.

In dem gegebenen Fall war das Modell ein schlichter Holzstuhl. Allerdings, überlegte David Silberstein, mit Schattierungen eines van Gogh. Ein altmodisches Stück, aber nicht antik. Er bestand aus solidem Ulmenholz, war unbemalt und zeigte nur Spuren von Fett an Lehne und Sitz. Nägelköpfe schimmerten am Rand der Sitzfläche, wo die Beine mit dem Sitzgestell verbunden waren. Die Zahl der Molekularstrukturen, die dieser Stuhl darstellte, war in der Tat riesig. Wenn man nun schon den Start einer so großen Kombination beherrschte, konnte man wirklich von Fortschritt sprechen.

Die Laboratoriumsuhr schlug in rascher, vehementer Folge die siebenundzwanzigste Stunde. Diese Uhr veräppelte sich selbst, war eine riesige, komplizierte Karikatur des Dorfes und der Zeit. Die Vorderwand der Uhr füllte die ganze Schmalseite des Labors aus, war mit Zifferblättern, Schlagwerken, Weckern, kleinen Klapptüren übersät, aus denen Männchen mit Regenschirmen, Herolde mit Trompeten und Kuckucks herauskamen und ein Hund, der eine Wurst bellend verteidigte. Auch ein Feuerwehrmann, der das Mundstück seines Schlauches auf den Zuschauer richtete, ohne ihn tatsächlich mit Wasser zu überschütten. Die Zeiger der Uhr sagten zwar, wann der nächste Zug von irgendeinem Dorf in Bengalen nach Kalkutta abging, und irrten in diesem Punkt nie. Sie sagten, wo die Züge wegen Überschwemmung, Waldbränden oder Seuchen ausfielen. Aber eines taten sie nicht – schon gar nicht an dieser Stelle – die richtige Zeit angeben. Sie zeigten nicht die wahre Zeit an. Nicht die richtige Sekunde, den richtigen Tag, den richtigen Monat oder das richtige Jahr.

Wenn man das wissen wollte, mußte man sich schon an den kleinen Computer wenden, der auch für die Verrücktheit der Laboratoriumsuhr verantwortlich war. Dieser kleine Computer hatte natürlich immer recht.

»… mein lieber Freund, ich vernachlässige Sie ja! Wie war der Kaffee? Fad, wie ich vermute. Komisch, daß man trotz all dem« – seine Handbewegung schloß die ganze zivilisierte Welt ein – »nicht einmal eine wirklich gute Tasse heißen Kaffees zustande bringt. Eigentlich gar nicht so komisch. Ein wirklich ungetrübter Segen für die Menschheit war doch von Anfang an nicht drin … Sollen wir endlich mit dem Experiment beginnen?«