Выбрать главу

Bislipurs Kiefer mahlten. »Ich werde den Berater um Verzeihung bitten.«

Sie wandten sich der Versammlung zu. Die Plätze für die fünf Stammeskönige waren halbkreisförmig um einen Tisch angeordnet; für die Clananführer standen kunstvoll gemeißelte Steintribünen dahinter zur Verfügung, damit sie die Sitzungen mit verfolgen und ihre Ansichten darlegen konnten.

Ein Stuhl und die Ränge dahinter blieben unbesetzt und erinnerten schmerzlich an die Vernichtung der Fünften. Der Herrscher sowie die Clangesandten des Ersten Stammes fehlten noch, dafür saßen die Zwerge aus den siebzehn Clans des Zweiten auf ihren Plätzen.

Auf dem Tisch lagen verschiedene Karten des Geborgenen Landes ausgebreitet. Vor der Ankunft der Vierten hatten die Zwerge sich über die Vorgänge im Norden ausgetauscht, jetzt wandten sie ihre Aufmerksamkeit Gandogar zu.

Die Aufregung des Königs wuchs. Zum ersten Mal seit mehr als vierhundert Sonnenzyklen versammelten sich die Mächtigsten und Besten aller Stämme; zum ersten Mal sah er so viele entfernte Verwandte und Herrscher von Angesicht zu Angesicht. Namen, die er immer wieder gehört und gelesen hatte, verbanden sich nun mit einem Gesicht, und sein Herz pochte vor Freude.

Die anderen Zwerge erhoben sich, um ihn und seine Gefolgschaft mit einem kräftigen Handschlag zu begrüßen. Gandogar spürte, wie unterschiedlich die Handinnenflächen waren: mal schwielig, mal vernarbt, mal muskulös, dann beinahe schon feingliedrig. Der freudige Empfang rührte ihn, wenngleich er in manchen Augenpaaren Misstrauen und Argwohn ihm gegenüber erkannte.

Dann aber trat er vor Gundrabur Weißhaupt, König der Zweiten und Großkönig, Herrscher über alle Stämme und Clans.

Er riss sich zusammen, um seinen Schrecken zu verbergen.

Der Großkönig musste einst ein stattliches Kind des Schmieds gewesen sein, doch nach mehr als fünfhundert Sonnenzyklen brannte sein Lebenslicht so schwach, dass es schien, als könnte der leiseste Windhauch es zum Erlöschen bringen. Die trüben, gelblich braunen Augen flackerten und waren nicht imstande, ein Ziel zu finden; Gundrabur schaute durch ihn hindurch.

Wegen seines Alters verzichtete er auf eine schwere Rüstung. Der aufgezehrte Leib war in ein reich besticktes dunkelbraunes Stoffgewand gehüllt; sein Silberbart und das Haupthaar hingen bis auf den Boden herab. In seinem Schoß lag die Krone, das Insignium seiner Großkönigwürde; selbst sie war seinem Körper eine Last geworden.

Neben dem Thron stand der zeremonielle Schmiedehammer, in dessen Kopf Runen graviert waren; Edelsteine und Intarsien aus den verschiedensten Edelmetallen spiegelten das Licht der Kohlebecken und Leuchter. Der gebrechliche Zwergenführer würde nicht einmal den Stiel des schweren Werkzeugs hochheben können.

Gandogar räusperte sich und schluckte die Beklemmung hinunter. »Hier stehe ich vor dir, weil du mich gerufen hast, um dir auf den Thron nachzufolgen, mein König«, sprach er die alten Worte.

Gundrabur neigte das Haupt und wollte etwas erwidern, aber seine Stimme versagte.

»Er freut sich, dass du seinem Ruf gefolgt bist und den weiten Weg auf dich genommen hast«, antwortete Balendilín an seiner statt. »Bald, wenn der Rat der Stämme sich dafür ausspricht, wirst du die Krone tragen.« Er deutete auf einen freien Platz an der Tafel, und der König der Vierten nahm Platz. Bislipur trat hinter ihn. »Ich bin Gundraburs Stellvertreter und nehme den Königssitz für die Zweiten ein.«

Gandogar inspizierte die Karten und bemerkte, dass ihn einige der Abgesandten musterten, weil sie anscheinend erwarteten, dass er seinen Anspruch auf das Amt des Großkönigs mit Worten untermauerte. Bislipur aber hatte ihn davor gewarnt, zu früh seine Stimme zu erheben. Erst galt es, die Lage im Norden des Geborgenen Landes zu besprechen, und er war sehr gespannt, ob seine Stammesbrüder seinem Plan folgen würden.

»Wo sind die neun Clans von Borengar?«, fragte er mit Blick auf die leeren Stühle der Ersten in die Runde. »Sind sie noch nicht eingetroffen?«

Balendilín schüttelte den Kopf. »Wir haben keine Nachricht von ihnen erhalten. Seit mehr als zweihundert Zyklen nicht mehr.« Er langte nach seiner Axt und deutete mit der Spitze auf die Karte. Im äußersten Westen bewachten die Zwerge Borengars, des Ersten, den Silberpass des Roten Gebirges und verteidigten ihn gegen Eindringlinge. Ihr Reich wurde von dem der Menschenkönigin Wey IV. umschlossen. »Aber es gibt sie noch. Kaufleute aus dem Land Weyurn haben berichtet, die Pforte des Silberpasses sei fest verschlossen.« Er legte die Axt vor sich auf den Tisch. »Sie werden damit leben müssen, dass wir ohne sie abstimmen. Es ist ihre Sache, wenn sie sich nicht einfinden.«

Die Versammlung murmelte ihre Zustimmung.

»Bevor du zum Nachfolger des Großkönigs gewählt wirst, höre, welche Herausforderungen auf dich warten. Das Tote Land kriecht immer weiter vorwärts. Jeder Schritt Land, den die Unholde Tions eroberten, wurde von der unheimlichen, unsichtbaren Macht ergriffen; die Natur wird bösartig, die größeren Pflanzen versuchen, alles Lebendige anzugreifen und zu töten. Wer darauf sein Leben verliert, so erzählen sich die Menschen, kehrt seelenlos auf die Erde zurück und hat keinen eigenen Willen mehr. Man wird zum Sklaven der finsteren Macht und stellt sich in die Reihen der Orks, um fortan gegen das eigene Volk zu kämpfen.«

»Es kriecht vorwärts?« Gandogar sog scharf die Luft ein. Allem Anschein nach versagten die Kräfte der Zauberer, das Tote Land aufzuhalten. »Ich ahnte es! Die spektakuläre Magie der Langen taugt nichts«, brach es aus ihm heraus. »Nudin, Lot-Ionan, Andôkai und wie die überschlauen Gelehrten heißen, haben sich mit ihren Famuli in den Laboratorien, Burgen und Festungen verkrochen, um das Zaubern zu vervollkommnen. Sie jagen der Unsterblichkeit der Elben hinterher, um unbegrenzt forschen und ihre Formeln niederkritzeln zu können. Das haben wir nun davon! Das Tote Land lässt sich nicht länger bändigen und legt sich wie Rost über Eisen, das nicht gepflegt wurde.«

Die Zwerge bekundeten lauthals ihre Zustimmung zu seinen offenen Worten.

»Doch es hat auch Vorteile gebracht. Sie haben die Elben beinahe vernichtet.« Gandogars Herz frohlockte, weil der endgültige Niedergang der hochnäsigen Rasse wohl nicht mehr lange auf sich warten ließe. Er selbst würde mit seinen Scharen zur Stelle sein, um ihnen den Gnadenstoß zu geben. Sein Vater und sein Bruder waren durch die Hand der Elben getötet worden, doch jetzt nahte die Stunde seiner Rache. Die Scharmützel, die ständigen Anfeindungen haben bald für immer ein Ende. Es drängte ihn, die anderen in seine Pläne einzuweihen.

»Beinahe? Es klingt, als hättest du etwas zu sagen«, meinte Balendilín stirnrunzelnd.

»Hört mich an, ihr Stammesbesten und Clanoberhäupter«, hob Gandogar an. Seine Wangen glühten, und die braunen Augen sprühten vor Begeisterung. »Vraccas gab uns die Gelegenheit, die Schöpfung Sitalias zu vernichten!« Sein Zeigefinger legte sich auf das kleine Fleckchen auf der Landkarte, das vom Elbenreich übrig geblieben war. »Dort sind die Letzten versammelt. Ich sage euch: Bringen wir ein starkes Heer auf, marschieren in Âlandur ein und strafen die Elben ein für allemal für ihre ungesühnten Taten in den letzten Zyklen!«

Die versammelten Zwerge starrten ihn an; die Überrumpelung war gelungen.

»Gandogar, wir haben uns eingefunden, um dich zum neuen Großkönig zu wählen«, mahnte Balendilín mit ruhiger Stimme und bemühte sich, die Aufregung zu dämpfen, »und nicht, um Kriegspläne zu schmieden. Das ist nicht unsere Aufgabe.« An dem Gemurmel rundum aber merkte er, dass die Bemerkungen des Vierten auf fruchtbaren Boden gefallen waren. »Wir verteidigen die Völker des Geborgenen Landes und bekämpfen sie nicht! Erinnert euch an die Aufgabe, die uns Vraccas gab!«, beschwor er sie.

Gandogar schaute sich um. Seine Brüder rangen mit dem Für und Wider. »Es geht um mehr! Ich bin im Besitz alter Aufzeichnungen unseres Volkes, die Bislipur fand und mir übergab. Hört selbst und entscheidet, was wir tun sollen.« Er holte tief Luft, nahm eine Abschrift auf Pergament hervor und zitierte feierlich: