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Der Mund des jungen Mannes öffnete sich zum Protest.

»Sollte ich jetzt auch nur eine Klage von dir oder in den kommenden Tagen von Frala und der Köchin über dich hören, kannst du deine Sachen packen und verschwinden, Jolosin.« Die Kiefer des Famulus schlossen sich rasch. »Ach, und bevor du deinen Dienst in der Küche antrittst«, der Magus deutete auf das Wirrwarr, das einst das Laboratorium gewesen war, »räumst du hier auf.«

Mit einer energischen Handbewegung scheuchte er die anderen Zauberschüler hinaus, während er sich erhob, einen Besen aus der Ecke nahm und ihn dem Zauberschüler in die Hand drückte.

»Natürlich wirst du es allein tun und erst frei kommen, wenn hier sauber ist«, verabschiedete er sich und schritt zum Ausgang. »Blitzsauber.«

Die Tür fiel zu, und der Riegel fuhr geräuschvoll ins Schloss.

II

Das Geborgene Land, das Zwergenreich des Zweiten, Beroïn, im Winter des 6233sten Sonnenzyklus

Gundrabur wollte aus seinem Vorhaben nicht länger ein Geheimnis machen und reichte seinem Berater besagten Brief. »Hier. Absender ist Lot-Ionan der Geduldige, wie ihn die Bewohner in seinem Zauberreich Ionandar nennen.«

Mit dem Namen konnte Balendilín etwas anfangen. Der Magus lebte im mittleren Osten des Geborgenen Landes und galt als ein Menschenmagier, der die Einsamkeit liebte. Die meiste Zeit verbrachte er in einem seiner unterirdischen Stollen, um neue Formeln und Sprüche fernab von jeglicher Störung zu entwickeln.

»In seiner Gesellschaft befindet sich etwas sehr Ungewöhnliches: ein Zwerg. Ein einzelner Zwerg«, erklärte der Großkönig. »In der Botschaft war die Rede davon, dass Lot-Ionan ihm vor vielen Zyklen unter seltsamen Umständen begegnet sei und ihn aufgezogen habe. Nun will er wissen, ob ein Stamm den Zwerg vermisst. Er will seine Familie ausfindig machen.«

Balendilín überflog die Zeilen. »Wissen wir etwas über den Zwerg?«

»Die Angelegenheit ist rätselhaft und spannend zugleich«, meinte Gundrabur. »In den letzten zweihundert Zyklen habe ich nie davon gehört, dass unseren Clans ein Kind abhanden gekommen wäre.«

»Und nun möchtest du das Mündel des Zauberers als verschollenen Anwärter auf den Thron darbieten?«, mutmaßte Balendilín zweiflerisch und legte den Brief auf den Ratstisch. »Wie soll das gelingen? Wenn er bei den Langen aufwuchs, hat er nicht den blassesten Schimmer, was es bedeutet, ein Kind des Schmiedes zu sein. Aus den Clans des Stamms der Vierten wird ihn sicherlich niemand unterstützen, und es liegen keine Beweise vor, dass er wirklich zu ihnen gehört.«

Der Großkönig ging langsam zum Beratungstisch und nahm auf dem Königsstuhl seines Stammes Platz, bevor die Beine ihm den Dienst versagten.

»Mag sein«, erwiderte er angestrengt. »Mag sein, Freund, aber bis er hier ist und die Sache nicht geklärt wurde, können sie den Thron nicht besetzen. Selbst wenn ich sterbe, sind sie zum Warten gezwungen.« Er schaute seinen Berater ernst an. »Wenn Vraccas’ Hammer mich niederschmettert, ehe der Zwerg eingetroffen ist, liegt es an dir, einen Krieg zu verhindern und unser Volk vor Schaden zu bewahren.«

Balendilín presste den Mund zusammen. »Du wirst nicht so rasch von der Erde gehen, deine Lebensesse glüht hell und feurig, da bin ich mir sicher.«

»Du bist ein schlechter Lügner, wie alle Zwerge«, lachte Gundrabur und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Dennoch müssen wir beide von nun an mit falschen Zungen reden, um unser Volk vor diesem unsinnigen Krieg zu bewahren, der unser Untergang sein könnte. Wir werden lügen wie die Kobolde, Balendilín. Ausnahmsweise benötigen wir die Uneinigkeit der Clans«, schwor er seinen Vertrauten ein. »Und nun komm. Ich brauche deinen wachen Verstand. Es geht darum, ein festes Netz aus Unwahrheiten zu flechten, in dem sich Gandogar und Bislipur auf dem Weg zu meinem Thron verfangen, bis wir ihnen den Krieg ausgetrieben haben.«

Balendilín half dem König auf. Er konnte sich zwar nicht im Geringsten ausmalen, dass dieser Plan gelänge, doch er hielt den Mund verschlossen.

Als Gandogar am nächsten Morgen erwachte und wie alle Mitglieder der Gesandtschaften zur Fortsetzung der Beratungen in die Halle gerufen wurde, eilte er gut gelaunt los. Er rechnete damit, dass ihn Gundrabur dem Rat als Nachfolger empfehlen würde. Anschließend würde das Gremium abstimmen, und damit säße er schon bald auf dem Thron.

Die Frieden stiftende Rede des Großkönigs hatte ihn verärgert, doch inzwischen war der Groll verflogen. Der Alte, der in all den Jahren nichts getan hatte, um in den geschichtlichen Aufzeichnungen der Zwerge besonders in Erscheinung zu treten, würde in naher Zukunft in Bedeutungslosigkeit verschwinden. Einem sterbenden Greis konnte er nicht böse sein.

Gandogar betrat die Halle und nahm seinen Platz ein; Bislipur stellte sich hinter ihn. Die Ränge füllten sich schnell mit den übrigen Mitgliedern der Clanabordnungen.

Einige der Zwerge warfen ihm aufmunternde Blicke zu und klopften dabei auf die Axtköpfe. Es war nicht als Drohung gemeint, sondern sollte ihm sagen, dass sie seine Kriegspläne offen unterstützten.

Ein Clanangehöriger aus dem Stamm der Zweiten trug eine Kette um den Hals, an der ein zweifelhaftes Schmuckstück baumelte. Der König betrachtete das verschrumpelte Ding genauer. Es handelte sich um ein abgeschnittenes Elbenohr, mit dessen Besitz der Abgeordnete sich brüsten wollte, aber als die Ankunft des Großkönigs verkündet wurde, versteckte er die Trophäe hastig unter seiner Rüstung. Noch war es zu früh, den Hass gegen die Schutzbefohlenen so deutlich zur Schau zu stellen.

Gundrabur erschien und strafte die Gerüchte um sein bevorstehendes Ableben Lügen. Gandogar empfand in seinem Innersten Enttäuschung, den Großkönig in einer solch guten Verfassung zu sehen. Während er so dachte, befiel ihn das schlechte Gewissen. Gleichzeitig wünschte er dem Greis wahrlich nicht den Tod, doch die Widerworte gegen seine Vergeltungspläne ließen ihn ungewohnte Dinge denken.

Als die anwesenden Zwerge sich auf das rechte Knie herabließen, erklang das Klirren und metallische Reiben der Rüstungen. Dann reckte die Versammlung dem Großkönig die Äxte entgegen. Diese Geste war ein Symbol für die unerschütterliche Treue, die sie ihm hielten, und besagte, dass er über ihre Kraft und ihr Leben verfügten solle.

Gundrabur antwortete, indem er den Schmiedehammer anhob und ihn vernehmbar auf den Boden prallen ließ. Sie durften sich erheben, und wieder rasselte es laut.

Balendilín trat vor und richtete seine braunen Augen voller Ernst auf Gandogar. »Bist du bereit, deinen Anspruch auf den Thron des Großkönigs zu verteidigen, König der Vierten vom Stamme Goïmdil aus dem Clan der Silberbärte?«, wiederholte er die zeremoniellen Worte, mit denen er den Zwerg bereits willkommen geheißen hatte.

Gandogar erhob sich. Er zog seine Waffe aus dem Gurt und legte sie auf den Steintisch. »Hart wie der Fels, aus dem Vraccas uns schuf, und vernichtend wie meine Axt werde ich gegen die Feinde unseres Volkes vorgehen«, antwortete er feierlich. Er war so ergriffen, dass ihm zunächst nicht auffiel, dass der Berater zu ihm gesprochen hatte und nicht der Großkönig. Erst als Balendilín ihn am Weiterreden hinderte, bemerkte er es.

»Du hast deine Bereitschaft erklärt, König Gandogar, und wir haben sie alle vernommen. Aber du wirst warten, bis der zweite Bewerber aus deinem Stamm erscheint. Ihr beiden werdet eine Einigung erzielen müssen«, erklärte der Einarmige. »Bis dahin ist die Nachfolgerschaft nicht entschieden.«

»Was?!«, entfuhr es dem König, und das Blut schoss ihm in den Kopf. Er wandte sich um und ließ den Blick über die Reihen seiner Gefolgschaft wandern, die nicht minder überrascht war wie er. »Wer von euch wagt es, mich zu verraten?«, grollte er. »Aus welchem Clan du sein magst, tritt vor!« Seine Hand wanderte an den Griff der Streitaxt.