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»Du tust deinen Begleitern Unrecht«, hielt ihn Balendilín zurück. »Es ist keiner von ihnen.« Er entfaltete einen Brief und hielt ihn deutlich sichtbar in die Luft. »Ein junger Zwerg, der vor vielen Zyklen durch einen seltsamen Zufall von seinem Stamm getrennt wurde, hat sich an seine Ursprünge erinnert und sein Kommen angekündigt. Er lebt in Ionandar und bereitet sich derzeit auf die Reise vor.«

»Ionandar?«, wiederholte Gandogar ungläubig. »Im Zauberreich? Was, bei Vraccas, ist denn das für eine Missgeburt?« Er richtete sich auf. »Das kann nicht dein Ernst sein! Ein hergelaufener Zwerg schickt eine Botschaft, der du allein Glauben schenkst, und hält die Zeremonie auf? Wie ist der Name des Bewerbers?«

»Sein Name spielt keine Rolle. Er trägt einen Menschennamen, weil er von ihnen als Findelkind aufgezogen wurde«, erwiderte der Berater hart. »Aber die Gegenstände, die man damals bei ihm fand, weisen ihn als Angehörigen deines Stammes aus.«

»Das glaube ich nicht!«, rief Gandogar erbost. »Es ist eine List!«

»Dann sind die Zeilen über den Verrat der Elben an den Fünften ebenso eine List«, erwiderte Balendilín unnachgiebig, die Hand locker an die Gürtelschnalle gelegt.

»Genug!« Gundrabur stemmte sich aus seinem Herrschaftssitz empor. »Du wagst es, meinen Freund einen Lügner zu nennen, König Gandogar?« Die Worte dröhnten durch die hohe Halle, und der Zorn des Alters verlieh dem Ausbruch Kraft und Würde. Das Aufbegehren des Vierten wirkte dagegen wie das Gezänk eines Waschweibs. »Du wirst die Entscheidung so hinnehmen, wie sie von mir getroffen wurde. Sobald der Zwerg in der Festung eingetroffen ist, werden die Clans deines Stammes darüber entscheiden, wer von euch beiden der bessere Nachfolger sein wird.«

Gandogars ausgestreckter Arm deutete auf sein Gefolge. »Wozu warten? Fragt die Clans jetzt! Ihre Meinung wird sich niemals ändern! Wieso sollten sie einen Unbekannten …«

Der Großkönig hob die vom Alter gekrümmte Hand. »Nein.« Seine Finger wiesen auf die Stelen mit den Runen. »Wir befolgen die Gesetze unserer Vorfahren. So steht es geschrieben, so wird es erfüllt.«

Das darauf folgende Schweigen in dem gigantischen Raum besaß unterschiedliche Qualitäten. In der überwiegenden Mehrzahl bestand es aus der Überraschung, der Rest war ohnmächtige Wut, weil ihnen nichts anderes übrig blieb, als auf den dreisten Bewerber zu warten.

Gandogar sackte auf seinen Stuhl und zog die Axt zu sich heran; die Schneide hinterließ einen tiefen weißen Kratzer in dem polierten Steintisch und zerstörte die Makellosigkeit, an der die Steinmetzen so lange gearbeitet hatten.

»Ich beuge mich«, stieß er kühl hervor; mehr wagte er nicht zu sagen, aus Sorge, die Verzweiflung würde aus ihm sprechen und ihn zu Torheiten hinreißen. Entmutigt schaute er hinter sich. Bislipur bewahrte die äußerliche Fassung ausgezeichnet, aber diesen Gesichtsausdruck kannte er zu gut. Sein Verstand befasste sich bereits mit den neuen Umständen und suchte nach einer raschen Lösung. Er wusste, dass er auf seinen einfallsreichen Freund vertrauen konnte.

»Von Ionandar bis hierher sind es viele Reisewochen. Was sollen wir so lange tun?«, verlangte Gandogar zu wissen, während er die funkelnden Diamantsplitter an seiner Rüstung betrachtete. »Und woher wissen wir, dass er uns findet, der Möchtegern Großkönig?«

»Oder ob er lebend ankommt«, fügte Bislipur hinzu.

»Wir werden uns beraten«, antwortete Balendilín. »Es sind einige Dinge zu besprechen, die für die Stämme und Clans bald von wichtiger Bedeutung sein werden.« Dann lächelte er. »Es ist schön zu hören, dass ihr euch Sorgen um ihn macht, aber wir haben ihm eine Eskorte geschickt, die ihn heil zu uns bringen wird.«

»So? Dann schicken wir ihm auch eine«, beharrte Bislipur mit aufgesetzter Freundlichkeit. »Schließlich gehört er zu unserem Stamm. Sag uns, wohin unsere Krieger gehen müssen.«

»Das Angebot ehrt dich, doch es ist nicht nötig. Er wird der Gast des Großkönigs sein, also sendet Gundrabur unsere Leute«, lehnte Balendilín diplomatisch ab. »Nach diesem turbulenten Auftakt schlage ich vor, dass wir uns bei dunklem Starkbier eine Erholung gönnen. Es wird die erhitzten Gemüter kühlen.« Er nahm seine Axt und schlug mit der flachen Seite zweimal gegen den Tisch. Der klingende Ton flog durch die Halle und drang bis durch die Türen.

Schon wurden Fässer mit gebrautem Gerstensaft hereingetragen. Kurz darauf füllten sich die Humpen und Trinkhörner der Gesandten, und man trank auf das Wohl des regierenden und des kommenden Großkönigs. Nur wenige zweifelten daran, dass dessen Name Gandogar sein würde.

Bislipur klopfte seinem Schützling auf die Schulter. »Du musst nur ein wenig warten. Wir ehren die Vorfahren und erfüllen alle Bedingungen deiner Wahl, denn nur so lässt sich vermeiden, dass es jemals Zweifel an der Rechtmäßigkeit deines Amtes geben wird.« Er stieß mit dem König an und nahm einen langen Zug. Das Bier schmeckte malzig, schwer und ein wenig süßlich. »So können nur Zwerge brauen«, lachte er und wischte sich den Schaum aus dem Bart.

Als die Gesandten nach und nach übermütiger und ausgelassener wurden, setzte sich Bislipur ab und verschwand aus der Halle. Er drückte sich in einen kaum benutzten Nebengang und rief Swerd zu sich, um ihm mit einer ganz besonderen Aufgabe zu betrauen.

Das Geborgene Land, das Zauberreich Ionandar im Jahr des 6234sten Sonnenzyklus, Frühling

Pfeifend kniete Tungdil vor seinem Schrank und verstaute die Dinge, die er mitnehmen wollte, in seinem geräumigen Ledertornister: ein Zunderkästchen und einen Feuerstein, falls er unterwegs im Freien übernachten musste, sowie eine Decke, Angelhaken und Essgeschirr. Dann schnallte er den zusammengerollten Umhang mit einem Lederriemen am Rucksack fest, warf sich das Kettenhemd über und rückte es mit eingespielten Bewegungen zurecht.

So fühlte er sich wohl. Das Geflecht aus Eisenringen gab ihm ein sicheres Gefühl und bedeutete zugleich etwas Vertrautes. Es war ein Empfinden, das aus seinem tiefsten Inneren kam und für ihn selbst unerklärlich war.

Das Gleiche spürte er, wenn er an der Esse stand und kleinere Schmiedearbeiten verrichtete. Hufeisen formen, Nägel machen, Eisenbeschläge für Türen anpassen, Messer schleifen und Werkzeuge dengeln, das gelang ihm mit Leichtigkeit. Er vermutete, dass das Zwergische in seinem Blut der Auslöser dafür war.

Und so nahm er seinen prallen Rucksack auf, hakte die Kampfaxt, die er von dem Magus geschenkt bekommen hatte, in den Gürtel und begab sich zu dessen Arbeitszimmer. Den Weg dorthin kannte er blind, Licht brauchte er fast keins, und sein zwergischer Orientierungssinn ließ ihn unter der Erdoberfläche niemals im Stich. Jeden Tunnel, durch den er einmal gegangen war, erkannte er wieder, denn seine Augen nahmen die feinen Unterschiede in den Wänden wahr; doch sobald er sich im Freien zurechtfinden sollte, versagte er jämmerlich und war ohne Karte verloren.

Nach kurzem Klopfen öffnete er die Tür. Lot-Ionan trug seine geliebte beige Robe und saß an seinem Schreibtisch. Anklagend hielt er ein tintengetränktes Blatt Papier in die Höhe, als der Zwerg eintrat.

»Siehst du das, Tungdil? Das ist dein Wirken.« Er warf es zurück auf den Stapel. »Nutzlos. Meine Arbeit von vielen Umläufen wurde innerhalb weniger Lidschläge zunichte gemacht.«

»Ich habe es nicht gewollt«, erwiderte der Zwerg ehrlich zerknirscht und doch nach wie vor starrköpfig. Der ausgeprägte Eigensinn war ein weiteres Erbe seiner Herkunft.

»Das weiß ich doch.« Das Gesicht des Magus nahm einen gütigen Ausdruck an. »Was ist denn wirklich geschehen?«

Tungdil senkte den Kopf. »Famulus Jolosin hatte mir wieder mal einen Streich gespielt. Ich wollte mich rächen und schüttete ihm einen Eimer Wasser über«, druckste er herum. »Er verwandelte es zu Eis, doch die Klumpen zerschlugen die Phiolen. Dann hat er mich eingesperrt, damit Ihr mich für den Schuldigen haltet.« Seine braunen Augen richteten sich auf seinen Ziehvater.

Der Magus seufzte. »Ich dachte mir schon, dass ihr beide euren Anteil tragt. Es tut mir Leid, dass ich laut wurde.« Er deutete auf das Pergament. »Für mich bedeutet es, dass ich die nächsten Umläufe wieder mit dem Zeichnen von Runen verbringen werde. Du wusstest doch, dass du nichts im Laboratorium zu suchen hast. Ihr Zwerge seid nicht dafür geschaffen, die flüchtigen Zauberkräfte zu beherrschen oder mit den Elixieren zu hantieren.«