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»Das Volk der Zwerge und die Orks sind unversöhnliche Feinde«, erwiderte er ernst. »Ein Zwerg würde mit ihnen niemals gemeinsame Sache machen.« Er reckte dem Mann die Hand entgegen. »Da, mein Wort, mein Ehrenwort, dass ich keinen Verrat im Schild führe. Das schwöre ich bei Vraccas, der die Zwerge erschuf.«

Der Pfeifenraucher betrachtete die kräftigen Finger und überlegte, was er tun sollte. Schließlich schlug er ein und drehte Tungdil den Rücken zu.

Der Schankwirt brachte dem erleichterten Zwerg ein frisches Bier. »Du musst ihm verzeihen. Wir sind alle angespannt«, beeilte er sich zu erklären. »Die Orks ziehen bereits seit vielen Umläufen durch den oberen Westen Idoslâns und plündern Siedlungen.«

»Deshalb die Söldner?«

»Ja. Wir haben die Krieger angeheuert, um unser Dorf zu beschützen, bis König Tilogorns Soldaten eintreffen und die Horden vernichten.« Er wandte sich zum Gehen.

»Warte!« Tungdils Hand legte sich auf seinen fleckigen Ärmel. Eine vage Hoffnung keimte in ihm auf. »Sind Zwerge in seiner Streitmacht? Ich habe gehört, dass einige in seinem Sold stehen.«

Der Wirt zuckte mit den Achseln. »Ich weiß es nicht, kleiner Mann. Denkbar wäre es.«

»Wann kommen sie an?«, wollte er aufgeregt wissen. Sein Botengang zum Schwarzjoch würde einen Aufschub vertragen, wenn er dafür endlich Angehörige seines Volkes zu sehen bekäme. Soll Jolosin nur ordentlich schälen.

»Sie wollten vor drei Umläufen hier sein«, antwortete der Wirt und deutete entschuldigend zum Tresen, wo Durstige nach ihrem Bier verlangten. Tungdil ließ ihn ziehen und aß weiter, während er über das Land nachdachte, in das es ihn verschlagen hatte.

Idoslân hatte seinen Namen daher erhalten, weil hier etliche Schlachten geschlagen worden waren. Dabei war es immer nur um den Thron gegangen. Die Ido waren einst ein großes Herrschergeschlecht gewesen, das selbst in der eigenen Familie um die Macht gerungen und sich gegenseitig bekriegt hatte – worunter vor allem die Untertanen zu leiden gehabt hatten. Das Reich war zersplittert, jedes Stückchen von einem anderen Familienmitglied regiert worden. Irgendwann war es den einfachen Bewohnern zu viel geworden, und sie hatten die Angehörigen des Geschlechts der Reihe nach abgeschlachtet: Idoslân.

Ein angetrunkener Dörfler stand auf und hob seinen Becher. »Es lebe Mallen! Auf dass er den Betrüger Tilogorn vom Thron stoße!« Als niemand in seinen Trinkspruch einfiel, setzte er sich grummelnd.

Wenn Tungdil sich recht entsann, war damit Prinz Mallen von Ido gemeint, der letzte Spross des Geschlechts. Er lebte im nördlich gelegenen Urgon und betrieb von dort aus ein Ränkespiel, um eines Tages als rechtmäßiger König in das Land zurückzukehren.

An der Wand der Gaststube hing eine alte, vergilbte und verräucherte Karte von Idoslân. Das Reich selbst wies harmlose Berge, Wälder und Ebenen auf, die sich in abwechslungsreicher Folge aneinander reihten. Es hätte ein Paradies sein können, wenn die Orks nicht gewesen wären.

»Schön, nicht wahr?«, sagte einer der Gäste, der die Blicke des Zwergs bemerkt hatte.

»Bis auf Toboribor«, meinte Tungdil und deutete auf den eingezeichneten schwarzen Fleck, der mitten in Idoslân lag, ausgerechnet dort, wo sich die fruchtbarsten Äcker befanden. Er nahm seinen Humpen und wanderte zum Nachbartisch. »Was hat die Orks aufgeschreckt?«

»Sie brauchen nicht aufgeschreckt zu werden. Sie ziehen aus Langeweile los, um Angst und Schrecken zu verbreiten. Ein paar Meilen von hier waren sie schon. Haben Äcker und Obsthaine angezündet. Scheußliche Kreaturen! Mord, Raub und Kampf, etwas anderes kennen sie nicht«, berichtete der Mann.

»Aber sie sind stark«, ergänzte ein anderer und rollte mit den Augen.

»Jetzt kommt wieder die alte Geschichte«, stöhnte der Wirt auf und schenkte Bier nach.

»Ja, die alte Geschichte«, meinte der Erzähler halb beleidigt, aber es reichte nicht aus, um ihn zum Schweigen zu veranlassen. »Ich stand einst einer ganzen Rotte von besonders großen Viechern gegenüber, als ich noch in Tilogorns Heer diente …«

»… und er keine Zeit dazu hatte, kleine Kinder zum Grausen zu bringen …«

»Sei jetzt still, Krüger! Ich habe mit ihnen gekämpft, nicht du! Stell dir vor, Zwerg, sie überragen einen gewöhnlichen Mann um einen ganzen Kopf. Ihre Fratzen mit den platten Nasen und den hervorstehenden Zähnen sind einfach widerlich. Die grässlichen Augen und ihr Gebrüll jagen unerfahrenen Kämpfern gehörig Angst ein.«

»Das schreiben die Bücher auch«, rutschte es Tungdil heraus, doch glücklicherweise hörte niemand seine Anmerkung. Er kratzte sich am Kopf; seine Haut musste sich erst noch an den ständigen Sonnenschein gewöhnen, und wäre es Sommer gewesen, hätte er schon längst einen Sonnenbrand gehabt.

»Einen halben Umlauf brauchten wir damals, bis wir sie niederwarfen, so zäh waren sie. Ach, als ich noch bei den Soldaten war, hätten wir die Orks, die um unser Dorf lungern, selbst besiegt. Dann brauchten wir keine Söldner zu unserem Schutz anzuheuern. Das Heer ist nicht mehr das, was es einmal war«, sagte er wehleidig und sehnte sich seine Jugend zurück. Sein Blick fiel auf die Axt des Zwerges. Er betrachtete die Klinge, die unter dem Einsatz im Wald gelitten hatte; getrocknete Harzspuren und kleine Späne hafteten daran. »Eine so gute Waffe, und du hackst damit Holz?«, wunderte er sich.

»Ich musste mir einen Weg durch das Dickicht bahnen.« Tungdil wurde rot und flehte im Stillen, dass ihn niemand bat, die viel gerühmte zwergische Kriegskunst zu demonstrieren. Er hätte es nicht gekonnt.

Lot-Ionan besaß als Magus keinerlei Bezug zu Waffen, Schwertkampf und dem Handwerk eines Kriegers. Folglich hatte Tungdil niemals einen Lehrer gefunden, der ihm gezeigt hätte, wie man die Axt gegen einen Gegner führte. Die Mägde und Knechte brauchten Beile und Äxte zum Holzhacken oder um eine Ratte tot zu schlagen. Damit endeten auch seine Versuche, die Handhabung der berüchtigten Zwergenwaffe zu erlernen, wie es für einen Angehörigen seines Volkes angemessen wäre. Sollte er eines Tages einem Gegner gegenüberstehen, was angesichts der Orks nicht einmal abwegig erschien, würde er drauf losschlagen und hoffen, dass er den Feind verjagte …

»Ich habe schon viel von den Zwergen und ihrer Kampfkraft gehört. Habt ihr es im Blut, oder muss man es euch beibringen?«, fragte der Erzähler ihn prompt. »Einer von euch genügt, um zehn Orks zu töten, sagt man. Stimmt das?«

Tungdil wurde es inmitten der vielen Menschen klarer denn je zuvor: Er war weit davon entfernt, ein echter Zwerg zu sein. Sein Volk würde ihn gewiss auslachen, und plötzlich wünschte er sich nicht mehr, einem von ihnen zu begegnen. Selbst der Gedanke an die Liebe mit einer Zwergin verfehlte seinen Reiz.

»Es stimmt«, antwortete er schwach und hoffte, dass es sich wirklich so verhielt. Dann gähnte er laut und streckte sich. Es wurde Zeit, dass er in ein Bett fiel, die Gedanken und die neugierigen Zuhörer abschüttelte. »Entschuldigt, aber ich möchte mich nun ausruhen.«

Sie entließen ihn ungern aus ihrer Runde, nachdem sie ihre erste Zurückhaltung überwunden hatten. Der Wirt wies ihm ein Lager im zweiten Stock des Fachwerkhauses zu, ein geräumiger Schlafsaal, in dem niemand anderer nächtigte.

Die Waschschüssel nutzte er, um seine heißen Füße zu kühlen, die den Stiefeln seit dem Beginn der Reise nun zum ersten Mal entstiegen. Während er sich noch schnell ein drittes Bier gönnte, schaute er zum Fenster der engen Kammer hinaus und ließ den Blick über die Ziegeldächer Gutenauens schweifen.

Die Siedlung war recht groß und musste annähernd tausend Häuser umfassen. Die Bewohner lebten vermutlich von den Ernten der umliegenden Getreide- und Gemüsefelder sowie den Erträgen der Obstbäume. Dieses bisschen Reichtum wurde nun durch die marodierenden Orks bedroht. Tilogorns angefordertes Heer würde sich beeilen müssen, wenn es etwas retten wollte.

Tungdil trocknete die geschundenen Füße ab, legte seine Kleidung auf den Stuhl und verschwand unter der dicken Federdecke.