Geflissentlich verneigte es sich vor Bislipur. »Swerd steht Euch zu Diensten«, grummelte es missgelaunt. »Wie immer nicht aus freien Stücken.«
»Schweig, Gnom«, donnerte Bislipur und hob die breite Faust. Swerd duckte sich. »Reite vor und melde uns an. Dann warte, bis wir eintreffen, und rühre nichts an.«
»Ich habe es vernommen und gehorche, ohne Gefallen daran zu finden.« Der Gnom verbeugte sich tief und hetzte zu seinem kleinen Pferd. Kurz darauf preschte er an den Zwergen vorbei und jagte auf die Festung zu.
Man sah selbst von weitem, dass Swerd nicht reiten konnte. Er hopste entgegen den Bewegungen des Ponys auf dem Sattel auf und nieder, drückte mit seinen klauenartigen Fingern die Mütze fest auf den Schopf und überließ es dem Tier, den Weg zum vordersten Wall zu finden.
»Wenn er noch schneller galoppiert, entmannt er sich selbst«, schätzte Gandogar. »Wann wirst du ihn frei lassen?«, wollte er von seinem Mentor wissen.
»Wenn er genug für seine Tat gebüßt hat«, erwiderte Bislipur knapp. »Lasst uns weiterziehen.« Er drückte die Fersen in die weichen Flanken seines Ponys; gehorsam trabte es los.
Sie näherten sich der Festung Ogertod, die sie beide nur aus Erzählungen und von Zeichnungen her kannten.
Es mochten Jahrhunderte verstrichen sein, seitdem der Letzte aus dem Stamm Goïmdils bis ans andere Ende des Geborgenen Landes gereist war. Früher hatte sich ihr Volk in regelmäßigen Zyklen getroffen, um ihrem Gott Vraccas zu Ehren gemeinsam ein Fest zu feiern und dem Schmied zu danken, dass er sie erschaffen hatte, aber seit der Steinerne Torweg gegen die Orks, Oger und Albae gefallen war und die Clans des Fünften Stammes vernichtet worden waren, war der Zusammenhalt zerbrochen.
»Es wird höchste Zeit.« Gandogar hob seinen Hintern ein wenig an. Das Sitzfleisch schmerzte vom ewigen Geschaukel.
Keiner von ihnen konnte besonders gut reiten. Schweren Herzens hatten sich die Abgesandten auf die Ponys gesetzt; großen Pferden hätten sie als wahre Zwerge schon gar nicht getraut, und zudem sah es unwürdig aus, wenn man eine Trittleiter zum Aufsteigen benötigte.
Die Ablehnung saß tief. Zwei ihrer Begleiter verweigerten sich dem Reiten gänzlich und hatten sich kleine, wendige Streitwagen gebaut, die am Ende des Zuges rollten.
»Wir freuen uns alle auf das Ende der Reise«, sagte Bislipur knapp und spuckte Sand aus.
Der Anblick des eindrucksvollen Bollwerks aber entschädigte sie ein wenig für die Strapazen. Gandogars Augen schweiften über die kunstvollen Steinmetzarbeiten, welche die Mauern und Türme zierten; schon die Figuren, Verzierungen, Sockel und Säulen des ersten Walls versetzten ihn in Staunen. Wir mögen die besten Edelsteinschleifer sein, aber sie sind wahrlich die besten Steinmetzen.
Das Eingangstor schwang auf und erlaubte dem Tross, in den Hof der ersten Terrasse einzureiten. Swerd stand neben seinem Pony und wartete gehorsam, bis Bislipur ihn mit einer Geste an den Schluss der Gruppe schickte.
Ein Zwerg kam auf sie zu. Ihm sah man sein Alter tatsächlich an, er musste über dreihundert Zyklen alt sein. »Ich begrüße König Gandogar Silberbart vom Stamm des Vierten und sein Gefolge. Ich bin Balendilín Einarm vom Clan der Starkfinger, Berater unseres Großkönigs Gundrabur Weißhaupt vom Stamm des Zweiten. Seid willkommen.«
Seine gedrungene Gestalt steckte in einem Kettenhemd; der Gürtel, der seine Streitaxt hielt, wurde von einer aufwändig gearbeiteten steinernen Schnalle geschlossen. Mehrere Zierspangen aus dem gleichen Material hatte er in die Strähnen seines schwarzgrauen Bartes geflochten; ein langer Zopf baumelte auf seinem Rücken.
Er hob den Kopf. »Folgt mir, geschätzte Brüder. Ich zeige euch den Weg.«
Er wandte sich um und schritt die Steigung hinauf, die auf den Bergeingang zu führte. Dabei konnte jeder sehen, dass dem Berater der linke Arm fehlte.
Der König vermutete, dass er ihn im Kampf gegen die Ungeheuer eingebüßt hatte. Balendilín hatte einen sehr kräftigen Körperbau, was sicherlich durch die Arbeit mit den schweren Steinen kam. Die verbliebene schwielige Hand sah fast wie eine Bärentatze aus; Kraft strotzte aus jedem der fünf Finger und machte seinem Clan alle Ehre.
Als sie mehrere Tore passiert hatten und auf dem vierten Stufenbau angelangt waren, hielt Balendilín an. Nun sahen die Gäste, wie durchdacht die Befestigung errichtet worden war. Der Zwerg deutete auf den Eingang in das Bergmassiv. »Steigt nun ab und überlasst die Ponys unserer Obhut. Sie werden gut behandelt. Wir gehen gleich in die Ratshalle, denn ihr werdet ungeduldig erwartet.«
Balendilín setzte sich an die Spitze des Zuges und führte sie in den Stollen, in den ein großer Drache mit Leichtigkeit hineingepasst hätte. Die Arbeit der Steinmetzen aber raubte den Besuchern der Marmorhallen schier den Atem. Neuneckige graue Säulen von zehn Schritt Umfang und mehr wuchsen wie versteinerte Bäume in die Höhe. Der Raum war so hoch, dass man die Decke nicht sehen konnte; die Säulen ragten anscheinend ins Nirgendwo. Oder sie führen nach oben, um die Gipfel des Berges zu stützen, dachte Gandogar ehrfürchtig.
Zwischen den Pfeilern spannten sich ornamentreiche Steinbögen, in die Sinnsprüche und Verse aus der Schöpfungsgeschichte des Zwergenvolkes eingraviert waren.
Unmittelbar vor ihnen hatten die Bildhauer ein riesiges steinernes Abbild des Zweiten erschaffen. Ein granitfarbener Beroïn saß auf einem Thron aus weißem Marmor, die Rechte zum Gruß erhoben; die Linke lag auf dem Griff der Axt. Sein Schuh war so hoch wie ein Zwerg und so lang wie fünf Ponys.
Damit nicht genug.
Die Wände, einst nackter, unbehauener Fels, waren glatt abgeschliffen. In die matt glänzende Oberfläche hatten Beroïns Erben weitere Sprüche und Muster gemeißelt. Sie waren so schön und exakt gearbeitet, dass Gandogar unwillkürlich langsamer ging, um sie genauer in Augenschein zu nehmen.
Natürlich schlug auch der Stamm des Vierten Hallen und Säle ins Felsgestein, aber ihre Handwerkskunst hinkte dieser in der Ausführung Meilen hinterher.
Der König streckte die Hand aus und fuhr mit den Fingern ehrfürchtig über den grauschwarzen Marmor. Eine solche Pracht hätte er niemals für möglich gehalten.
»Bei Vraccas!«, entfuhr es ihm voller Anerkennung und Stolz. »Meisterlicher geht es nicht mehr. Ihr seid die besten Steinmetzen unseres Volkes.«
Der Berater des Großkönigs verneigte sich. »Ich danke dir für dein Lob. Gern richte ich es unseren Künstlern aus.«
Ihr Weg verlief zwischen den Füßen des regungslosen Giganten hindurch und führte sie in einen etwas kleineren Gang. Die Luft kühlte nun merklich ab. Es dauerte nicht lange, und sie standen vor der Tür der Ratshalle.
Balendilín lächelte Gandogar zu. »Bist du bereit, deinen Anspruch zu verteidigen?«
»Natürlich ist er das«, antwortet Bislipur scharf, ehe der König das Wort ergreifen konnte.
Balendilín runzelte die Stirn, sagte aber nichts. Stattdessen öffnete er den Einlass und ging voran, um die lange erwarteten Neuankömmlinge vorzustellen.
Die Halle übertraf alles Gesehene: Runde Säulen ragten in schwindelnde Höhe empor, die Wände zierten in Stein gehauene Kampfszenen aus der Geschichte des Zwergenvolkes, die an glorreiche Siege und Taten der vergangenen Zyklen erinnerten. Kohlebecken und Leuchter spendeten warmes Licht, und eine angenehme Frische entschädigte die Reisenden für die Hitze, die sie in Umilantes Land erduldet hatten.
Während Balendilín sie der Reihe nach vorstellte, warf Gandogar seinem Mentor einen strafenden Blick zu. »Das war unhöflich. Swerd hättest du dafür geprügelt«, maßregelte er ihn leise.