Выбрать главу

Das Leben hier im Landhaus geht seinen ruhigen Gang. Ralambos Pflanzen haben ihre Kraft bewiesen, die gleiche unzerstörbare Vitalität, die meiner Meinung nach auch die Quelle ihrer heilenden Wirkung ist. Sie gedeihen wieder, aber wie Du weißt, muß ich meine Beobachtungen über die therapeutischen Eigenschaften des Extraktes beinahe ganz von Anfang an neu beginnen. Es ist eine mühevolle Aufgabe, die mich manchmal völlig entmutigt, um so mehr, als mir das Talent zur unfehlbaren Diagnose fehlt, mit dem unser Vater gesegnet war.

Wie Du in deinem letzten kurzen Brief geschrieben hast, ist es wirklich höchste Zeit, daß ich mir eine Frau suche, aber weißt Du, lieber Bruder, nur sehr wenige Frauen wären bereit, hier draußen im Schatten der Aloepflanzen inmitten ihrer stacheligen Klauenblätter zu leben, während ihr Zuhause täglich von einem nicht abreißenden Strom von Jammergestalten heimgesucht wird, die sich Linderung ihrer Leiden erhoffen. Unsere Mutter war darin einmalig. Die Bildung, die ihr Menahem vermittelte, schenkte ihr die Fähigkeit, sich unabhängig von ihrer Umgebung eine reiche innere Welt zu schaffen, sich von jenen eitlen Dingen zu befreien, die wir Gesellschaft nennen. Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf und tröste mich inzwischen mit dem Wissen, daß die Zukunft des Hauses Ibn Yatom durch Dich und Leonora in so würdiger Weise gesichert ist, wie ich es für mich nie zu erhoffen wagen würde.

Möge der Schild Israels Dich bei all Deinen Unternehmungen beschützen, und mögt Ihr, Du und die Deinen, noch viele Jahre mit Gesundheit und Stärke gesegnet sein.

Dein Dich liebender Bruder

Natan

Amram ließ den Brief aus der Hand gleiten und schloß müde die Augen. Wie er sich nach dem Frieden und der Ruhe des Lebens zurücksehnte, das er in seiner Kindheit im Landhaus gekannt hatte, nach einem Leben, das nicht dem Streben nach Macht gewidmet war, sondern der Suche nach Wissen. Hatte er sich in seiner Entscheidung geirrt? Über diese Frage grübelte er oft in Augenblicken der Niedergeschlagenheit nach, wenn er auch die Antwort nur zu gut kannte. Richtig oder falsch, dies war das Leben, für das er geschaffen war, und er mußte seinem Weg folgen, wo immer er ihn hinführte. Seltsam, dachte er nun, und wandte sich wieder Natans Brief zu, seltsam, daß sein Bruder Gedanken ausgedrückt hatte, die seit einiger Zeit Leonora und bei seinen häufigen Besuchen auch ihr Vater angesprochen hatten. Wenn er zu den oberflächlichen Schlußfolgerungen, die sie aus dem äußeren Anschein seines Lebens gezogen hatten, noch seine eigenen intimen Kenntnisse der militärischen und politischen Wirklichkeit seiner Zeit hinzufügte, mußte er notgedrungen ihrer Meinung sein.

Solange Habbus in Granada regierte, war seine Stellung gesichert, seine Treue unerschütterlich. Sobald der König aber starb – und dieser Tag war nicht mehr fern –, würde Chaos entstehen, denn alle Söhne und Neffen würden sich auf Leben und Tod in den Kampf um seine Nachfolge stürzen. In jenen unruhigen Gewässern müßte er dann aufs neue seinen Weg finden, und all das nur um das Recht, wieder einem anderen Prinzen dienen zu dürfen. Heute stand er auf dem Gipfel seiner Macht, einer Macht, die er tapfer erkämpft und behauptet hatte. Wenn Habbus nicht mehr war, würden ihm an jeder Wegbiegung Feinde auflauern und die nächste Gelegenheit abwarten, um ihn zu Fall zu bringen. Welchen Thronanwärter er auch unterstützte, jedes gegnerische Lager würde mit aller Macht versuchen, ihm zu schaden. Vielleicht hatten Natan und Leonora und ihr Vater Joseph recht, wenn sie ihn drängten, seine Talente im eigenen Interesse zu nutzen, im Interesse seines eigenen Volkes und nicht im Dienste kleiner Prinzen, für die er kaum mehr als ein nützliches Werkzeug war.

Jedesmal, wenn er aus den Schlachten und von den Gefechten heimkehrte, von den Städten, die er belagert oder gegen Belagerer verteidigt hatte, von den Hinterhalten, denen er mit knapper Not entronnen war, dann sah er, wie Leonoras Gesicht von Angst zerfurcht war. Wenn sie in der köstlichen Ruhe nach leidenschaftlicher Vereinigung beieinanderlagen, flehte sie ihn an, seinen Ehrgeiz dem zuzuwenden, was in ihren Augen die natürliche Schlußfolgerung war.

»Warum solltest du den Rest deiner Tage damit verbringen, für immer andere Kriegsherren zu kämpfen und Ränke zu schmieden? Was du so erfolgreich für sie errungen hast, könntest du doch auch für dich selbst erringen. Wenn jeder jämmerliche Kriegsherr, Berber, ehemalige Sklave oder Eunuch, von denen keiner auch nur einen Bruchteil deiner Fähigkeiten besitzt, sich selbst als unabhängigen Herrscher einsetzen kann, warum dann nicht du? Vater würde dir nur zu gern sein ganzes Vermögen zur Verfügung stellen und damit ein Heer aus Söldnern finanzieren, das einzige, was dir noch fehlt, um einen Teil des Landes an dich zu reißen, das du so gut kennst. Und wenn du dein Königreich gewonnen hast, dann werden die Juden aus allen Ecken von al-Andalus in hellen Scharen herbeiströmen. Handel und Gewerbe werden blühen, die Kultur wird gedeihen, und unser Hof wird in seinem Glanz dem von Córdoba zu seinen besten Zeiten in nichts nachstehen.«

Es war eine verlockende Vision, und sie deckte sich mit den ehrgeizigen Plänen seiner Jugend. Aber auf wen konnte er sich verlassen, um sie in die Wirklichkeit umzusetzen, in dieser Zeit, in der das Wort Treue jegliche Bedeutung verloren hatte und Eigeninteresse das einzige Motiv für die Handlungen der Menschen war? Eigeninteresse, grübelte er. Einem möglichen Verbündeten mehr bieten, als er, Amram, im Gegenzug bekommen würde. Eines nach dem anderen ging er die Fürstentümer durch, mit denen er irgendwann einmal Bündnisse abgeschlossen hatte: Carmona, Almeria, Málaga. Von allen hatte sich allein Málaga, dessen Herrscher aus dem Hause der Hammudiden nur dem Namen nach Kalif war, als halbwegs verläßlicher Verbündeter erwiesen, wenn auch eher aus Schwäche denn aus Treue. Ein Kalif ohne Kalifat … ein Kalif, der ein Kalifat brauchte … ein Kalifat im Austausch gegen …

Allmählich reifte in seinen Gedanken ein Plan heran und nahm Stück für Stück konkrete Formen an.

41

Wie alle Wesire des Reiches rief man Amram allein an Habbus' Sterbebett, das nur von seinen getreuen Eunuchengarden bewacht wurde. Das Herz zog sich ihm zusammen, als er die ehemals kraftvolle Gestalt des unerschrockenen Berberkriegers erblickte. Er war so in sich zusammengesunken, daß man seine Umrisse kaum noch unter den Felldecken ausmachen konnte, die man in vergeblichem Bemühen als Schutz gegen die Kälte des Todes über ihn gebreitet hatte. Es hatte in den vergangenen Wochen Augenblicke gegeben, da Amram erwogen hatte, Natan zu rufen, damit er den Herrscher vielleicht mit Ralambos Extrakt behandelte. Als er jedoch die möglichen Folgen bedachte, hatte er sich dagegen entschieden. Wenn Habbus sich erholen sollte, würden alle Rivalen um den Thron, die das Ableben des Königs ungeduldig erwarteten, sich gegen ihn, Amram, verschwören. Wenn er starb, dann würde, wer auch immer in dem Kampf um die Vorherrschaft gewann, Amram beschuldigen, ihn ermordet zu haben. Also mischte er sich nicht ein und ließ der Natur ihren Lauf.

Habbus schlug die Augen auf, als er hörte, wie Amram die üblichen Wünsche für eine baldige Genesung aussprach.

»Wie gut es ist, meine letzten Augenblicke mit dem einzigen Mann in meinem Königreich zu verbringen, dem ich je vollständig vertraut habe«, murmelte er schwach. »Sie glauben, ich sei zu krank, um ihre Scheinheiligkeit zu durchschauen, auch die meiner eigenen Söhne, wenn sie kommen und Allah bitten, mich wieder genesen zu lassen. Hinter ihrem maskenhaften Lächeln schmieden sie Ränke und spinnen Intrigen, bestechen und machen Versprechungen, um ihren Rivalen mein Königreich zu entreißen. Wie müßig mir das alles jetzt erscheint. Eitelkeit der Eitelkeiten, wie Euer Prediger es so weise gesagt hat.«