»Alles ist eitel«, flüsterte Amram als Antwort.
Habbus schloß eine Weile die Augen und sammelte dann seine Kräfte, um weiterzusprechen.
»Unter den dreien, die vor meinem Gemach auf und ab gehen und darauf warten, daß ich endlich meinen letzten Atemzug tue, ist mein Sohn Badis am besten geeignet, den Thron zu erben. Er ist stark und aufrecht, verläßt sich nur auf sich selbst und besitzt genug Autorität, um die Kriegsherrn und Wesire in Schach zu halten. Boluggin ist ein jämmerlicher Schwächling, und mein Neffe Yaddair mag gelehrt sein, aber er ist so vom Ehrgeiz zerfressen, daß er Granada in Abenteuer verwickeln könnte, die vielleicht seine Kräfte übersteigen. Ich hoffe, daß die Prinzen meines Reiches und Ihr selbst, mein getreuer Freund, meinen letzten Willen erfüllen und dem von mir bestimmten Nachfolger Treue schwören werden. Aber dann seid auf der Hut! Yaddair wird sich zur tödlichen Gefahr entwickeln. Er wird vor nichts zurückschrecken, um sich zu rächen und das Königreich zu Fall zu bringen.«
»Nicht einmal davor, Granada an Sevilla zu verraten?«
»Nicht einmal davor. Aber diese Probleme kann ich nun nicht mehr lösen«, seufzte Habbus, bedeutete seinem Eunuchen mit einer Handbewegung, er solle ihm die Lippen befeuchten, damit er fortfahren könne. »Ich bitte Euch nur um eines: Kümmert Euch nach meinem Tod um Rasmia. Sie liebt Euch mit einer so starken Leidenschaft, daß ich ihr nichts entgegensetzen, viel weniger noch sie unterdrücken konnte. Sie ist ein vertrauensvolles, aufrichtiges Geschöpf. Es wäre unfreundlich, ihre Gefühle zu verletzen, und unklug, ihren Stolz zu verwunden. Sie erwartet Euch jetzt in dem Wäldchen, wo Ihr sie schon einmal getroffen habt. Ehe Ihr zu ihr geht, rezitiert mir jedoch noch einmal das Gedicht, das Ihr am Vorabend der Schlacht gegen Abu Dja'far geschrieben habt.«
»Es gehört nicht zu meinen besten Werken.«
»Das macht nichts. Aber es ist den Umständen angemessen. Sprecht, mein Freund, sprecht«, flüsterte Habbus, faltete die Hände auf der Brust und schloß die trübe gewordenen Augen, während er sich zum Hören bereit machte.
Der stete Rhythmus der Zeilen ließ Habbus in einen friedlichen Dämmerschlaf sinken, und nachdem die letzten Worte in der Stille des Gemachs verklungen waren, ging Amram auf Zehenspitzen aus dem Zimmer. Er spürte, wie eine Trauer, die er nicht erwartet hatte, in ihm aufstieg und ihn zu ersticken drohte.
Wie benommen trat er in die Marmorflure des großartigen neuen Palastes. Doch als er bemerkte, wie Gruppen von intrigierenden Würdenträgern verstummten und sich zerstreuten, sobald er sich näherte, wurde ihm klar, daß es dringlichere Dinge gab als seinen Schmerz. Jetzt, da Granada sich kopfüber in den Kampf um die Nachfolge des Habbus stürzen würde, war die Zeit gekommen, den Plan umzusetzen, den er so fein erdacht hatte. Alle Elemente waren nun vorhanden, er war bereit zur Tat. Er bedachte sorgfältig die Schritte, die es unverzüglich auszuführen galt, war also wenig geneigt, auf die liebevollen Gesten einer Frau einzugehen, als er in das abgelegene Wäldchen schritt. Beim Anblick von Rasmia, die zerbrechlich und verloren auf der Bank saß, konnte er aber Habbus' letzten Wunsch nicht vergessen, weniger noch seine Warnung: es sei unfreundlich, ihre Gefühle zu verletzen, und unklug, ihren Stolz zu verwunden … Also nahm er die Hände, die sie ihm zum Willkommen entgegenstreckte, in die seinen und küßte ihr mit einer rührenden Mischung aus Galanterie und verführerischem Zauber die Handflächen.
»Ich wußte, daß Ihr kommen würdet. Ich wußte, daß mein Vertrauen in Euch gerechtfertigt war«, sagte sie mit bebender Stimme. »Mein Onkel hat mir Euren Plan unterbreitet, und ich habe ihm und anderen Mitgliedern meiner Familie, die noch zögern und in deren Macht es läge, Eure Pläne zu durchkreuzen, zu verstehen gegeben, daß sie Euch volles Vertrauen schenken können. Aber nun müßt Ihr mich vor den Risiken beschützen. Bleibe ich in Granada, so ist mein Leben in Gefahr, ob Ihr nun gewinnt oder verliert. In jedem Falle wird man mich verdächtigen, und Eure Feinde werden versuchen, mich zu töten. Auch in Málaga bin ich nicht mehr sicher, sollten sich die Dinge gegen Euch entwickeln.«
Bei all seiner weisen Voraussicht, bei all seinen klugen Plänen hätte Amram diese Entwicklung nicht vorausahnen können. Was war bloß in den Kalifen von Málaga gefahren, daß er dieses Kind in ihren gemeinsamen Plan eingeweiht hatte? Zweifellos das Bedürfnis des Schwächlings, der stets nach Zustimmung heischt, gleich von welcher Seite. Aber mit dieser Indiskretion hatte der Hammudide genau die Situation geschaffen, die Amram hatte vermeiden wollen, seit ihm Rasmia ihre Liebe erklärt hatte. Nun stand er nicht nur in ihrer Schuld für eine Hilfe, die er nicht verlangt hatte. Der Erfolg – oder Mißerfolg – der wichtigsten Unternehmung seines Leben hing jetzt von ihr ab. So wie sie ihren Verwandten geraten hatte, ihm zu vertrauen, genauso konnte sie ihnen auch zum Gegenteil raten und damit die Erfüllung seines kühnsten, ehrgeizigsten Traums zunichte machen: oberster Herrscher über ein Gebiet zu werden, in dem nur sein Wort galt. Aber jetzt war keine Zeit für Vorwürfe. Ihm blieb keine andere Wahl, als Rasmias Bitte zu erfüllen. Er konnte ihr nur dort Zuflucht bieten, wohin er auch schon Leonora und den kleinen Musa geschickt hatte, sobald sich die Nachricht von Habbus' bevorstehendem Tod verbreitet hatte.