»Aber natürlich«, versicherte er ihr. »Sobald ihr die Nachricht erhaltet, daß Habbus verschieden ist, legt Ihr Euer schlichtestes Gewand an und kommt unter dem Vorwand, mit Eurer Trauer allein sein zu wollen, hierher. Es wird Euch jemand hier abholen und auf Eurem Weg begleiten.«
»Wohin?«
»In Sicherheit. Mehr braucht Ihr nicht zu wissen.«
»Und diese Person wird bei mir bleiben und mich beschützen und mich zu Euch bringen, wenn Ihr nach mir schickt?«
»Wenn das Euer Wunsch ist.«
Rasmia zog ihn nah an sich, preßte ihren kleinen, wohlgerundeten Körper an den seinen, hob die Hände und fuhr ihm mit den Fingern übers Gesicht, verschlang ihn mit Augen. »Wenn sich die Dinge schlecht für Euch entwickeln sollten, mein Liebster, dann sehe ich Euch vielleicht niemals wieder. Wollt Ihr mich nicht einmal lieben, hier und jetzt, nur einmal, damit ich eine Erinnerung an Euch behalte, an der ich mich erfreuen kann? Ist das zuviel verlangt als Lohn für die Gefahren, die ich für Euch auf mich genommen habe?«
Amram kochte vor Wut, in ihm tobte ein teuflisches Gemisch aus Zorn und Verlangen. Er saß in einer Falle, in die er um alles in der Welt nicht hatte geraten wollen. Jetzt hatten Habbus' letzte Worte eine neue Bedeutung für ihn bekommen: »Es wäre unklug, ihren Stolz zu verwunden.« Aber Habbus wußte nichts von seinen Plänen. Die entscheidende Frage war jedoch: Wieviel wußte sie? Wieviel hatte ihr Onkel ihr enthüllt? Kannte sie Einzelheiten oder nur die allgemeinen Ziele? Wieviel konnte sie verraten, wenn ihr Stolz verletzt war? Und wieviel mehr könnte sie noch von ihm zu erfahren suchen, in jenem ekstatischen Höhepunkt der Liebe, wenn ein Mann für Augenblicke völlig schutzlos ist? Viele Große und Mächtige waren in der sinnlichen Atmosphäre des Harems dieser Versuchung schon erlegen. Diese Gefahr mußte er um jeden Preis vermeiden. In einem verzweifelten Versuch, sich aus diesem Dilemma zu befreien, raffte er all seine Überzeugungsgabe zusammen und legte in seine Stimme die zärtliche Sorge, für die sein Vater so bekannt gewesen war.
»Bisher habt Ihr mir doch vertraut, nicht wahr?«
»Blind.«
»Dann vertraut mir bis zum Ende, mein Täubchen. Mein Leben lang folge ich schon einer eisernen Regeclass="underline" niemals am Vorabend einer entscheidenden Konfrontation eine Frau zu berühren. Die Liebe verwirrt mir die Sinne, umwölkt meinen Verstand und schwächt meine Wahrnehmung. Der Erfolg, mit dem meine Unternehmungen bisher gekrönt waren, beweist, wie klug dies ist. Ich schwöre Euch nun bei dem unverbrüchlichen Band, das uns beide in diesem Augenblick vereint, daß ich Euch, sobald ich siegreich aus diesem Kampf, meinem größten, hervorgehe, lieben will, wie Ihr es Euch niemals erträumt hättet. Denn auch in dieser Kunst, wie in allem, was ich tue, erstrebe ich höchste Vollendung. Eure Liebe, für die Ihr mir so überzeugende Beweise gegeben habt, wird in den kommenden Tagen mein Schutz und Schild sein. Im Triumph, das schwöre ich Euch, soll dann meine Leidenschaft die Eure noch übertreffen.«
Einen kurzen Augenblick nahm er sie in die Arme, küßte sie zart auf die Stirn und verabschiedete sich. Während er sich entfernte, war er sich nicht sicher, ob er ihre kindlichen Gefühle verletzt oder ihren weiblichen Stolz – den Stolz der Liebenden – verwundet hatte. Er wußte nur, daß diese von allen Gefahren, denen er bald ins Auge sehen mußte, die ernsteste war. Diesmal hatte nicht er die Initiative ergriffen und diese Wendung daher auch nicht in seine Pläne einbezogen. Sein Leben lang hatte ihm seine Beredsamkeit gute Dienste geleistet. Gebe Gott, daß sie ihn auch diesmal nicht im Stich gelassen hatte …
Amram versuchte, seine nagenden Zweifel zu verdrängen, während er mit raschen Schritten über den Grat zwischen dem Palast und der Festung ging. Dort versammelte er seine obersten Heerführer um sich und erklärte ihnen knapp, um einen Angriff der Sevillaner zu vereiteln, die vielleicht die Verwirrung nach Habbus' Tod ausnutzen würden, müßten sie sich unverzüglich mit dem größten Teil des Heeres an den verletzlichsten Grenzen des Reiches in Verteidigungsstellung begeben. Er selbst wolle die Garnison befehligen, die zum Schutz der Hauptstadt zurückblieb. Man pries seine Weitsicht, und als die Heerführer auseinandergingen, um seine Befehle auszuführen, setzte er sich nieder, um einen Brief an Joseph ibn Aukal zu verfassen. Er versicherte seinem Schwiegervater, seine geliebte Tochter Leonora und sein Enkel Musa seien wohlauf, und lud ihn ein, bald einmal zur Feier des Sabbats nach Granada zu kommen. Er schickte das Schreiben mit einem zuverlässigen Boten fort. Nachdem er wenige Stunden später die Truppen vor dem Abmarsch aus der Stadt inspiziert hatte, blieb ihm nichts mehr zu tun als abzuwarten.
Habbus' Todeskampf zog sich noch eine ganze Woche hin, und seine Schmerzen waren so groß und andauernd, daß sogar die, die ihn liebten, beteten, er möge bald von seinen Leiden erlöst werden. Sobald die Nachricht von seinem Tode verkündet wurde, schickte man in alle benachbarten Reiche Kuriere aus, um von dort Vertreter zu seiner Beerdigung einzuladen. Inzwischen stellten sich die Würdenträger Granadas hinter ihre jeweiligen Kandidaten für die Thronfolge. Alle außer Amram, der sich zu keinem bekannte. In der Abgeschiedenheit der beinahe völlig verlassenen Festung hielt er sich von allen Ränken und Intrigen fern, als sei es seine einzige Sorge, das Königreich gegen die Feinde zu beschützen, bis man dem Nachfolger des Habbus den Treueschwur geleistet hatte.
Es gab immer noch nichts zu tun als abzuwarten. Geduldig darauf zu harren, daß der Plan, den er so gut eingefädelt hatte, glücken würde. Während die Tage verstrichen, ging er ständig die Einzelheiten der Operation durch, berechnete immer und immer wieder, wann er die Berbersöldner erwarten konnte, die der Kalif von Málaga angeheuert hatte. Sobald sein Schwiegervater den Brief erhalten hatte, sollte er den Kalifen benachrichtigen, er möge die Truppen auf den Weg bringen, die er, Joseph, mitfinanziert hatte. Sie sollten unverzüglich marschbereit sein, wenn die Nachricht von Habbus' Tod eintraf. Amram selbst hatte darauf geachtet, daß der Kurier, der die Nachricht nach Málaga brachte, der schnellste Bote des Königreichs war, und hatte ihm strenge Anweisungen gegeben, Tag und Nacht zu reiten. Er hätte also sein Ziel innerhalb von zwei Tagen erreichen müssen. Noch drei, höchstens vier Tage, und die Truppen aus Málaga müßten zu sehen sein, wie sie von Westen her über die große Ebene auf Granada zumarschierten. Sechs Tage insgesamt, im höchsten Fall sieben, und dann stand nichts mehr zwischen dem Herrscher der Hammudiden und dem verwaisten Thron von Granada, denn das gewaltige Heer, das Amram einmal befehligt hatte, war an den Grenzen des Berberreiches aufgestellt. Und wenn erst einmal der Kalif im Triumph in die Stadt Granada eingezogen war und sein Kalifat errungen hatte, würde im Gegenzug er, Amram, sein Königreich bekommen. Málaga wäre sein Lohn, er dort unangefochtener Herrscher.
Die Woche verging, und täglich unterstützten mehr Gefolgsleute den Thronanspruch des Badis. Jeden Augenblick könnte man nun Amram herbeibefehlen, ihm den Treueschwur zu leisten. Wenn die Truppen aus Málaga nicht eintrafen, ehe er sich vor Habbus' ältestem Sohn zu Boden warf, dann wäre nicht nur sein Traum vom Königreich zerschellt. Er hätte auch sein Leben verwirkt, weil man ihn des Hochverrats bezichtigen würde.
Am siebten Tag stieg er auf die Befestigungswälle, stand von morgens bis abends dort und beobachtete ohne Unterlaß die Ebene, bis ihm die Augen schmerzten. Bei Einbruch der Nacht war immer noch nichts zu sehen. Dann der achte Tag, die gleiche ununterbrochene Wache. Nichts. In zwei Tagen sollte Badis vereidigt werden. Die ganze Nacht über wälzte sich Amram auf dem Strohlager. Hatte Joseph die Nachricht nicht weitergegeben? Waren die Truppen nicht bereit gewesen, zur verabredeten Zeit loszumarschieren? Oder – und bei diesem Gedanken wallte unbändiger Zorn in ihm auf – hatte Rasmia ihn verraten, weil er sich geweigert hatte, sie zu lieben, wie sie geliebt werden wollte?