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»Wo habt Ihr diesen Stein her?« drängte Da'ud den Mann und ließ alle Goldmünzen, die er noch bei sich hatte, in dessen ausgestreckte Hand fallen. In jenem Augenblick hätte er dem Mann ohne Zögern seinen gesamten Besitz gegeben, denn dieser unerwartete Fund war genau das, was er jetzt brauchte, um den Kalifen so lange hinzuhalten, bis es ihm gelungen war, auch das handakuka zu finden.

»Wenn nötig, so reise ich über die See nach Ägypten, wo ein Elfenbeinhändler, den ich kenne, damit handelt.«

»Es ist nötig, jetzt und für mich.«

»Es tut mir leid, junger Herr, aber ich plane im Augenblick keine solche Reise. Ich muß mich um dieses arme junge Geschöpf kümmern.«

»Wer ist sie?«

»Ich weiß es nicht. Eine alte Frau hielt mich an, als ich gerade Prag verlassen wollte, und bot sie mir für einen sehr günstigen Preis an. ›Die ist auf dem Markt von Córdoba eine Menge Geld wert, eine blasse junge Rothaarige wie sie‹, kicherte die Alte. ›Und sie ist Jüdin, wie Ihr selbst, und hat keine Menschenseele auf der Welt‹, fügte sie hinzu. Als ich ihr die Münzen in die schmutzige Hand zählte, versuchte ich ein wenig mehr über das Mädchen herauszufinden, doch die Alte verweigerte mir jegliche Auskunft, ballte nur die Faust über dem Geld und verschwand. Sie ist ein seltsames kleines Ding, die kleine Sari. Gewiß, sie ist sehr folgsam, aber viel zu still und zurückhaltend für ein so junges Mädchen. Sie trägt sicher ein überaus schmerzliches Geheimnis mit sich herum, wenn ich mich nicht täusche. Aber inzwischen habe ich mich so sehr an ihre Gesellschaft gewöhnt, daß ich nicht die Absicht habe, mich von ihr zu trennen.«

Da'ud beugte sich herab, legte einen Finger unter Saris Kinn und hob sanft ein wenig ihren Kopf. »Wie schön sie ist!« rief er beim Anblick der leicht schrägen tiefblauen Augen, der hohen Wangenknochen, des lebendigen Mundes und des rostroten, weich gelockten Haares, das ihre beinahe durchsichtige Haut unterstrich. »Ich könnte mich während Eurer Abwesenheit um sie kümmern«, schlug er vor, ohne die Augen von dem Mädchen abzuwenden.

»Wie kann ich sicher sein, daß Ihr sie nicht mißhandeln werdet? Ihr seid jung und kräftig, sie dagegen ist kaum mehr als ein schutzloses, verschrecktes Kind.«

»Ich bin der Sohn von Ya'kub ibn Yatom, dem Vorsteher der jüdischen Gemeinde von Córdoba.«

»Oh!« rief der Händler aus, sichtlich verlegen. »Das wirft ein anderes Licht auf die Sache. Ich kenne Euren Vater sehr gut. Er hat in der Vergangenheit so manchen jüdischen Sklaven von uns freigekauft. Ein Mann von Ehre. Als sein Sohn besitzt Ihr gewiß die gleichen Tugenden.«

»Dann würdet Ihr mir vielleicht erlauben, Sie von Euch freizukaufen?«

»Ich weiß nicht. Ich habe sie sehr liebgewonnen, müßt Ihr wissen.«

»Dann müßt Ihr an ihr Wohlergehen und ihre Zukunft denken. Was für ein Leben erwartet sie denn, wenn sie Euch weiterhin auf den Straßen Europas begleitet? Wenn sie in unseren Haushalt aufgenommen wird, hat sie ein gutes Zuhause und die Möglichkeit, unter der Schirmherrschaft meines Vaters eine vorteilhafte Ehe zu schließen.«

Der Händler antwortete nicht, hielt den Blick unverwandt zu Boden gesenkt, während er nervös von einem Bein auf das andere trat.

»Wir wollen einen Handel machen«, schlug Da'ud vor, der entschlossen war, den Mann zu der gewünschten Reise zu überreden und das Mädchen unter seine Fittiche zu nehmen. »Ihr vertraut sie bis zu Eurer Rückkehr aus Ägypten meiner Obhut an. Dann soll sie selbst frei entscheiden, ob sie bei uns bleiben oder ihr Vagabundenleben mit Euch wieder aufnehmen will.«

»Das würde mich sehr benachteiligen.«

»Nicht unbedingt. Es könnte sein, daß ihr das geruhsame, seßhafte Leben in einem fremden islamischen Land nicht zusagt.«

»Aber Ihr könntet ihr sehr wohl zusagen – jung, reich, gebildet und elegant in Aussehen und Benehmen.«

Da'ud ignorierte sowohl das Kompliment als auch den unterschwelligen Vorwurf und beharrte: »Ich werde Euch für die Reise reichlich entlohnen.«

»In diesem Falle geht es nicht um Geld. Kommt heute Abend wieder hierher, und dann gebe ich Euch meine Antwort.«

Alle Blüten, die auf den Seiten der botanischen Abhandlungen abgebildet waren, über die Da'ud den Rest des Tages gebeugt saß, schienen in einem tiefblauen Meer zu versinken, in einem Meer von der Farbe von Saris Augen, schienen dann aufzusteigen und vor seinen Augen zu schweben. Mit der gleichen unerbittlichen Selbstdisziplin, mit der er während der Audienz beim Kalifen seine Gefühle bezähmt hatte, versuchte er nun, seine Gedanken von der Verwirrung zu befreien, die das Mädchen in ihm ausgelöst hatte. Wieder und wieder versuchte er die Vorstellung zu zügeln, die seine Phantasie in ihm heraufbeschwor: Sari, wie sie in nur wenigen Jahren aussehen würde, die Brüste gerundet, die Hüften sanft geschwungen, die Lippen leicht geöffnet wie die Blütenblätter einer Blume, begierig, die Wärme des Lebens in sich aufzusaugen. Plötzlich erschien ihm sein der Gelehrsamkeit geweihtes Leben kalt und öde. Wäre nicht die Drohung gewesen, die über ihm schwebte, er hätte seine Bücher augenblicklich im Stich gelassen, Sari gesucht und zu einem Spaziergang am Flußufer eingeladen …

Am Ende eines erfolglosen Tages beim Studium der Bücher kehrte er zum verabredeten Treffpunkt zurück, wo der Händler und das Mädchen, einander locker bei der Hand haltend, bereits auf ihn warteten. Als sie ihn erblickte, ließ Sari die Hand des Händlers los und kam auf Da'ud zu, voller Zurückhaltung, aber nicht widerstrebend. Er erinnerte sich nicht, je eine solche Freude verspürt zu haben.

»Wir sprechen bei meiner Rückkehr wieder miteinander«, sagte der Kaufmann. Zerstreut nickte Da'ud zustimmend, nahm Saris Hand leicht in die seine und führte sie nach Hause.

Während der folgenden Wochen sah Da'ud nur wenig von seiner Schutzbefohlenen. Sie war beinahe ausschließlich der Sorge seiner Mutter anvertraut, lebte im Frauenflügel des Hauses und aß genau wie die anderen Frauen nur am Sabbat mit Ya'kub und ihm. Von Woche zu Woche beobachtete er ihre Fortschritte in der arabischen Sprache, die Sola ihr unendlich geduldig mit Gesten und ermunterndem Lächeln beibrachte. Obwohl sie sich mit Leichtigkeit in den Haushalt der Ibn Yatoms einfügte, blieb Sari weiterhin still und zurückgezogen, hielt stets den Blick zu Boden gesenkt, die Schultern gebeugt, ließ die langen, schmalen Hände locker zwischen den Knien hängen, wenn sie nicht gerade mit einer Hausarbeit beschäftigt war. Die einzige Reaktion, die Da'ud manchmal erkennen konnte, war das Aufflackern staunender Überraschung über die Wärme und Zärtlichkeit, mit der seine Mutter sie behandelte.

Er selbst forschte unverdrossen weiter nach dem geheimnisvollen handakuka. Morgens stand er schon in der Dämmerung auf, streifte durch die Lande und befragte spanische Bauern, arabische Kräuterheiler, berberische Hirten und slawische Ackerbauern, kehrte jedoch jeden Abend unverrichteter Dinge heim. Erst wenn sein Vater ihm versicherte, daß wieder kein Bote gekommen war, der ihn vor den Kalifen zitierte, atmete er ein wenig auf. Jeder Tag, der verstrich, brachte den Bezoar-Stein ein wenig näher, und mit ihm die einzige Hoffnung, ein wenig Zeit zu gewinnen … Die Nächte waren für Da'ud genauso unruhig wie die Tage, denn da spukten ihm Saris blaue Augen durch die Träume, Augen, die so still waren wie seine eigenen, Augen, die ihm nichts von der Kindheit erzählten, die sie erlebt hatte – wenn sie überhaupt so etwas wie eine Kindheit gekannt hatte. Wenn der Kaufmann wieder Ansprüche auf sie erhöbe, dann würde sie ihr Schweigen mit sich nehmen und ihn mit nichts als seiner quälenden Phantasie zurücklassen, mit der Vorstellung, wie sie als heiratsfähige junge Frau aussehen würde, einer Vorstellung, die ihn seit dem Augenblick, als er sie zum erstenmal erblickte, nicht losgelassen hatte. Aber wenn sie sich zum Bleiben entschied, dann würde er sie mit Geduld und Zärtlichkeit aus der Reserve locken, würde ihr Vertrauen einflößen, bis sie bereit war, sich ihm zu öffnen.