»Ihr habt bei Eurer Suche alle meine Erwartungen übertroffen«, lächelte der Kalif, diesmal mit offensichtlicher Aufrichtigkeit. »Das Haus der Omaijaden ist dafür bekannt, daß es sich denen gegenüber außerordentlich erkenntlich zeigt, die ihm Treue erweisen, wie Ihr dies so glänzend getan habt. Ihr werdet Euch daher offiziell meiner Hofhaltung anschließen, als Gelehrter und Arzt. Eure erste Aufgabe soll sein, sicherzustellen, daß mir jederzeit ein Vorrat des Großen Theriak zur Verfügung steht. Eure zweite Aufgabe ist, diese Entdeckung keiner Menschenseele mitzuteilen, obwohl Ihr sicher den brennenden Ehrgeiz verspürt, für Eure Errungenschaft Ruhm und Ehre zu gewinnen und der gesamten Menschheit ihre Segnungen zukommen zu lassen. Ich verstehe Eure Enttäuschung«, fuhr er fort, nachdem er den flüchtigen Ausdruck der Überraschung und Ernüchterung bemerkt hatte, der Da'uds Stirn umwölkte. »Mit der Zeit werdet Ihr die Gründe für dieses Gebot der Verschwiegenheit erfahren. Inzwischen, denke ich, ist eine Stellung am Hofe eine gerechte Belohnung.«
»Meine Dankbarkeit kennt keine Grenzen, o Herrscher der Gläubigen, und ich beuge mich ohne Fragen der überlegenen Weisheit Eurer Entscheidung«, erwiderte Da'ud mit einer Bescheidenheit, die nicht von Herzen kam. »Darf ich die Bitte äußern, den Großen Theriak in der Vertrautheit meines eigenen Heimes zubereiten zu dürfen, um neugierige Fragen und spionierende Augen zu meiden?«
»Dagegen habe ich keine Einwände. Aber sobald Ihr Eure Aufgabe zu meiner Zufriedenheit erledigt habt, ist Eure Gegenwart bei Hofe erforderlich. Eure Sprachkenntnisse und Eure angeborene Diskretion sind seltene Eigenschaften, die ich sehr zu schätzen weiß. Geht in Frieden, junger Meister, und möge Euch der Allmächtige segnen.«
Da'ud eilte nach Córdoba zurück, trotz der Geheimhaltung, zu der man ihn verpflichtet hatte, sprühte er vor Freude. Hätte zu Hause Sari, wie er es sich in seinen Träumen vorstellte, auf ihn gewartet, er hätte sich wie im Paradies gefühlt, doch das Paradies ist nun einmal nicht von dieser Welt … Das letzte, was er bei seiner Heimkunft erwartet hätte, war sein Vater, der zusammen mit Isaac bar Simha seiner harrte. Kaum hatte er den stattlichen Kaufmann erblickt, dessen runde, vorgewölbte Stirn wie immer vor Schweiß glänzte, da wußte Da'ud um den Grund des Besuches. Der reiche Edelsteinhändler, der großzügig für den Unterhalt der jüdischen Gemeinde, für ihre Gelehrten und Einrichtungen spendete, war mit drei Töchtern gesegnet, denen er allen, wie er immer wieder verlauten ließ, eine beträchtliche Mitgift zukommen lassen würde. Aber es war nicht einfach, drei junge Männer von passendem Stand zu finden. Ya'kub hatte dies ab und zu mehr oder weniger deutlich vor Da'ud zur Sprache gebracht, doch da sein Sohn auf diese Anspielungen nicht reagierte, hatte der Vater es nicht für angebracht gehalten, die Angelegenheit weiter zu verfolgen. Jetzt aber, da Da'uds Zukunft gesichert war, hatte sich Ya'kub anscheinend entschlossen, eine Entscheidung zu erzwingen. Da'ud wußte sehr wohl, daß sein Vater nicht eben glücklich über die geflüsterten Klatschgeschichten war, zu denen die Ehelosigkeit seines Sohnes Anlaß zu geben schien. Obwohl er das Heiratsalter bereits weit überschritten hatte, war es bisher noch möglich gewesen, anzudeuten, daß ihn vor allem seine Studien vereinnahmten und alles andere dahinter zurücktreten mußte. Aber schon bald würde die glänzende Laufbahn, die vor ihm lag, der Gesprächsstoff – und der Stolz – der gesamten Gemeinde sein, und man würde es nur für recht und billig halten, daß er nun auch seine Rolle als verantwortliche, wohl etablierte Persönlichkeit annehmen und einen eigenen Hausstand gründen würde.
Obwohl Da'ud es nie ausgesprochen hatte, hatte keine der drei Töchter des Isaac bar Simha in ihm auch nur den geringsten Wunsch nach einer Heirat erweckt. Sein Vater hatte gelegentlich die ganze Familie eingeladen, das Sabbatmahl mit ihnen einzunehmen. Während Da'uds Augen von Sitbora zur Dona und von Dona zu Palomba wanderten, schien es ihm, als wären alle drei Frauen aus dem gleichen Guß: Alle drei waren sie dunkle Schönheiten mit Rehaugen, dazu erzogen, ihren vom Schicksal erwählten wohlhabenden Ehegatten gefügige Ehefrauen zu werden und ihnen mit einer Art animalischer Passivität Kinder zu gebären. Gerade diese Gefügigkeit erschien Da'ud öde, fade und langweilig. Sari dagegen war eine Herausforderung für ihn. Hier galt es ein Geheimnis zu ergründen, einen Menschen zu hegen und zu pflegen, eine Seele zu erobern. Nichts war vorhersehbar, alles war möglich. Und nachdem er einmal ihre mondbleiche Haut erblickt hatte, den kupfernen Schimmer ihres Haares, ihre grazile Gestalt an der Schwelle vom Mädchen zur Frau, erschien ihm die alltägliche Schönheit der Mädchen des Isaac Ben Simha schwer, grobschlächtig, ja, sogar widerwärtig. Je mehr Sari mit jedem Tage zur Frau heranreifte, desto weniger verspürte er das Bedürfnis, sich auf eine Verlobung einzulassen. Jetzt reichte Sari gerade den Männern Obst, Wein und Leckereien. Sie hatte die blauen Augen wie immer gesenkt und schien sich seiner Gegenwart völlig unbewußt zu sein, von der Anziehung, die sie für ihn besaß, die ihn aber in keiner Weise beunruhigte, ganz zu schweigen. Wenn die Zeit reif wäre, dann würde er Wege finden, auch in ihr Gefühle zu wecken, die so stark und drängend waren wie seine eigenen.
Nachdem sie die üblichen Höflichkeitsfloskeln hinter sich gebracht hatten, unterbreitete Ya'kub selbst seinem Sohn das Angebot des Isaac bar Simha und unterstrich damit deutlich seinen Wunsch, dieser möge es annehmen. Da'uds stille Augen folgten Sari bei jeder Bewegung, während sie mit vollendeter Grazie die Weinkelche nachfüllte. Er erwog seine Antwort sorgfältig. Schließlich wandte er sich an Isaac bar Simha und sagte: »Ich fühle mich außerordentlich geehrt durch das großzügige Angebot, das ihr mir gemacht habt. Eure Töchter sind zauberhaft und voller Grazie, eine so schön wie die andere, und jeder Mann wäre glücklich zu preisen, der eine von ihnen als Zierde seines Hauses und Mutter seiner Kinder sein eigen nennen kann. Ich fühle mich jedoch noch nicht bereit, die Verpflichtungen einer Ehe auf mich zu nehmen. Das mag Euch seltsam erscheinen. Viele Männer, die jünger und weniger gutsituiert sind als ich, sind bereits verheiratet und mit zahlreichen Nachkommen gesegnet. Doch mein Vater stimmt mir sicherlich zu, wenn ich sage, daß ich kein gewöhnlicher junger Mann bin. Und genau aus diesem Grunde bin ich wahrscheinlich nicht der ideale Gatte, den Eure Töchter so sehr verdienen.«
»Inwiefern seid Ihr kein gewöhnlicher junger Mann?« fragte Isaac bar Simha zögerlich und zog zweifelnd eine Augenbraue in die Höhe.
Ya'kub mischte sich eilends ins Gespräch. »Da'ud meint, daß seine Studien ihn so vollständig vereinnahmen, daß in seinem Leben kein Platz für die alltäglichen Sorgen des häuslichen Lebens ist.«
»Aber ein Mann hat doch seine Bedürfnisse«, warf Isaac bar Simha spitz ein. In die Enge getrieben, hatte Da'ud nun keine Wahl mehr. Er mußte die älteren Männer kraft seiner medizinischen Autorität niederringen.
»Als Arzt kann ich Euch versichern, daß sich darin keine zwei Männer gleichen, ebensowenig wie in anderen Bereichen des Lebens«, konstatierte er. »Jeder Mensch ist eine Welt für sich – mit seinen – oder ihren – persönlichen Entwicklungen, Reaktionen, Wünschen und Antrieben. Niemand hat das Recht, in diesen Angelegenheiten für einen anderen ein Urteil zu fällen.«
Zum Schweigen gebracht und kleinlaut, erhob sich Isaac bar Simha. »Später einmal vielleicht«, murmelte er und konnte kaum verhehlen, wie sehr der junge Meister seinen Stolz verletzt hatte. Er wischte sich den Schweiß ab, der ihm nun aus purer Verlegenheit über das Gesicht rann, und während Ya'kub ihn aus dem Haus geleitete, bemühte er sich tapfer, den jovialen Ton beizubehalten, der seine Verbindung mit der Familie stets gekennzeichnet hatte. Stolz hin oder her, man konnte es sich einfach nicht leisten, es sich mit den Männern aus dem Hause Ibn Yatom zu verderben …