»Ihr seid doch nicht krank, hoffe ich?« erkundigte sich der griechische Gelehrte höflich, das Gesicht mit dem spitzen silbergrauen Bart fragend zu ihm erhoben.
»Nein, nein, danke der Nachfrage. Dringende Familienangelegenheiten haben mich aufgehalten.«
»Der Kalif hat nach Euch gefragt. Er ist in seinen Gemächern hier im alten Palast.«
»Ich gehe unverzüglich zu ihm.«
In dem Augenblick, als er vor den Kalifen trat, reichte Abd ar-Rahman ein kurzer Blick auf das bleiche Gesicht und die dunkel umschatteten Augen, und er kannte den Grund für die Verwirrung seines Schützlings: »Gewiß eine Herzensangelegenheit, mein jammervoller Gelehrter?«
Da'ud errötete, zum erstenmal sah sein Herrscher ihn verwirrt und aus der Ruhe gebracht. »Schön?«
»In meinen Augen, ja.«
»Hartherzig wie alle? Läßt Euch um ihre Gunst flehen? Lockt Euch, nur um Euch noch mehr zurückzuweisen?«
»In gewisser Weise.«
»Seltsam, ich wollte Euch in einer ähnlichen Angelegenheit sprechen.«
»Ich bin auf diesem Gebiet ein Mann von geringer Erfahrung«, antwortete Da'ud traurig, aber wahrheitsgemäß.
»Eure Erfahrung brauche ich nicht. Davon habe ich selbst mehr als genug. Wenn ich mich entscheide, mit Euch über ein so heikles Thema zu sprechen, dann deswegen, weil ich reichliche Beweise dafür habe, daß mein Vertrauen in Euch gerechtfertigt ist. Keine noch so geringe Einzelheit der Geheimkorrespondenz, die ich Euch anvertraut habe, ist je verraten worden. Und Ihr seid von einer solchen Bescheidenheit und Diskretion, daß keiner meiner Wesire auch nur vermutet, daß Ihr über derlei vertrauliches Wissen verfügt. Wärt Ihr ein Moslem, so hätte ich Euch für die unerschütterliche Treue, die Ihr mir erwiesen habt, mit dem Titel eines Wesirs belohnt, doch das würde meine Absichten zunichte machen. Die Imame würden Eure Beförderung in einen Rang, der Euch Macht über Moslems geben würde, als einen Vorwand nehmen, um den Neid meiner anderen Wesire zu entfachen und sie so zu Intrigen gegen Euch anzustiften. Aber seid versichert, daß ich Euch in anderer Form entschädigen werde.
Nun zu der heutigen Angelegenheit. Da Ihr ausgebildeter Arzt seid, kann ich offen zu Euch sprechen. Um es ohne Umschweife zu sagen, meine wunderschöne Zahra, die jüngste meiner Konkubinen und diejenige, die ich am meisten liebe, scheint meiner müde zu werden. Da ich ihr an Jahren zweifach überlegen bin, ist dies nicht verwunderlich, aber mir ist es unerträglich. Es muß etwas geschehen, um diese Situation zu ändern. Ihr, der Ihr alle Geheimnisse der Vorväter kennt, was könnt Ihr mir vorschlagen, um meine Manneskraft zu steigern?«
»Mit allem nötigen Respekt vor Eurer Religion …«
Abd ar-Rahman winkte diese Bedenken mit einer lässigen Handbewegung zur Seite.
»… ist Wein das wirksamste Mittel zur Anregung, das wir kennen. Aber ich vermute, daß Ihr darauf in der Abgeschiedenheit Eures Schlafgemachs bereits zurückgegriffen habt.«
»Natürlich.«
»Eidechsenfleisch?«
»Nein.«
»Dann schlage ich vor, Ihr versucht das, insbesondere den Magen und die Eingeweide. Eine weitere als sehr wirksam geltende Methode ist es, getrockneten Ochsenpenis zu einem Pulver zu zerreiben und auf ein weichgekochtes Ei zu streuen.«
»Alles schön und gut«, murmelte der Kalif gereizt, »aber diese Dinge sind nicht leicht zu bekommen und könnten in der Küche zu ungebührlichen Kommentaren führen. Könntet Ihr nicht etwas Einfacheres, Gewöhnlicheres vorschlagen?«
»Das Hirn aller Tiere oder Vögel gilt als Aphrodisiakum, und wenn man es mit Pfeffer, Ingwer, Zimt, Anis und Muskat würzt, gewinnt es noch an Kraft. Auch Eier aller Art sind zuträglich, seien sie von Tauben, Fasanen, Hühnern oder anderen Vögeln, und natürlich auch noch die Hoden von Hähnen. Eine Kombination dieser Zutaten mit Röstzwiebeln sollte sich als äußerst wirksam erweisen. Andererseits wäre es ratsam, wenn Ihr auf Lebensmittel verzichten könntet, die das Blut kühlen, so etwa Salat, Gurke, Melone und vor allem Essig. Auch von Seerosenknospen solltet Ihr absehen sowie von allem, was Blähungen verursacht, wie etwa Erbsen und Linsen.«
»Ich liebe Seerosenknospen.«
»Wie Ihr wünscht. Versucht die Mittel, zu denen ich Euch geraten habe. Es sind die bekanntesten. Wenn sie die gewünschte Wirkung zeigen, fahrt fort damit. Wenn nicht, dann suche ich weitere Methoden.«
»Danke, mein gelehrter Freund. Und nun zu den Tagesgeschäften. Die christlichen Fürsten im Norden stehen wieder einmal auf Kriegsfuß miteinander. Nichts könnte unseren Zwecken dienlicher sein. Was Ramiro von Leon schwächt, stärkt uns. Wir müssen daher alle Mittel einsetzen, die zu unserer Verfügung stehen, um die Rebellion anzufachen, die man gegen ihn in Kastilien begonnen hat, und alle anderen Fürsten gegen ihn aufstacheln. Hört also gut zu und schreibt das, was ich jetzt sage, in angemessenen lateinischen Worten nieder …«
Während des abendlichen Sabbatmahls dieser Woche erwähnte Ya'kub Saris Heirat nicht. Da'ud nahm sein Schweigen als klares Zeichen dafür, daß sein Vater beschlossen hatte, ihn allein über sein Schicksal entscheiden zu lassen – zumindest im Augenblick. Die Sache hatte schließlich keinerlei Dringlichkeit. Jetzt, da alle ihre Töchter verheiratet waren, genoß Sola die Gesellschaft des Mädchens, verspürte große Befriedigung über das Band der Vertrautheit, das sie voller Geduld mit diesem seltsamen, fremden Geschöpf geknüpft hatte, indem sie Sari mit ihrer mütterlichen Wärme einhüllte. Obwohl sie sorgsam vermied, dies zuzugeben, um ihren Gatten nicht zu betrüben, verstand sie sehr gut den Reiz, den Saris ungewöhnliche slawische Schönheit auf ihren Sohn ausübte, ebenso die Herausforderung, die Saris Persönlichkeit für ihn als Mann und als Heiler menschlicher Gebrechen darstellte. Deswegen hatte sie am Sabbatmorgen, als die Männer von der Synagoge zurückgekehrt waren, Ya'kub mit einem Gespräch über die Reparatur des Daches abgelenkt, die noch vor dem Winterregen erfolgen mußte, während Da'ud Sari in sein Zimmer führte, um ihr zu erklären, wie sie sich um seine Pflanzen kümmern sollte.
»Diese hier muß häufig gegossen werden, aber diese kleinen stacheligen Gesellen scheinen mit sehr wenig Wasser auszukommen. Hier, fühle die Erde«, sagte er. Gehorsam legte sie ihren Zeigefinger leicht auf die ziemlich trockene Blumenerde. »Nein, du mußt den Finger fester in die Erde drücken, bis du die Feuchtigkeit im Topf spüren kannst«, erläuterte er und drückte sanft mit seinem Finger auf den ihren. Bei der ersten Berührung zog sie abrupt die Hand weg, als hätte sie sich verbrüht.
»Hab ich dir weh getan?« fragte er, als er ihr plötzlich kreideweiß gewordenes Gesicht erblickte.
Sie antwortete nicht, also fuhr er fort: »Diese hier liebt den Schatten, diese wendet sich der Morgensonne zu. Beide müssen regelmäßig alle drei oder vier Tage gegossen werden, so daß die Erde immer gleichmäßig feucht ist, so wie hier«, erklärte er und nahm diesmal ihre Hand in die seine und ließ sie die feuchte Erde unter der Handfläche spüren. Erneut zuckte sie zurück, diesmal noch heftiger als zuvor. »Ist etwas mit deiner Hand? Laß mich einmal sehen.«
Sari schüttelte den Kopf.
»Warum ziehst du sie dann zurück, wenn ich sie berühre, als hättest du Schmerzen?«
Wieder störrisches Schweigen.
»Hast du Angst vor mir?«
Ein Aufblitzen von Meeresblau, als das Mädchen für den Bruchteil einer Sekunde voller Schrecken die Augen zu ihm hob, dann wieder nichts.
»Sari«, begann er noch einmal, entschlossen, aufrichtig, aber auch sanft. »Meine Mutter hat mir und meinem Vater unterbreitet, die Zeit sei gekommen, einen angemessenen Ehemann für dich zu suchen. Hat sie dir von den intimen Beziehungen gesprochen, die zwischen einem Ehemann und seiner Gattin bestehen?«