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»Du überraschst mich«, sagte sie. »Ich bin es nicht gewohnt, dich am hellen Morgen zu Hause zu sehen.«

»Ich möchte hier heute allein arbeiten.«

»Dann überlasse ich dich deinen Studien«, erwiderte sie und zog sich leise zurück.

Mit raschen, konzentrierten Bewegungen wog und maß Da'ud, zerstieß und mischte die zweiundvierzig Zutaten des Großen Theriak, erschöpfte beinahe seinen gesamten Vorrat der seltenen Ingredienzen, um die übergroße Menge des Mittels herzustellen, die der Kalif verlangt hatte. Gegen Abend goß er die Mischung in eine mit Stroh umhüllte Flasche, verkorkte diese fest und stellte sie sorgfältig auf ein hohes Regal. Dann füllte er zur Sicherheit noch einen Topf mit zermahlenem Bezoar und steckte ihn in die Tasche des Gewandes, das er am nächsten Tag tragen wollte. Erst jetzt atmete er auf. Als er sich daran machte, die Arbeitsfläche aufzuräumen, beschwor der Anblick der leeren Gefäße eine tiefe Unruhe in ihm herauf. Was würde geschehen, wenn der Kalif in einer Herrscherlaune mehr von dem kostbaren Gegenmittel verlangen sollte, ehe seine Vorräte wieder aufgefüllt waren?

Hätte er gewußt, was seiner noch harrte, er hätte sich gewünscht, daß dies seine einzige Sorge wäre …

Die Nebel der Morgendämmerung hingen noch über dem Fluß, als er am nächsten Morgen durch die schlummernden Straßen Córdobas schlüpfte. Er wollte gerade wie jeden Tag in die Bibliothek eintreten, als eine rauhe Stimme ihn von hinten anrief. Er wandte sich abrupt um und fand sich dem knollennasigen Steuereintreiber Abu Bakr gegenüber, jenem ehemaligen Christen, dessen Familienbande mit dem Königshaus von Leon kein Geheimnis waren. Anmaßend hatte der sich in seinem üppigen scharlachroten Gewand vor ihm aufgebaut, die hellen, nahe beieinander stehenden Augen mit bohrendem Blick auf Da'ud gerichtet, dessen Augen wie immer dunkel und still waren.

»Was bringt Euch zu so ungewöhnlich früher Stunde in den Palast?« fragte er mißtrauisch.

»Ich könnte Euch die gleiche Frage stellen«, erwiderte Da'ud.

»Geld ist die beste Waffe eines militärischen Anführers. Es steht in meiner Verantwortung, dieses Geld aufzutreiben, je früher, desto besser. Ihr hingegen habt keine solch dringende Aufgabe zu erfüllen«, bemerkte er spitz, und seine Augen verengten sich ein wenig, als er die weiten Falten des Umhangs genau studierte, der um Da'uds schlanke Gestalt gehüllt war. »Das ist nicht ganz richtig«, antwortete Da'ud mit Gleichmut. »Als einer der Hofärzte bin ich dafür verantwortlich, bestimmte Medikamente zur Behandlung der Verwundeten bereitzustellen.«

»Die werden im allgemeinen in der Palastapotheke unter der entsprechenden Oberaufsicht angefertigt, und nicht in der Bibliothek – oder anderswo.«

»Ich möchte nachsehen, welche Art von Harz Galen für die Behandlung von Nervenverletzungen an jungen, gesunden Körpern empfiehlt.«

»Und das da?« fragte der Wesir mit eisiger Stimme und schlug mit einer raschen Bewegung einen Zipfel von Da'uds Mantel zurück, unter dem die Korbflasche zum Vorschein kam, die er dort verborgen hielt.

»Das ist ein neuer Trank aus wärmenden Zutaten, den ich selbst aus Kamille, Melisse, Lavendel, Koriander und Cannabis bereitet habe. Er soll den Soldaten zur Hilfe gereichen, die auf dem Schlachtfeld verwundet wurden.«

»Und deshalb kommt Ihr in der Morgendämmerung in den Palast geschlichen, diesen sogenannten Wärmtrank unter Euren Gewändern verborgen? In Kriegszeiten nutzt Euch Eure viel gepriesene Gelehrsamkeit nichts mehr.« Damit drehte sich Abu Bakr um und machte sich auf den Weg zum Haupteingang des Palastes.

Da'uds Gedanken rasten, als er die Bibliothek betrat. Es blieben ihm nur Sekunden, eine Methode zu finden, wie er sich aus dem Netz der Intrigen befreien konnte, das sich um ihn gelegt hatte, als er es am wenigsten erwartete. Welch besseres Alibi hätten sich die heimlichen Helfer Leons, die am Hofe des Kalifen lebten, denn wünschen können? Wenn am Vorabend der entscheidenden Schlacht ein Attentat auf Abd ar-Rahman ausgeführt würde, brauchten sie nur ihn zu beschuldigen, er habe heimlich ›nicht überwachte Heilmittel‹ in den Palast geschmuggelt, und schon stünde er im Verdacht des Königsmordes. Sollte er den Kalifen von dem Vorfall unterrichten, schon vorab seine Unschuld demonstrieren? Das war genauso riskant, wenn man überlegte, wie peinlich Abd ar-Rahman darum bemüht war, das Gegenmittel und alles, was damit zusammenhing, geheimzuhalten. Als Mustapha ihn wiederum durch das Labyrinth der Türen und Korridore führte, wurde Da'ud klar, daß er in der Falle saß, daß tödliche Gefahr lauerte, wohin er sich auch wandte. Mit geschmeidigen Schritten bewegte sich der Eunuch vorwärts. Er öffnete eine kleine Tür und wies Da'ud ins Gemach des Kalifen. Als er über die Schwelle trat, erhaschte Da'ud noch einen kurzen Blick auf Scharlachrot, auf den Saum von Abu Bakrs Gewand, das gerade durch die Haupttür auf der Gegenseite verschwand. Das bewog ihn, sofort zu handeln.

Er reichte Abd ar-Rahman die Korbflasche, stand aufrecht vor ihm und begann: »Ich bitte um die Erlaubnis zu sprechen, o Herrscher der Gläubigen. Euer ehrenwerter Steuereintreiber Abu Bakr hat mir aufgelauert, als ich soeben die Bibliothek betreten wollte, und hat die Flasche gesehen, die ich unter meinem Mantel verborgen hatte. Auf seine dringende Befragung antwortete ich, sie enthielte ein von mir bereitetes schmerzlinderndes Mittel für die auf dem Schlachtfeld verwundeten Soldaten. Er schien meine Erklärung mit äußerstem Mißtrauen zu hören, drohte mir wohl sogar. Allerdings ist es mir nicht gelungen, zu unterscheiden, ob Mißtrauen und Drohung echt oder vorgetäuscht waren. Ich fürchte …«

»Ihr tut gut daran, zu fürchten«, unterbrach ihn der Kalif grob. »Ihr setzt Euer Leben aufs Spiel, da Ihr mir die himmelschreiende Verletzung der Geheimhaltungspflicht gesteht, auf die ich Euch eingeschworen habe.«

»Darüber bin ich mir im klaren, aber ich setze nicht weniger aufs Spiel, wenn die Höflinge, die sich mit den Aristokraten von Leon gegen Euch verschwören, mit anklagenden Fingern auf mich deuten, um den Verdacht von ihren eigenen verräterischen Taten abzulenken.«

Mit undurchdringlicher Miene lauschte Abd ar-Rahman. Abu Bakrs Machenschaften waren ihm bekannt, doch die Hinrichtung des Steuereintreibers würde dem Schatzamt größeren Schaden zufügen als seinen Feinden. Es würde sich immer irgendein anderer bekehrter Christ finden, der ihn verraten würde, wenn nur der Preis hoch genug war, denn ein Mann, der einmal Verrat begangen hatte – an seinen Freunden, seinem Herrscher oder seiner Religion –, zögert selten, wiederum Verrat zu üben. Was der besorgte junge Gelehrte, der da vor ihm stand, nicht wußte: Abu Bakr war sich nicht zu schade, dem Kalifen wertvolle Informationen über seine Feinde zuzutragen, um ihm seine Treue zu beweisen. Noch waren sich Da'ud oder Abu Bakr selber im klaren darüber, daß Abd ar-Rahman den Steuerberater häufig dazu benutzte, seinen Feinden falsche Informationen in die Hände zu spielen oder die Kastilianer gegen ihre Herrscher in Leon aufzuwiegeln. Er war auf der Hut vor dem Ränkespiel des konvertierten Christen und hatte sich schon längst Methoden erdacht, wie er sie bekämpfen könnte. Eine einzige Schwäche hatte es in seinen Verteidigungswällen noch gegeben, seine panische Angst vor Schlangenbissen, die sich in der Schlacht von Simancas offen gezeigt hatte. Aber auch das war nun dank der kostbaren Korbflasche vorbei, die er in den Händen hielt. Trotzdem machte Abd ar-Rahman keinerlei Anstalten, die Ängste Da'uds zu beschwichtigen. Im Gegenteil.

»Die Zeit wird die Wahrheit ans Licht bringen«, bemerkte er geheimnisvoll. Niemand, der in seinen Diensten stand, sollte sich je völlig in Sicherheit wähnen …

Da'ud, dessen Gedanken die drohende Gefahr messerscharf geschliffen hatte, hatte plötzlich eine Eingebung, eine gewagte neue Idee, die sehr wohl das Leben des Kalifen retten könnte – vielleicht auch sein eigenes. Ohne einen Augenblick zu zögern, äußerte er diesen Gedanken.