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»Erlaubt mir, o Herrscher der Gläubigen, Euch in meiner Eigenschaft als Hofarzt folgenden Rat zu geben: Wenn Ihr Euch im Verlaufe des Feldzugs der Gefahr eines Schlangenbisses besonders ausgesetzt wähnt, so nehmt vorbeugend das Viertel eines Schekels vom Großen Theriak ein.« Im gleichen ruhigen Ton fuhr er nun fort, dem Kalifen das übliche Verfahren nach der Vergiftung durch einen Schlangenbiß zu erläutern. »Wenn Euch, der Himmel möge es verhüten, eine Schlange gebissen hat, so zieht eine Abbindeschnur oberhalb des Einbisses so fest wie möglich zu, um zu verhindern, daß das Schlangengift sich im gesamten Körper ausbreitet. Dann nehmt ein Schekel des Großen Theriak ein und streicht noch diese Paste aus Bezoar auf die Wunde. Wenn Ihr so vorgeht, wird Euch kein Leids geschehen. Was andere Gifte betrifft, die Euch Eure Widersacher vielleicht zu verabreichen suchen, so achtet stets darauf, daß Ihr nur Gerichte zu Euch nehmt, die in Wasser gekocht oder einfach gesotten sind, ohne Zugabe von Farbstoffen oder Gewürzen oder Zucker, die den Geschmack, Geruch oder Anblick von Gift verschleiern. Weiterhin, wenn Ihr den Verdacht hegt, daß jemand plant, Euch zu vergiften, so laßt ihn oder jemand anderen eine reichliche Portion des Essens genießen, das auch Euch gereicht wird, nicht nur einen Mundvoll, wie es oft gehandhabt wird. Wie Ihr wißt, ist der Große Theriak ein Gegenmittel gegen Gifte aller Arten, nicht nur das der Schlange.«

»Euer Rat kommt zur rechten Zeit, mein gelehrter Freund. Mustapha«, rief er seinen Eunuchen, »verbirg diese Korbflasche unter meinem persönlichen Gepäck und bewache sie mit deinem Leben.«

»Ich würde respektvoll vorschlagen«, drängte Da'ud, »daß Ihr einen Teil der Flüssigkeit in einige kleine, unzerbrechliche Phiolen abfüllt, am besten solche aus Gold, die jeweils ein Schekel des Mittels enthalten. Eine solltet Ihr stets mit Euch führen, die anderen verteilt unter Eurer persönlichen Habe. So könnt Ihr stets sicher sein, daß Ihr im Laufe des Feldzuges einen Vorrat zur Hand habt.«

»Es soll geschehen, wie Ihr es uns ratet. Aber kehrt nun zu Euren Studien zurück, ehe neugierige Augen Euch erspähen.«

10

In der Abgeschiedenheit der vertrauten Bibliothek fiel die mutige Haltung, die er in der Gegenwart des Kalifen gewahrt hatte, von Da'ud ab. Zutiefst besorgt, schritt er im Raum auf und ab. Seine Befürchtungen wuchsen noch, als ihm die volle Bedeutung seines zufälligen Zusammentreffens mit Abu Bakr klarer wurde. Wieder einmal schwebte er in Lebensgefahr, doch diesmal stand es nicht in seiner Macht, sich selbst zu verteidigen. Sein Schicksal lag nun in den Händen anderer, entzog sich seiner Kontrolle. Welches Übel dem Kalifen im Verlauf des bevorstehenden Feldzugs auch widerfuhr – die Möglichkeiten waren endlos –, ihm würde man die Schuld dafür geben. Nur für den unwahrscheinlichen Fall, daß die Kräfte des Großen Theriak sich wirklich zeigen würden, wäre er von jeglichem Verdacht befreit. Einer plötzlichen Eingebung folgend, hatte er zusätzlich zur vorbeugenden Einnahme des Gegenmittels geraten, doch diese Methode war nicht erprobt, nicht überprüft, und daher war der Erfolg nicht gewährleistet. Wieder einmal blickte er in die häßliche Fratze, die Kehrseite der höfischen Ehrungen. Wenn das der Preis war, dann war er nur zu gern bereit, darauf zu verzichten.

Oh, wie er sich danach sehnte, jetzt den Kopf zwischen Saris sanft gerundete Brüste zu betten, dort in ihrer Liebe Trost und Sicherheit zu suchen, wie ein erschrecktes Kind Sicherheit in der warmen Umarmung seiner Mutter sucht. Wie lange mußte er ihre passive Ablehnung noch erdulden, ihre Weigerung, seine Kinder zu gebären? Es war, als unterzöge sie ihn einer langen, mühsamen Prüfung seiner Beharrlichkeit. Doch wo er früher einmal überzeugt gewesen war, daß die Kraft seiner Liebe in ihr eine Antwort erwecken würde, schwand inzwischen sein Zutrauen zu dieser Kraft. Wie lange noch mußte er seine Leidenschaft zügeln, um die Aufrichtigkeit seiner Zuneigung unter Beweis zu stellen? Während bei Hof die Spannung wuchs und auch seine Nerven stets aufs äußerste gereizt waren, schwand allmählich auch seine Geduld mit ihrer Widerspenstigkeit und mit ihr die Fähigkeit, die Enttäuschung länger zu ertragen, die sie ihm bereitete. Vielleicht sollte er seine Einstellung ändern, weniger Verständnis zeigen, auf seinem ehelichen Recht bestehen, es von ihr verlangen, sie vielleicht sogar mit Gewalt nehmen …

Nicolas Ankunft zwang ihn, seine übliche gefaßte Haltung wieder einzunehmen. Im Laufe des Morgens veranlaßte sein deutlich bemerkbarer Mangel an Konzentration den Mönch jedoch, sich besorgt nach seiner Gesundheit zu erkundigen.

»Ich danke Euch für Eure Umsicht. Mir selbst geht es gut. Der Zustand meiner Frau ist mir Anlaß zur Sorge.«

»Die Leiden der frühen Schwangerschaft?« erkundigte sich Nicolas, dessen strahlende Augen vor Anteilnahme einen warmen Schimmer bekamen.

»Das könnte wohl sein«, erwiderte Da'ud und erstickte beinahe an diesen Worten. Kurz verspürte er das überwältigende Verlangen, aus seiner begrenzten, bedrückenden Welt auszubrechen, allem zu entfliehen, genau wie der arme tote Einsiedler an einem einsamen Ort Zuflucht zu suchen, wo Lügen, Intrigen, Enttäuschung und Gewalt ihn nicht erreichten.

Nicolas, der Da'uds Verwirrung bemerkte, legte ihm freundlich die Hand auf den Arm. »So geht doch und kümmert Euch um sie. Dioskurides hat so lange in der Vergessenheit geschlummert, er mag noch ein wenig länger warten.«

Da'ud nutzte diesen Vorwand. Mit kräftigen Schritten eilte er nach Hause, wild entschlossen, Sari mit sich zu reißen, mit ihr zur Hütte des Einsiedlers zu reiten und dort mit all der Kraft seiner aufgestauten Leidenschaft die Lebenskraft zu wecken, die in ihr schlummern mußte. Doch kaum hatte er das Haus betreten, da vertrieb ihm die ungewohnte, unnatürliche Stille diese Gedanken aus dem Kopf. Es war etwas geschehen. Es mußte etwas mit Sari sein.

Er fand sie ausgestreckt auf dem Diwan liegend, geschüttelt von einem heftigen Fieber. An ihrer Seite saß hilflos weinend die Dienerin Malka.

»Warum hast du nicht unverzüglich nach mir geschickt?« fragte er zornig.

»Es kam ganz plötzlich über sie, Herr, erst vor kurzer Zeit. Ich hatte Angst, sie allein zu lassen. Alle paar Minuten verspürt sie den Drang, Wasser zu lassen, und ich muß ihr zum Abtritt helfen. Jedesmal, wenn sie Wasser abschlägt, wimmert sie vor Schmerzen.«

»Gut«, murmelte er, um das von panischer Angst erfaßte Mädchen zu trösten. »Jetzt hör auf zu heulen und gehe in meinem Arbeitszimmer die Utensilien für den Aderlaß holen«, gebot er ihr, während er sanft Saris heiße, schlaffe Hand anhob, um ihr den Puls zu fühlen. Bei dieser Berührung schlug sie wie wild um sich.

»Nimm deine schmutzigen, lüsternen Hände von mir«, rief sie fiebertrunken. »Du und all deine greisen, geifernden Kumpane. Au!« schrie sie auf, als erlitte sie unerträgliche Schmerzen, und dann keuchte sie und drückte die Hände nach oben, als müßte sie ein Gewicht von sich abwälzen, das sie zu zermalmen schien. Da'ud beugte sich erneut über sie, diesmal legte er ihr die kühle Handfläche an Nacken und Wange, um ihre Körpertemperatur zu fühlen. Nun jaulte sie auf, als würgte sie jemand, und heulte dann: »Nimm dein gräßliches, schlaffes Ding aus meinem Mund! Macht daß ihr rauskommt, ihr geifernden Tiere, macht, daß ihr zwischen meinen Beinen rauskommt! Au!« stöhnte sie wieder, hielt sich die Scham mit beiden Händen. »Raus aus mir! Raus!«

»Barmherziger Gott!« flüsterte Da'ud und sank auf dem Diwan neben ihr zusammen. Das war es also! Und die ganze Zeit hatte sie Stillschweigen bewahrt, hatte zugelassen, daß diese Erinnerung ihr Leben aushöhlte. Das arme, wehrlose Kind, von einem Haufen lüsterner Greise brutal mißhandelt, die irgendeine perverse Macht verspüren wollten, die sie mit anderen Mitteln längst nicht mehr erreichen konnten. Kein Wunder, daß sie sich ihm verweigerte. Allmächtiger, gütiger Gott, wie sollte er das je an ihr wiedergutmachen? Wie sollte er ihre verwundete Seele heilen, wie die schreckliche Verletzung an Körper und Geist lindern? Er beobachtete sie einige Sekunden ganz genau, wie sie sich hin und her warf, wie sie etwas murmelte, das wie slawische Flüche klang, dazwischen immer wieder Bruchstücke von Schreien, inständigen Bitten, Flehen, Aufbegehren. »Hör auf zu beißen … Blut … Blut … Au! Meine Brüste! Nein, von unten … faß meinen Hintern nicht an, du Hund! … Raus aus mir! Raus!«