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»Das ist ungeheuer viel zu essen für einen so dünnen Menschen wie mich«, lächelte Ya'kub. »Mein Appetit ist nie übermäßig gewesen, und er hat sich auch mit zunehmendem Alter nicht vergrößert.«

»Iß stets kleine Portionen, den ganzen Tag über, du wirst es nicht einmal bemerken. Ruh dich jetzt aus. Ich komme morgen früh wieder und sehe nach dir.«

»Nach der Synagoge«, mahnte ihn Ya'kub. »Du mußt die Familientradition aufrechterhalten. In meiner Abwesenheit ist es deine Pflicht, meinen Platz einzunehmen.«

»Wie du wünschst, Vater«, erwiderte Da'ud, und es schnürte ihm den Hals zu, als er seinen Vater auf die Stirn küßte und sich zurückzog.

Seine Mutter erwartete ihn mit fragendem, ängstlichem Blick, als er auf den Innenhof trat. »Es ist schlimm, nicht wahr? Ich weiß es, ich kann es spüren«, sagte sie und rang verzweifelt die Hände.

»Es ist ernst, aber nicht hoffnungslos. Ich werde Ibn Zuhr zu Rate ziehen, welche Behandlung am besten geeignet ist. Inzwischen gib ihm viel Huhn, Milchsuppe mit Zimt und Gerstengrütze, um ihn zu Kräften zu bekommen, dann Honig, getrocknete Feigen und Mark, um die Geschwulst aufzuweichen.«

»Geschwulst?« Das Wort hallte wie ein Todesurteil durch die reglose Nachtluft. »Wo?«

»Am Knie.«

»Er hat nichts davon gesagt.«

»Weil es nicht schmerzhaft war.«

»Was ist zu tun, mein Sohn. Was können wir nur tun?« flehte und stöhnte Sola, und ihre Augen standen voller Tränen, als Sari zu ihr trat und ihr tröstend den Arm um die Schulter legte.

»Alles Menschenmögliche. Dessen kannst du sicher sein. Du mußt jetzt deine Tränen trocknen. Er darf deine Angst nicht spüren. Dein Lächeln, deine warme und tröstliche Gegenwart sind ein grundwichtiges Element in seiner Behandlung. Ich verlasse mich darauf. Laß mich nicht im Stich.«

»Soll ich heute hier schlafen?« bot Sari an.

»Ich glaube nicht«, antwortete Da'ud anstelle seiner Mutter. »Er schwebt nicht in unmittelbarer Gefahr. Wir dürfen keine düstere Atmosphäre schaffen. Ich komme nach dem Morgengebet wieder. Gute Nacht, meine liebe Mutter, und verzweifle nicht. So Gott will, heilen wir ihn.«

Weder Da'ud noch Sari verspürten in jener Nacht das geringste Bedürfnis zu schlafen. Lange saßen sie draußen auf dem Innenhof und grübelten. Obwohl jeder wußte, was im Kopf des anderen vorging, hielt doch keiner die Zeit für gekommen, um darüber zu reden. Es war schon lange nach Mitternacht, als die beiden schließlich aufstanden, sich nach einer traurigen flüchtigen Umarmung trennten und jeder in sein Schlafzimmer ging.

Nach wenigen Stunden unruhigen Schlafes stand Da'ud auf und verließ beim ersten Morgenschimmer leise das Haus. Wie er es während seiner Studentenzeit beinahe jeden Morgen gemacht hatte, eilte er mit schnellen Schritten durch die menschenleeren Straßen zum nördlichen Teil der Stadt, vorbei am Haupteingang des alten Palastbezirks, hinter dem die Familie Ibn Zuhr wohnte. Das faltige Gesicht des vertrauten alten Dieners leuchtete auf, als er die große Holztür öffnete, nachdem Da'ud laut und dringlich angeklopft hatte.

»Abu Sa'id wird entzückt sein, mit Euch im Garten zu frühstücken wie in alten Zeiten. Ihr kennt den Weg«, sagte der Diener und eilte auf krummen Beinen voraus, um seinem Herrn Da'uds Besuch anzukündigen.

»Welch ein großes Vergnügen, dich hier zu sehen!« rief Abu Sa'id Hatim ibn Zuhr aus, als er in den ummauerten Garten hinter seinem Haus trat, um den ehemaligen Schüler zu begrüßen. Er war ein großgewachsener Mann, und seine höfische Eleganz verlieh der Habichtnase, den grauen, lebhaften kleinen Augen sowie dem scharfen Kinn, das durch einen kurz gestutzten, ergrauenden Bart ein wenig gemildert wurde, einen aristokratischen Zug. Die beiden Männer umarmten einander herzlich und spazierten dann zusammen durch das üppige Grün zu den Steinbänken in der berühmten Frühstücksecke des Meisters, die in einer Nische inmitten einer herrlichen Masse violetter Bougainvillea lag. Auf dem Marmortisch waren bereits Früchte, Milch und Honig neben frisch gebackenem Pitabrot aufgedeckt. Abu Sa'id lud Da'ud mit einer Handbewegung ein, sich zu setzen, brach dann ein Pitabrot auf, füllte es mit Honig und reichte es seinem Gast.

»Ganz Córdoba redet von deinem großen diplomatischen Erfolg. Du hast die christlichen Fürsten in unsere Hauptstadt gebracht, wenn ich auch ganz besonders stolz darauf bin, daß es dir gelungen ist, ihnen Vertrauen zu deinen Fähigkeiten als Arzt einzuflößen. Das einzige, was mir im Laufe der Jahre Sorge bereitet hat, ist die Tatsache, daß du es zugelassen hast, daß deine Tätigkeit bei Hofe deine ärztliche Praxis beeinträchtigt hat.«

»Die Umstände haben mich dazu gezwungen, verehrter Meister. Meine Arbeit an der Übersetzung des Dioskurides verlangte meine ständige Gegenwart in der Bibliothek des Palastes, und der Kalif hat sich daran gewöhnt, sich meiner Dienste in einer ständig wachsenden Anzahl von Bereichen zu bedienen. Da ein treuer Untertan seinem Herrn keine Bitte ausschlägt, habe ich ihm in all diesen Dingen getreulich gedient.«

»Ich verstehe. Und wie geht es deiner Frau?« fuhr Ibn Zuhr fort und kehrte zu den Höflichkeitsfloskeln der arabischen Konversation zurück.

»Es geht ihr gut, danke der Nachfrage.«

»Ich bin sicher, sie wird dir schon bald einen Erben schenken, der dein Haus fortbestehen läßt, einen Sohn, der sich als ein ebenso glänzender Gelehrter herausstellen mag wie du selbst, so daß in deiner Familie so wie in der unseren die medizinische Tradition von einer Generation auf die andere weitergegeben wird.«

»Das ist meine innigste Hoffnung«, erwiderte Da'ud, und das Herz zog sich ihm vor Schmerz und Enttäuschung zusammen.

»Und deine Eltern? Ist das hohe Alter gnädig mit ihnen?«

»Meine Mutter ist bei guter Gesundheit, mein Vater nicht.«

»Bringt dich dies zu so früher Morgenstunde zu mir?«

»Leider ja, Meister.«

»Was gebricht Abu Da'ud?«

»Eine Geschwulst am linken Knie, übermäßige Müdigkeit, leichter Gewichtsverlust. Ich würde mich gerne mit Euch darüber besprechen, ob Ihr es für geraten haltet, die Geschwulst durch das Messer zu entfernen, und wenn ja, um Euren Rat bitten, welcher Chirurg diesen Eingriff am besten machen könnte.«

»Leidet dein Vater noch an anderen Krankheiten?«

»Nein.«

»Ich gehe also davon aus, daß sein allgemeiner Gesundheitszustand gut ist. Sonst hättest du einen chirurgischen Eingriff in seinem Alter nicht in Erwägung gezogen. Eine Geschwulst am Knie … Immer das gleiche Dilemma. Wenn sie lokal begrenzt ist, ist das Risiko, das man mit einem chirurgischen Eingriff eingeht, gerechtfertigt. Wenn sie sich jedoch schon auf andere Organe ausgedehnt und sie bereits in Mitleidenschaft gezogen hat, ist es müßig, den Patienten der zusätzlichen Qual der Chirurgie zu unterziehen, da seine Tage ohnehin gezählt sind. Im Falle deines Vaters liegt die Geschwulst nicht in der Nähe größerer Blutgefäße oder Organe. Wir müssen also keine Gefahr für solche lebenswichtigen Körperteile befürchten. Ist sie groß?«

»Etwa von der Größe einer kleinen Orange.«

»Verglichen mit anderen, die ich gesehen habe, ist das nicht übermäßig, spricht also für eine lokal begrenzte Geschwulst. Aber wir können nicht sicher sein, ehe wir die Stelle nicht genau untersucht haben. Die Wucherung kann sehr wohl im Inneren in beträchtliche Tiefen vorgedrungen sein, so daß die wirkliche Größe des Gewächses unseren Augen verborgen ist. Wir wollen jedoch diesen Aspekt im Augenblick beiseite lassen und uns mit der zweiten Frage beschäftigen. Ich habe kürzlich einen außergewöhnlichen Studenten namens Abu'l Kasim Khalaf al-Zahrawi unterrichtet, dessen Leistungen in der Chirurgie ans Wunderbare grenzen. Er ist mit einem ruhigen Auge und einer schnellen, geschickten Hand gesegnet, ist in allem, was er macht, außerordentlich vorsichtig, und trotz seiner Jugend würde ich keinen Augenblick zögern, ihn zu empfehlen. Die Geschicklichkeit des Chirurgen muß daher bei deinen Erwägungen keine Rolle spielen.«