Выбрать главу

Da'ud antwortete nicht, doch plötzlich sah er ein paar große, dunkle, funkelnde Augen vor sich, die vor Lebenslust nur so blitzten … Er war erleichtert, als Sola zum Mittagessen rief. Jeder gab vor, nicht zu bemerken, wie lustlos Ya'kub in seinen Lieblingsgerichten herumstocherte, wie grau seine Gesichtsfarbe war und wie sehr er sich anstrengen mußte, allein um mit ihnen am Tisch zu sitzen. Es war ein trauriger, schmerzlicher Anblick. Man redete von allem möglichen, nur nicht von seiner Gesundheit, und der Ton erzwungener Normalität klang allen falsch im Ohr. Sobald das Essen vorüber war, kehrte Ya'kub zu seinem Diwan zurück, um sich auszuruhen, und Da'ud und Sari verabschiedeten sich. Die zärtliche Umarmung, mit der Da'ud seine sorgengeplagte Mutter umfing, sagte mehr als alle Worte des Trostes, die er ihr anbieten konnte. »Ich komme später am Abend noch einmal vorbei«, versprach er, als er sie wieder losließ, und küßte ihr eine Träne aus dem Augenwinkel.

Auf dem kurzen Heimweg berichtete Da'ud Sari von seiner Begegnung mit Bahya ibn Kashkil und dessen Tochter. »Sie kommen heute abend zu uns, um sich ein Empfehlungsschreiben an Rabbi Meir abzuholen. Wir sollten vielleicht ein paar Erfrischungen bereitstellen, ein Zeichen des Willkommens in unserer Gemeinschaft«, sagte er.

Während er neben seiner Frau Sabbatsiesta hielt, ihre schmale Hand leicht auf der seinen, dachte Da'ud über die Ironie des Schicksals nach, die in der Begegnung am Morgen gelegen hatte. Als Abd ar-Rahmans loyaler Sekretär hatte er vielleicht selbst das Schreiben verfaßt, das die Zenatas dazu anstachelte, sich gegen al-Mu'izz, den Rivalen der Omaijaden-Kalife in Nordafrika, zu erheben, der mit den Jahren dem Kalifat im Osten und Süden weite Landstriche entrissen hatte. Diese gewalttätige Auseinandersetzung hatte die Lebensgrundlage seiner jüdischen Glaubensgenossen zerstört, die sich heute um Hilfe an ihn gewandt hatten. Und doch lag ein gewisser Trost in der Tatsache, daß seine Stellung bei Hof zumindest den Juden in Córdoba Sicherheit garantierte, daß sie den Opfern des Kampfes zwischen den Omaijaden und den Fatimiden in anderen Gebieten von Abd ar-Rahmans Reich eine sichere Zuflucht bot.

Gereizt verscheuchte er eine Fliege, die um seinen Kopf surrte, und fegte sie in Richtung Fenster, damit sie Sari nicht belästigte, die friedlich neben ihm schlummerte. Wie wunderschön sie noch immer war, beinahe unverändert seit ihrem Hochzeitstag. Ihre Haut war noch so glatt und durchscheinend, ihr rostbraunes Haar noch so üppig und glänzend, ihre Gliedmaßen so schmal und zerbrechlich – das zarte Pflänzchen, das er noch nicht zum Blühen gebracht hatte, trotz aller Liebe und Leidenschaft, mit der er sie überhäuft hatte. Wie anders war sie als diese junge Flüchtlingsfrau von der marokkanischen Hochebene, deren offener, lebendiger Blick und aufrechte Haltung von einer gesunden Lebenslust und dem Verlangen sprachen, alles voll auszukosten, was das Leben zu bieten hatte. Und Djamila ihrerseits, wie anders war sie als die Töchter aus den angesehenen jüdischen Familien von Córdoba – lebendig, wach, ohne eine Spur müder Passivität. Sie kam aus einer bescheidenen bäuerlichen Familie, hatte wohl auf dem Hof ihren Teil der Aufgaben übernehmen müssen, hatte gelernt, ums Überleben zu kämpfen und, wenn sein Gefühl ihn nicht trog, dabei den Entschluß gefaßt, nach Besserem zu streben. Ihre ganze Haltung drückte ihren jugendlichen Drang aus, sich in der reichen und glänzenden Stadt Córdoba eine bessere Stellung zu erobern, obwohl sie nur die Tochter eines bescheidenen Neuankömmlings war.

Wieder einmal ein romantischer Jugendtraum, der sich nicht erfüllen würde? überlegte er, als seine Gedanken zu dem Gespräch zurückwanderten, das er mit seinem Vater geführt hatte. Eine zweite Frau … Aber wer? Welche von den heiratswilligen jungen Frauen Córdobas würde sich einverstanden erklären, seine Kinder zu gebären, aber in seinem Herzen und in seinem Haushalt stets eine untergeordnete Rolle zu spielen? Das Prestige seines Ranges würde diese jungen Frauen – oder ihre Väter – vielleicht zunächst locken, aber für nichts und niemanden würde er, Da'ud, je Sari, die große Liebe seines Lebens, aufgeben. Wie langweilig und apathisch diese jungen Frauen doch alle waren! Und wie sie ihn belasten würden! Nicht einmal um eines Erben willen konnte er sich vorstellen, sich mit einem dieser passiven, kuhäugigen Wesen im gleichen Haus aufzuhalten.

Wer aber dann? Noch eine unbekannte Fremde, noch eine Sari? Das konnte er sich nicht erlauben. Er mußte jemanden finden, der außerhalb seines vertrauten Lebenskreises stand, eine Fremde, und doch keine völlig Unbekannte. Wieder schwebte vor ihm das Bild der strahlenden und lebhaften Augen. Eine Fremde, doch nicht völlig unbekannt … Hatte nicht Djamila bereits genug vom Leben gesehen und mußte wissen, daß man einen Preis bezahlen muß, wenn man sein Los verbessern will? Sie konnte sich sicher in ihren kühnsten Träumen eine solch glänzende Möglichkeit nicht ausmalen. Jung, gefügig, gerade eben aus ihrem fernen marokkanischen Dorf angekommen, doch nicht ohne eine gewisse Bildung, würde sie alles annehmen, was er ihr bieten konnte, als Gegenleistung für das ungeheure Prestige, das sie als Mitglied seines Haushaltes gewinnen würde. Als Person war sie nicht abstoßend. Im Gegenteil, ihr Elan hatte eine gewisse Grazie, ihre Energie, hervorgebracht von einem Leben inmitten der Fülle – und der Grausamkeit – der Natur, entbehrte nicht eines gewissen Zaubers. Er würde sie sich heute abend einmal genauer ansehen. Wenn aus seinen zerbrochenen und aus ihren noch unerfüllten Träumen ein Sohn geboren würde, dann wäre er es zufrieden.

15

Bahya ibn Kashkil und Djamila fanden sich pünktlich eine Stunde nach Sonnenuntergang im Haus von Da'ud ibn Yatom ein. Ihre weiten, freien Bewegungen ließen auf ein in der freien Natur verbrachtes Leben schließen. Die beiden wirkten in der nüchternen Eleganz des Hauses unbeholfen, fehl am Platze. Anders als ihr Vater und die anderen seltenen Besucher im inneren Heiligtum von Da'uds Zuhause, zeigte Djamila keinerlei Anzeichen von Schüchternheit oder Ehrfurcht. Im Gegenteiclass="underline" sie schaute sich mit unverhohlener Neugier um, bestaunte die Teppiche mit ihren herrlichen Farben, die Fenstergitter, die so fein gearbeitet waren, daß sie aussahen, als hätte man sie auf die Fenster gestickt, die leuchtenden Seiden und warmen Samtstoffe, die über die Diwane gebreitet waren. Wie reich und herrlich, jubelten ihre flinken Augen, aber Da'ud sah tiefer. Die Haltung von Nacken und Schultern, das selbstbewußte Auftreten mit einer Spur angeborenen Stolzes schienen hinzuzufügen: Auch ich werde einmal in solchem Wohlstand und Luxus leben.

Sari selbst reichte den Neuankömmlingen Wein und Süßigkeiten, die wunderschön auf silbernen Platten angerichtet waren, und Da'ud unterhielt sich auf Hebräisch mit Ibn Kashkil, um dessen Kenntnis dieser Sprache zu prüfen. Der Mann besaß zwar nur Grundlagenwissen, sprach aber korrekt, und das reichte aus, um dem amtierenden Lehrer der Kinderklassen in der Talmud- und Thoraschule zur Seite zu stehen. Während er zuhörte und mit seinen stillen Augen Djamila beobachtete, überlegte Da'ud, ob er seinem Empfehlungsschreiben hinzufügen sollte, daß er selbst anonym die Kosten für die Entlohnung ihres Vaters zu übernehmen bereit war.

Mit einem kurzen Nicken deutete Da'ud an, daß er Ibn Kashkils Befähigung für ausreichend hielt. Ermutigt lehnte sich Bahya aus den Kissen vor und fragte ein wenig selbstsicherer: »Ich bin mit den hiesigen Bräuchen nicht vertraut, aber in Marrakesch hat Djamila mir in der Talmud- und Thoraschule mit kleinen Dingen geholfen.«

»Wie zum Beispiel?« erkundigte sich Da'ud zerstreut, um sein Interesse an dem Mädchen zu überspielen.

»In Marrakesch wie zweifellos auch in Córdoba schicken nur die Armen ihre Kinder in die Gemeindeschule. Die Reichen lassen ihre Kinder zu Hause unterweisen. Also hat Djamila den Kindern grundlegende Dinge beigebracht. Sie hat mit ihnen Hände gewaschen, ihnen die Haare gekämmt und ihre Kleider geflickt. Wenn sie Hunger hatten, hat sie den nächstgelegenen Bäcker beschwatzt, ihr warmes frisches Pitabrot für die Kinder zu geben.«