»Wurde sie für ihre Dienste entlohnt?«
»Gewiß nicht«, erwiderte Bahya entrüstet. »Es war doch ihre Pflicht, dem Vater zu helfen und auch denen zur Seite zu stehen, die weniger vom Glück begünstigt waren als sie selbst.«
Beeindruckt wandte sich Da'ud direkt an Djamila. Mit höfischem Charme und einer neuen Wärme in der Stimme erkundigte er sich: »Angenommen, Rabbi Meir schließt sich meiner Empfehlung an und stellt Euren Vater ein, wärt Ihr bereit, die gleiche Aufgabe auch an unserer Schule zu erfüllen?«
Djamilas Augen strahlten vor Freude, weil der große Da'ud ibn Yatom sie angesprochen hatte, und sie antwortete mit fester Stimme und ohne eine Spur von Schüchternheit: »Aber natürlich. Es wäre mir eine Ehre und ein Vergnügen.«
Da'ud schickte einen Diener, der ihm Papier und Feder aus seinem Arbeitszimmer holen sollte. Rasch schrieb er seine Empfehlung. Er verfaßte sie so, daß sie eher einem Befehl entsprach, faltete und versiegelte sie und reichte sie Bahya ibn Kashkil.
»Ich bin sicher, dies wird Euch behilflich sein, Euch in Eurem neuen Zuhause einzurichten. Wir heißen Euch in unserer Gemeinschaft willkommen und wünschen Euch hier viel Glück.«
Sari sprach als erste, nachdem die beiden sich verabschiedet hatten. »Eine recht ungewöhnliche junge Frau, nicht wahr?«
»Ungewöhnlich im guten oder im schlechten Sinne?« fragte Da'ud mit gleichmütiger Stimme, während er sein silbernes Tintenfaß verschloß.
»Ganz gewiß im guten Sinne. Sie scheint mir so selbstsicher, so zielstrebig, Eigenschaften, die ich mir nie erworben habe, weil niemand da war, der sie mir hätte anerziehen können.«
»Wie kannst du einen so absurden Vergleich anstellen! Du bist die Freundlichkeit, die Ruhe und das Verständnis selbst, hast diese seltenen Gaben, die sie nie besitzen wird. Djamila ist begierig auf alles, was das Leben ihr zu bieten hat.«
»Das ist doch völlig berechtigt. Mein Schicksal ist so verlaufen, daß ich vom Leben nur noch ein Mindestmaß an menschlicher Würde erstrebte, ein wenig elementaren Anstand und ein wenig echte Zuneigung – einfache, natürliche, grundlegende Dinge, die man mir vorenthalten hatte. Sie sucht nun das, wovon sie annimmt, daß man es ihr vorenthalten hat, all die schönen Schmeicheleien des Lebens, das sich jenseits ihres abgelegenen, jämmerlichen Dorfes abgespielt hat. Daß mir der Reichtum und das Prestige, das ich durch dich gewonnen habe, so gleichgültig geblieben sind, bedeutet nicht, daß diese junge Frau nicht das Recht hat, derlei anzustreben.«
»Du könntest recht haben«, gestand ihr Da'ud widerwillig ein, als er aufstand, um vor der Nachtruhe noch einmal seinen Vater zu besuchen. Auf dem kurzen Weg zu seinem Elternhaus versuchte er, seine Eindrücke von seinem zweiten Zusammentreffen mit Djamila zu ordnen. Wie er selbst, so hatte auch Sari rasch gespürt, daß diese junge Frau sich verbessern wollte. Mehr noch, Sari hatte den Wunsch für völlig gerechtfertigt gehalten und den Unterschied zwischen Djamila und sich selbst betont. Genau dieser Gegensatz verhieß Gutes für die Beziehung zwischen den beiden, war ein entscheidender Faktor in Da'uds Überlegungen, denn er würde in seinem Haus keinen Streit dulden. Aber was würde Sari von ihm halten, wenn er Djamila nur heiratete, um ihren Körper dazu zu benutzen, ihm einen Erben zu schenken? Er liebte sie nicht, würde sie nie lieben. Er würde mit ihr das Lager ohne Liebe teilen. Wie konnte Sari ihn nach allem, was ihr Männer angetan hatten, für eine solche Tat nicht verachten, obwohl sie ihn ermutigt hatte, sich eine andere Frau zu nehmen? War Djamilas Ehrgeiz, sich in der Welt zu verbessern, den seine Frau so von ganzem Herzen guthieß, ausreichende Rechtfertigung – oder Entschädigung – für den zielgerichteten, ja zynischen Plan, den er hegte? Es war paradox, aber er verlangte nach der Billigung seiner ersten Frau, die er liebte, für seine Heirat mit einer zweiten, die er nicht liebte …
Sollte er vorgeben, Djamila zu lieben, oder ihr die Situation von Anfang an offen darlegen? In jedem Falle würde er sich darum bemühen müssen, sie zu bezaubern. Sie sollte doch auch Vergnügen daran haben, mit einem Mann das Lager zu teilen, der zwanzig Jahre älter war als sie. Es war eine lästige Aussicht, für die er weder die Geduld noch das Verlangen in sich spürte, aber wenn er nicht in Djamila eine gewisse Leidenschaft entfachte, würde er der Frau, die er wirklich liebte, nicht mehr in die Augen sehen können. Wäre sein Vater bei besserer Gesundheit gewesen, er hätte ihn vielleicht um Rat gefragt, aber wie die Dinge standen, wagte er es nicht, ihn weiter zu ermüden … Er würde noch ein wenig warten, Djamila etwas gründlicher in Augenschein nehmen, seine Entscheidung einige Zeit hinausschieben …
Ya'kub schlief schon, als Da'ud in seinem Elternhaus eintraf. Auf Solas leidenschaftliche Bitte, er möge seinen Vater retten, antwortete Da'ud mit einer verzweifelten Geste. »Ich habe in der Natur schon Wunder gesehen, ich habe von Wundern gelesen, aber es liegt nicht in meiner Macht, Wunder zu vollbringen«, sagte er und umarmte sie voller Mitleid. So standen sie, als an der Haustür ein gebieterisches Klopfen ertönte. Einen Augenblick später erschien Mustapha mit einem dringenden Befehl für Da'ud. Er sollte sich unverzüglich in den alten Palast begeben, wo al-Hakam, der Sohn und Erbe des Kalifen, krank darniederlag.
Da'ud merkte, daß Sola ganz steif vor Entrüstung wurde, weil jemand derart in den Kreis ihres Familienlebens eindrang. Der Sohn des Kalifen mochte krank sein, aber ihr Mann, Da'uds Vater, war dem Tode nahe. Auch Da'ud war nicht erfreut über Mustaphas Botschaft, konnte das aber im Gegensatz zu ihr geschickt verbergen.
»Es ist schon spät, Mutter. Du mußt dich ausruhen, während Vater schläft. Ich schaue morgen wieder vorbei.«
Als Da'ud in den Palast kam, lag al-Hakam, der gewöhnlich ruhig und nachdenklich war, auf dem Diwan und krümmte sich in furchtbaren Schmerzen. Von Angst gepeinigt, lief Abd ar-Rahman unruhig im Raum auf und ab, hatte angesichts der Leiden seines Sohnes seine ganze Herrscherwürde verloren.
»Gott sei Dank, Ihr seid hier!« rief er und packte Da'ud heftig beim Arm. »Es muß Gift sein! Einer seiner eifersüchtigen Halbbrüder versucht wohl, ihn aus dem Weg zu räumen, um selbst den Thron an sich zu reißen, wenn ich nicht mehr bin. Nur Ihr könnt ihn noch retten!«
Da'ud löste sich sanft aus dem mächtigen Klammergriff des Kalifen, stand einen Augenblick ruhig da und beobachtete den Patienten, beugte sich dann vor, um ihm Nacken und Stirn zu fühlen.
»Im Augenblick hat er kein Fieber. Wenn seine Temperatur sich nicht erhöht, können wir mit Sicherheit ausschließen, daß Gift die Ursache seiner Krankheit ist.«
»Allah sei gepriesen!« rief Abd ar-Rahman aus. »Eine solche Tragödie hätte ich nicht überlebt!«
»Wo verspürt Ihr den Schmerz?« erkundigte sich Da'ud und setzte sich auf die Kante von al-Hakams Diwan.
»Hier«, antwortete der junge Mann und zeigte auf die Gegend zwischen Zwerchfell und Oberbauch. »Es ist, als würde ich in zwei Teile geschnitten.«
Da'ud legte eine Hand auf den Bauch des Patienten. Er war so straff gespannt wie eine Trommel.
»Habt Ihr schon einmal solche Schmerzen gehabt?«
»Ja, aber sie waren nie so schlimm wie jetzt, und sie hören normalerweise auf, wenn ich mich der Blähungen entledigt habe.«
»Wann genau sind diese Schmerzen aufgetreten?«
»Sie kommen und gehen schon viele Jahre, eigentlich seit meiner Jugendzeit.«
»Waren sie mit einer bestimmten Speise oder einem Getränk verbunden?«
»Nicht daß ich mich besinnen könnte.«
»Sorgen? Ängste? Anspannung?«
Al-Hakam warf seinem Vater einen raschen Blick zu, der jedes Wort der Unterhaltung verfolgte. Da'ud begriff schnell und wartete die Antwort gar nicht erst ab. Sanft drückte er al-Hakams Bauch und meinte: »Ihr hattet einige Tage keinen Stuhlgang.«