»Freude ist wohl ein zu starkes Wort. Zufriedenheit vielleicht. Oder vielmehr könnt Ihr mir wünschen, daß ich Vater eines Sohnes werde.«
In jener Nacht und jede Nacht in den drei Monaten nach seiner Heirat mit Djamila teilte Da'ud mit ihr das Beilager. Da sie von Natur aus überschwenglich und völlig ungehemmt war, bereiteten ihr die unzähligen Varianten des Liebesspiels, in die er sie einweihte, ungeahntes Vergnügen. Für ihn als Arzt barg der weibliche Körper kein Geheimnis. Als ihre Blutung jedoch bereits den dritten Monat in Folge ausgeblieben war, klang seine Leidenschaft ab. In gleichem Maße wuchs umgekehrt seine Sorge um ihren Zustand. Mit penibler Sorgfalt überwachte er ihren Tagesplan und ihren Gesundheitszustand, eine Fürsorge, die sie als übertrieben empfand. »Schwangerschaft und Geburt sind einfache, natürliche Dinge«, lachte sie ihn mit ihrem gesunden Bauernverstand oft aus, dennoch nahm sie seine Aufmerksamkeiten mit Demut entgegen. Er bestand sogar darauf, daß sie ihre Besuche bei den Kleinen in der Talmud- und Thoraschule, die sie seit ihrer Eheschließung so vermißten, einschränkte. »… um einen Unfall zu vermeiden – einen Fall, einen Stoß, Überanstrengung, wenn du mit den Kindern herumtollst. Schon bald wirst du ein eigenes Kind haben, um das du dich kümmern kannst«, fügte er dann in dem Versuch hinzu, sie bei Laune zu halten.
Djamila war ein Leben im Freien gewohnt. Sie hielt sich nur ungern längere Zeit in dem eingeschränkten Bezirk des Hauses auf, wie Sari das gerne tat. Djamila gewöhnte es sich also an, die Damen der feinen Familien der Gemeinde zu besuchen, die alle so begierig darauf waren, ihre Bekanntschaft zu machen, wie sie, die ihre zu pflegen. Die drei Schwestern Bar Simha, die längst mit wohlhabenden Händlern vermählt und Mütter zahlreicher Nachkommen waren, trugen ihr besonders drängende Freundschaftsangebote an und verbargen ihre Neugier über die zweite Ehefrau des Mannes, der sie so hochmütig abgelehnt hatte, hinter einem überschwenglichen Lächeln. Da'ud runzelte die Stirn über diese neue Vertrautheit, denn die Familientradition verlangte, stets einen gesunden Abstand zu jenen zu wahren, die vorgaben, vertraute Freunde werden zu wollen. Aber er brachte die Sache nicht zur Sprache. Jetzt war nicht die Zeit, Djamila zu verärgern oder zu reizen. Sari war seine Verstimmung aufgefallen, und sie versuchte ihn zu besänftigen. »Wenn das Kind erst einmal geboren ist, hat sie nicht mehr viel Zeit für solche Sachen«, sagte sie und legte ihm beschwichtigend die Hand auf den Arm.
Als Djamila immer runder wurde, steigerte sich Da'uds Angst und Aufregung noch. Er zog sogar die Sterne zu Rate – ein Brauch, den er sonst mit äußerstem Mißtrauen beäugt hätte –, um sich zu versichern, daß die himmlischen Gestirne in einer günstigen Lage stehen würden, wenn das Kind geboren werden sollte.
Eines Abends war er gerade damit beschäftigt, die Sterne zu befragen, als ihn ein Diener aus seinem Elternhaus holen kam. Voller unguter Vorahnungen eilte er zum Bett seines Vaters. Der war so in sich zusammengesunken, daß man seine Gestalt unter den vielen Decken kaum noch ausmachen konnte, die seine Mutter auf das Bett gebreitet hatte, um ihn zu wärmen. Sein Gesicht war eingefallen, die straff über die hervorstechenden Knochen gespannte Haut so grau, daß sie den nahen Tod ahnen ließ, der Atem schwach wie der letzte Abendhauch. Als er spürte, daß Da'ud in der Nähe war, winkte er ihn mit knochigem Finger zu sich herunter. »Mögest du mit einem starken und gesunden Sohn gesegnet werden«, flüsterte er mit dem letzten Atemzug, der ihm noch vergönnt war. Dann wandte er sein Haupt und fand für immer seinen Frieden.
Trotz der langen Monate, in denen Da'ud sich auf das Sterben seines Vaters vorbereitet hatte, traf ihn die Endgültigkeit des Todes nun mit einer Gewalt, die all sein ärztliches Wissen und seine Erfahrung nicht mildern konnten. Warum hatte man noch keine Heilung für die Leiden der Menschen gefunden? Warum war der Tod ein unabwendbares Schicksal, das Gott und die Natur verhängt hatten? Diese ewigen Fragen wirbelten ihm durch den Kopf, unbeantwortet wie je. Wochenlang peinigte ihn dieser Schmerz und lehnte er sich gegen das Schicksal auf. Allein Sari schien ihm Trost spenden zu können.
»Das Kind wird kommen und die Leere füllen, die Ya'kub in unser aller Herzen hinterlassen hat«, wiederholte sie immer wieder. »Denk an das Kind, denk an die Zukunft, an das neue Leben, das du gezeugt hast, zur Fortsetzung des alten.«
Sie unterstützte ihn stetig und beständig. Obwohl sie sich nie daran gewöhnt hatte, ohne ihn an ihrer Seite zu schlafen, bereitete ihr das Wissen Trost, daß seine Nächte zwar Djamila gehörten, doch sein Leben, seine innersten Gedanken und Gefühle immer nur ihr, wie eh und je.
Die Wochen bis zur Geburt zogen langsam dahin. Hinter Da'uds äußerer Ruhe verbrachen sich Angst und Anspannung, Djamila sehnte voller Ungeduld die Entbindung herbei, und Sari versuchte, den einen zu beruhigen und die andere aufzuheitern.
Und dann klang in den frühen Morgenstunden eines eiskalten Wintertages der Schrei eines neugeborenen Kindes durch Da'uds Haus, ein Ruf zum Leben. Es war ein starker und gesunder Schrei, eine Antwort auf Ya'kubs letzten Wunsch. Aber er kam von Djamilas Tochter, nicht von Da'uds langersehntem Sohn.
Da'ud erblaßte, seine Schultern sanken herab, und seine Lippen bebten vor eiskalter Wut, als die Hebamme ihm ängstlich die Nachricht brachte. Abrupt wandte er sich um und wollte schon das Haus verlassen, doch Sari hielt ihn mit fester Hand zurück.
»Die Geburt war leicht, das Kind ist gesund, und Djamila geht es einigermaßen gut. Viele Söhne werden folgen. Komm, nimm das kleine Wesen in den Arm«, drängte sie ihn und forderte die Hebamme mit einer Handbewegung auf, ihm den Säugling zu reichen.
»Viele Söhne werden folgen?« fragte Da'ud dumpf, während er, peinlich berührt, auf das rötliche, verschrumpelte Wesen in seinem Arm schaute.
»Laß mich sie auch einen Augenblick halten«, sagte Sari. Ungläubig, seine alte schmerzliche Liebe zu ihr noch wie einen Dorn im Herzen, beobachtete Da'ud sie, wie sie ihm das kleine Bündel abnahm und es an sich schmiegte.
»Was für ein winziges, wunderbares Etwas!« flüsterte sie, und Tränen glitzerten ihr in den Augen. »Das Wunder des Lebens, das wir nähren und lieben und zu einem vollkommenen Menschenwesen machen müssen.«
Eine warme Welle stieg aus einer geheimnisvollen urzeitlichen Quelle im Innersten ihres Wesens in ihr empor, versetzte ihre Sinne in einen so mächtigen Aufruhr, daß sie beinahe das Bewußtsein verlor. Tiefe Röte überzog ihre blassen Wangen, während sie leise murmelte: »Liebster Da'ud, ich glaube, du hast mich endlich verstehen lassen, was die Bedeutung von Leben und Liebe ist.«
Als sie die Augen zu ihm hob, war das tiefe Blau von einem Licht der Liebe erhellt, das er nicht mehr in ihnen zu sehen gehofft hätte. »Ja. Viele Söhne werden folgen«, wiederholte er und nahm ihr Gesicht zärtlich in beide Hände. »Aber du wirst sie mir schenken.«
»Ja, o ja, mein Liebster, gerne werde ich sie dir schenken.«
Da'ud rief die Hebamme zu sich und gab ihr das Kind zurück. »Bring sie zu ihrer Mutter«, befahl er.
Dann lagen er und Sari zusammen. Ihre Vereinigung war voller Ekstase, von einer ungeheuerlichen, kosmischen Gewalt. Es war eine vollkommene Verschmelzung des leidenschaftlichen Lebensdrangs, der so lange in Sari verborgen geschlummert hatte, mit dem Strom von Da'uds Liebe, der so lange in seiner Seele gefangen gewesen war. Nie hätten sie gedacht, ein solches Glück erleben zu dürfen, so groß, so allumfassend, daß sie nicht voneinander lassen konnten. Erst am hellen Tag kamen sie wieder zum Vorschein, strahlend vor Glück, das um so größer war, da sie so lange darauf gewartet hatten.