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Von nun an bewegten sich Da'ud und Sari wie außerhalb der Welt. Vom Sturm der Leidenschaft mitgerissen, der kein Ende zu nehmen schien, wurden sie vom Wunder ihrer vollkommenen Vereinigung von Leib und Seele zu unvorstellbaren Höhen getragen. Sie lebten wie verzaubert, auf einer Wolke aus Liebe und Leidenschaft, aus Zärtlichkeit und Ekstase, und ihr Glück strahlte Freude auf alle Menschen in ihrer Umgebung aus.

Außer auf Djamila. Sie wurde nicht mehr bemerkt, ihr Bett war leer und verlassen, das knospende Leben ihrer Tochter wurde nicht beachtet. Sie kämpfte tapfer, um ihren Stolz und ihre Selbstachtung nicht zu verlieren. Sie hatte ihrem Mann keine Vorwürfe zu machen. Er hatte sie gleich zu Anfang gewarnt, daß er nur Sari liebte. Hätte sie ihm einen Sohn geboren, so hätte er sich gewiß anders verhalten, wenn schon nicht zu ihr, so doch dem Neugeborenen gegenüber. Sie hatte für ihn gleichsam zu existieren aufgehört. Nur das Mädchen Amira war ein Beweis dafür, daß sie einmal vereint gewesen waren.

TEIL II. 

Da'ud und Hai

18

Es war das einzige Mal in seinem Leben, daß Da'ud ibn Yatom die Mauer der Diskretion durchbrach, mit der er sonst eifersüchtig das Privatleben seiner Familie hütete. An dem Tag, den man für die Beschneidung seines erstgeborenen Sohnes Hai bestimmt hatte, standen die Türen seinen Hauses allen weit offen, die kommen und seine Freude mit ihm teilen wollten.

Erst wenige Wochen vor der Geburt des Kindes hatte man letzte Hand an das neue Haus angelegt, das Da'ud für seine wachsende Familie hatte errichten lassen. Von der Tür zur Straße hin führte ein schmaler Flur in einen großen Innenhof, um den die drei Flügel des Anwesens gruppiert waren. Der mittlere war ausschließlich Da'ud vorbehalten. Hier würde er arbeiten und seine wenigen Besucher empfangen. Die seitlichen Flügel waren für die beiden Frauen und ihre Kinder vorgesehen, eine Trennung, die jetzt und in Zukunft dem Haushalt Frieden und Ruhe sichern sollte. In emsiger Geschäftigkeit waren die griechischen Mosaikkünstler und Marmorbearbeiter, die arabischen Wasserexperten und Meister des Kachelverlegens, die berberischen Maler, die persischen Teppichverkäufer und die Seidenhändler aus Córdoba ein und aus gegangen, stets dienstbeflissen und eifrig, hatten sich in ihrer Hast beinahe überschlagen, um das Werk zum verabredeten Zeitpunkt zu vollenden.

Wenige Augenblicke, bevor die Gäste kommen sollten, nahm Da'ud Sari bei der Hand und ging mit ihr zum fernen Ende des wunderbar harmonisch gestalteten Wassergartens, der mit seinen schönen Schwüngen den Mittelpunkt des Innenhofes bildete. Dort, in der lauschigen Stille ihres Glücks, blieben sie einen Augenblick stehen, um den schmalen Wasserlauf zu betrachten, der geschützt zwischen zwei Reihen dichter, dunkler Zypressen lag. Feine Wasserschleier stiegen aus einer im Laub verborgenen Quelle auf, schwebten durch die Lüfte, ehe sie wieder ins ruhige Wasser zurücksanken. Die schlanke, nach oben schmaler werdende Silhouette der Bäume, die aufrecht, reglos und stumm wie Wachtposten dastanden, fand ihren Widerhall in einem einzigen fedrigen Zypressenschößling, der in eine Marmoreinfassung mitten im Wasserlauf gepflanzt war. Dorthin lenkte Da'ud seinen Blick.

»Ich habe dieses zerbrechliche, zarte Ding heute im Morgengrauen gepflanzt, damit es mit Hai zusammen aufwachse. Solange er noch klein ist, wollen wir seine Körpergröße daran messen, und wenn er herangewachsen ist, wollen wir beobachten, wie der Baum an Kraft und Größe gewinnt und wie unser Sohn zu den Höhen großer Errungenschaften, zu Würde und Stolz aufsteigt. Dies hier«, fuhr er fort und wandte sich seiner Frau zu, während er aus dem Ärmel seines Festgewandes einen kleinen Samtbeutel hervorzog, »dies hier ist für dich.« Er hob zärtlich ihre Hand und ließ eine goldene Kette hineingleiten, an der, aus Smaragden in goldener Fassung, ein Ebenbild des kleinen Schößlings hing.

»Wie ähnlich dir das sieht«, lächelte ihn Sari sanft an, »immer ein elegant gedrechselter Satz, eine kunstvolle höfische Geste.«

»Weder Worte noch Gesten reichen aus, um dir meine unendliche Freude mitzuteilen. Wie viele Menschen genießen zu Lebzeiten das Glück – was sie auch immer dafür bezahlen –, all ihre ehrgeizigen Wünsche erfüllt zu sehen?«

»Ein ernüchternder Gedanke, der uns mit Bescheidenheit erfüllen sollte«, murmelte Sari, als sie in Gedanken zu den ersten Erinnerungen ihres Lebens zurückkehrte, zu der primitiven Gewalt, den niedrigen Instinkten, der Furcht und dem Schrecken, dem Schmerz, der Häßlichkeit, dem Elend, der Einsamkeit – den einzigen Weggefährten ihrer unglückseligen Kinderzeit. Sie konnte nicht wie Da'ud sagen, daß alle ehrgeizigen Wünsche ihres Lebens erfüllt waren. Ehe er sie gerettet hatte, war ihr gar nicht bewußt gewesen, daß das Leben überhaupt irgend etwas Erstrebenswertes bieten konnte. Ihr einziger glühender Wunsch war allein die Flucht gewesen, obwohl sie nicht wußte, wohin sie fliehen sollte. Wären da nicht der radanitische Kaufmann und dann Da'ud selbst gewesen, sie hätte vielleicht nie erfahren, daß das Leben auch etwas anderes sein konnte als die Schrecken, die sie durchlitten hatte. Mehr noch, daß die Liebe, ein Gefühl, das sie weder empfangen noch gegeben hatte, tierische Lust zu höchster menschlicher Ekstase wandeln konnte.

Oh, welche Ekstase! Wie leicht und zart er sie berührt hatte, wie zärtlich er sie liebkost, mit seinen Händen das leiseste Beben der in ihr erwachenden Lust erspürt hatte. Mit diesen sicheren, liebenden Händen, die sie langsam auf den Pfaden ihres Verlangens emporführten, bis sie aus eigener Kraft mit ihm zu den schwindelerregenden Gipfeln der Leidenschaft aufstieg. In den Monaten nach der Geburt Amiras hatten sie sich ihrer Liebe hingegeben. Ihre Sinne, ihre Körper, ihrer beider Wesen verschmolzen zu einem einzigen lebendigen Ganzen, in das sich beide versenkten, einer vom anderen durchdrungen. Und wenn sie getrennt waren, sehnte sich einer nach der Berührung, nach dem Anblick des anderen, harrte ungeduldig auf das nächste Verschmelzen. Wie groß war die Gefahr gewesen, daß sie ihr Leben in Unkenntnis dieses höchsten Geschenks verbracht hätte, der vollkommenen Liebe eines Menschenwesens zu einem anderen, und der Wonne ihrer Erfüllung in der Erschaffung eines neuen Menschen – einer gottähnlichen Handlung. Wie vielen anderen, die wie sie in ein elendes Leben hineingeboren waren, war es denn vergönnt, eine so wundersame Wandlung ihres Geschicks zu erfahren? Dieses Wissen um die Unwägbarkeiten des menschlichen Schicksals – warum ausgerechnet sie, warum nicht eine andere? – zwang sie zur Bescheidenheit.

Wenn sie jetzt ihren Ehemann betrachtete, durchströmte sie ein überwältigendes Gefühl der Freiheit. Nun empfand sie nicht mehr die Schuld, ihm Enttäuschung und Unglück gebracht zu haben. Jetzt, da sie ihm freizügig gewährt hatte, was er geduldig erwartete, wonach er sich so schmerzlich verzehrte, was er aber nie erzwungen hatte, jetzt, da sie so viel gegeben wie gewonnen hatte, fühlte sie sich ihm ebenbürtig in der Partnerschaft ihrer Liebe, frei und gleich, so daß sie ihm ihre innersten Gedanken enthüllen konnte.

»Warum warst du während meiner Schwangerschaft so ruhig, so beinahe unnatürlich gelassen, und als Djamila ihr Kind Amira erwartete, so übermäßig besorgt?«

»Diese Frage habe ich mir in all den Monaten immer wieder selbst gestellt«, erwiderte Da'ud. »Ich hätte eigentlich ebenso von Ängsten geplagt werden müssen, nicht nur, weil sich vielleicht während deiner Schwangerschaft oder bei der Geburt ein nicht wiedergutzumachender Schaden, den man dir in deiner Kindheit zugefügt hatte, furchtbar hätte auswirken können. Der bloße Gedanke, dich im Kindbett zu verlieren, hätte mich Tag und Nacht verfolgen müssen. Aber es war nicht so. Von dem Augenblick an, als du dich mir so großzügig, so vollkommen geschenkt hast, mit grenzenloser Liebe und schrankenlosem Vertrauen, da wußte ich in meinem Innersten, daß unsere Vereinigung vom Himmel gesegnet war. So wie ich beim erstenmal, als dich meine Augen erblickten, wußte, daß ich mein ganzes Leben lang dich und nur dich lieben würde, so hatte nun die unerschütterliche Überzeugung von mir Besitz ergriffen, daß Hai dazu bestimmt war, gesund und sicher in diese Welt zu kommen, das lebendige Symbol unserer Vereinigung, das Zeugnis unserer Liebe, bestimmt dazu, sie fortzusetzen.«