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»Dann mußt du jenseits der Stadtgrenzen suchen. Wir haben in unseren Akademien von Lucena viele begabte Studenten«, erwiderte Rabbi Samuel nachdenklich und strich sich über die feinen Strähnen seines dünnen weißen Barts. »Der junge Mann, der mich begleitet hat, könnte eine solche Aufgabe hervorragend erfüllen. Er ist ein wenig schüchtern und genau wie du hochintelligent, zugleich diskret. Da er aus einer bescheidenen Bauernfamilie stammt, würde er sich über die Bezahlung freuen und dir sicher gern dienen. Vielleicht möchtest du mit ihm reden, ehe wir uns auf den Heimweg machen? Er wartet draußen.«

Da'ud nickte zustimmend und befahl einem Diener, den jungen Mann hereinzubitten. In dem Augenblick, als er den Raum betrat, flackerte in Da'uds ruhigen Augen verblüffte Erinnerung auf. Dieser Mann hatte am Vortag die von Djamila provozierte Störung bei der Beschneidungszeremonie auf so elegante Weise überspielt. Auch heute nahm Da'ud keinen Bezug auf den Zwischenfall. Noch würde er jemals mit dem leisesten Hinweis andeuten, daß er ihn bemerkt hatte.

Rabbi Samuels Beschreibung des Menahem ben Saruq war zutreffend, wenn auch oberflächlich gewesen – mit Absicht? fragte sich Da'ud. Er fand die unterwürfige Bescheidenheit des jungen Mannes ein wenig unangenehm, trotz der offensichtlichen Vorteile, die eine solche Eigenschaft bei einem Untergebenen hatte. Aus Respekt vor der Empfehlung seines Mentors erkundigte sich Da'ud bei dem jungen Mann trotzdem nach seinen Studien und Hoffnungen für die Zukunft. Nach langem bohrendem Befragen brachte er ihn endlich dazu, von dem Vorhaben zu sprechen, das er schon eine ganze Zeit plante.

Menahem klemmte die Hände fest zwischen die Knie und richtete die seelenvollen Augen auf seine weißen Fingerknöchel, ehe er begann: »Es ist mein sehnlichster Wunsch, ein biblisches Lexikon in hebräischer Sprache zu verfassen, das die Reinheit und Eleganz unserer uralten Sprache aufzeigt.«

»Auf Hebräisch?« fragte Da'ud überrascht. »Warum nicht in arabischer Sprache, wie sie Eure glänzenden Vorgänger in Babylonien benutzt haben? Arabisch ist schließlich auch die Umgangssprache in den Gemeinden Andalusiens und dient in zunehmendem Maße selbst unseren besten Dichtern als Vorbild, ob sie nun in hebräischer oder arabischer Sprache schreiben.«

Menahem errötete vor Verlegenheit, aber er war schon zu weit gegangen, um noch Ausflüchte zu machen. Er verlagerte auf dem niedrigen Diwan sein Gewicht und rieb einen Augenblick die Hände gegeneinander, während er über eine Antwort nachdachte. »Ist es denn nicht die tiefste Sehnsucht eines jeden gläubigen Juden, unser altes biblisches Erbe zu bewahren, unser einziges und einzigartiges literarisches Vorbild?«

»Ich bin mir dessen nicht völlig sicher«, antwortete Da'ud kühl, verärgert, weil dieser angeblich so sanfte junge Mann dem Wunsch Ausdruck gab, sich gegen den wachsenden Einfluß arabischer literarischer Formen auf die jüdischen Literaten Spaniens zu stemmen, auf Männer, die den Geist und die Schriften ihrer Zeit und ihrer Umgebung gründlich in sich aufgenommen hatten. »Euer Bemühen ist zwar löblich, doch bezweifle ich, daß Ihr Erfolg haben werdet, wenn Ihr unsere Dichter zu überreden versucht, ihre überaus kunstreiche Verwendung der glänzendsten Ausdrücke literarischer Kultur aufzugeben, wie sie im heutigen al-Andalus blüht und gedeiht. Ihr tätet gut daran, Eure Energie und Eure Gelehrsamkeit anderswo einzusetzen«, schloß er.

»Genau dieses ›anderswo‹ ist es doch, wo ein hebräisches Lexikon von unschätzbarem Wert wäre«, mischte sich Rabbi Samuel ein und warf das ganze Gewicht seiner Autorität zu Gunsten seines jungen Schülers in die Waagschale. »Unser Volk lebt in alle Winde zerstreut, unsere Sprache ist eine der wenigen Verbindungen, die uns noch eint. Wenn zum erstenmal in unserer Geschichte ein biblisches Wörterbuch in hebräischer Sprache verfaßt werden sollte, dann wäre es allen Gemeinden in der Diaspora zugänglich und würde für sie alle einen gemeinsamen Maßstab in der Reinheit und Eleganz der Sprache setzen. Sicherlich braucht doch auch unsere geheiligte Sprache in gleichem Maße die Pflege, den Schliff und die Verfeinerung, die die Araber der ihren zukommen lassen?« Rabbi Samuel lehnte sich vor und argumentierte eindringlich – und mit genauer Kenntnis seines Gesprächspartners. »Wenn du die Schirmherrschaft über einen derart wichtigen Meilenstein im Studium der hebräischen Linguistik übernehmen würdest, so würde dein Ruhm in der gesamten jüdischen Welt ins Unermeßliche steigen, dein Name für alle Zeiten von all jenen bewundert werden, die unser jüdisches Erbe ehren und bewahren.«

Trotz seiner spontanen Abneigung gegen den jungen Gelehrten, dessen Bescheidenheit eindeutig eher vorgetäuscht als echt war, konnte sich Da'ud bei all seiner Macht und Größe der Autorität seines Mentors nicht widersetzen. Außerdem gefiel ihm Menahems Projekt eigentlich. Dessen Durchführung unter seiner Ägide würde dem Namen Da'ud ben Ya'kub ibn Yatom einen unvergänglichen Platz in den Annalen des jüdischen Volkes sichern. Diese Aussicht ließ ihn – genausowenig wie jeden anderen Menschen – nicht völlig unberührt.

So kam es, daß eine Woche später Menahem ben Saruq seine Arbeit als Da'uds Assistent für jüdische Angelegenheiten aufnahm. Jeden Donnerstag kam er ins Haus, wo man ein kleines Zimmer neben Da'uds Arbeitszimmer für ihn eingerichtet hatte. Dort bereitete er sich auf das wöchentliche Treffen mit seinem Gönner vor, das im allgemeinen am Freitag, dem Ruhetag der Moslems, stattfand. Den Rest seiner Zeit verbrachte Menahem in dem geräumigen Zimmer, das er sich bei der Witwe Tamara gemietet hatte. Sie war eine entfernte Verwandte der Familie Bar Simha und nur zu froh, einen anderen Menschen in ihrem riesigen, leeren Haus zu haben. Außerdem konnte sie es sich, auch wenn es nach außen hin anders schien, nicht leisten, auf diese Ergänzung ihres mageren Einkommens zu verzichten.

So unsympathisch ihm sein hebräischer Sekretär mit den eckigen Bewegungen, den knochigen Händen und dem ständig vorwurfsvoll traurigen Gesichtsausdruck auch war, so sehr sah sich Da'ud doch schon nach kurzer Zeit gezwungen, zuzugeben, daß Rabbi Samuels dringende Empfehlung berechtigt gewesen war. Menahem führte den umfangreichen Briefwechsel mit den jüdischen Gemeinden von al-Andalus und anderen Teilen des Omaijadenreichs, schrieb Briefe von makelloser Eleganz, traf stets unfehlbar genau den richtigen Ton. Wenn man ihn in strittigen Fragen um seine Meinung bat, antwortete er mit Bescheidenheit, Ausgewogenheit und kristallklarer Logik.

Mehr noch, als er erfuhr, daß Da'ud für die Anschaffung von Manuskripten für die Bibliothek des Kalifen verantwortlich war, schlug er vor, eine ähnliche Sammlung jüdischer Werke zusammenzutragen, wie sie in den großen Talmudzentren Babyloniens zahlreich zu finden waren. Ein solches Vorhaben würde der jüdischen Gemeinde von Córdoba zu höchster Ehre gereichen, brachte er vor. Er, Menahem, würde die alleinige Verantwortung für dieses Projekt übernehmen, wenn Da'ud es genehmigen und die notwendigen Geldmittel zur Verfügung stellen würde. Obwohl Da'ud über die Initiative seines Sekretärs entzückt war, reagierte er auf den Vorschlag sehr kühl und ließ einige Zeit verstreichen, ehe er seinen Segen dazu gab. Menahem mußte unbedingt in seine Schranken verwiesen werden. Wenn Da'ud die Zügel schleifen ließ, könnte er gefährlich werden … Die Gelder kamen aus Da'uds Privatvermögen. Er wollte sich mit keinem anderen Menschen die Ehre teilen, der Mäzen eines so ehrenvollen Unternehmens zu sein.

Während der wenigen Stunden, die sie jede Woche miteinander verbrachten, nahm keiner der beiden Männer je wieder Bezug auf die strittige Frage, die zwischen ihnen im Raum stand – Menahems Bestreben, sich dem wachsenden Einfluß arabischer literarischer Formen auf die hebräische Sprache zu widersetzen. So gelang es ihnen, in kühler, unpersönlicher Harmonie miteinander zu arbeiten.