Выбрать главу

Djamila machte einen Vorschlag, der nur ihrem kühnen, freien Geist entspringen konnte. »Warum richtet ihr mit dem Geld nicht eine Talmud- und Thoraschule für Mädchen ein?«

Schallendes Gelächter ließ die Busen der drei Schwestern Bar Simha erbeben.

»Sei doch einmal ernst«, ermahnte sie Sitbora. »Wir suchen nach einem Vorschlag, den wir unseren Männern unterbreiten können. Sie sind ohnehin nicht sonderlich versessen darauf, sich mit dieser Angelegenheit zu befassen, denn in solchen Fällen wird normalerweise der Vorsteher der Gemeinde beauftragt, die Gelder nach seinem Gutdünken zu vergeben.«

»Aber ich meine es doch ernst«, protestierte Djamila. »Warum sollte unseren Töchtern die Bildung vorenthalten werden, auf der wir bei unseren Söhnen so rigoros bestehen?«

»Da ist etwas daran«, nickte Dona nachdenklich, während sie sich die Sache noch einmal durch den Kopf gehen ließ.

»Ja, ich glaube, du hast recht«, pflichtete ihr Palomba erwartungsgemäß bei.

Sitbora jedoch überstimmte sie beide. »Allein der Gedanke ist unvorstellbar«, konstatierte sie mit Entschiedenheit. »Die Männer würden so etwas niemals zulassen, und ohne sie können wir nichts machen.«

»Unsinn!« schimpfte Djamila. »Ihr braucht nur ein Schulzimmer und Bücher. Eine Lehrerin habt ihr schon.«

Drei Paar Rehaugen wandten sich voller Erstaunen auf sie. »Du?«

»Wer sonst?«

»Du, ein Mitglied des großen Hauses Ibn Yatom? Dein Mann würde beim bloßen Gedanken heftig widersprechen! Nein«, erklärte Sitbora, »ich bin nicht bereit, derlei umstürzlerische Gedanken zu unterstützen. Meine Ruhe ist mir lieber. Außerdem, wozu brauchen unsere Töchter Bildung, wenn sie doch ihr Leben ihrem Ehemann, ihren Kindern und ihrem Haushalt widmen werden?«

Nach reiflichem Überlegen schloß sich Dona ihrer Meinung an, und Palomba als folgsames Lamm ebenfalls.

»Was wir uns vorstellen könnten«, meinte Dona dann milde, »wäre der Anbau eines neuen Flügels an das Waisenhaus für Mädchen.«

»Das ist eine wunderbare Idee!« strahlte Palomba über ihr ganzes rundes Gesicht und zeigte ihre Grübchen.

»Aber nur, wenn der Plan voll und ganz von Da'ud ibn Yatom unterstützt wird«, warnte Sitbora, »denn wenn ein Gebäude einmal errichtet ist, braucht es auch Wartung und Pflege, und für die muß die Gemeinde aufkommen. Ehrlich gesagt, ich kann mir nicht vorstellen, daß unsere drei Ehemänner sich damit einverstanden erklären würden, die herzlichen Beziehungen zu Djamilas Ehemann aufs Spiel zu setzen, indem sie einen eigenen Vorschlag unterbreiten. Nur wenn wir uns seines Wohlwollens sicher sind, haben wir überhaupt eine Chance, sie davon zu überzeugen.«

Wieder einmal richteten sich drei Augenpaare auf Djamila, diesmal erwartungsvoll. Denn obwohl die Schwestern wußten, daß sie in Da'uds Haushalt nur die zweite Stelle einnahm, hatten sie keine Vorstellung davon, wie sehr sich die beiden Ehepartner entfremdet hatten.

Die ins Abseits geratene Ehefrau des Da'ud ibn Yatom spürte, wie ihr die Knie weich wurden und die Übelkeit den Magen umdrehte. Niemals würde sie zugeben, auch nicht ihren besten Freundinnen gegenüber, in welch erniedrigende Position im Haushalt sie inzwischen verbannt worden war. Keine Menschenseele außerhalb der engsten Familie wußte, daß ihr Ehemann am Sabbattisch nur einen flüchtigen Gruß für sie hatte, kaum einen zerstreuten Kuß für seine Tochter Amira. Daß ihr Bett kalt war. Daß nur Hai ihren Ehemann auf seinen Spaziergängen begleitete, wenn er den Fortschritt beim Bau des Hospitals in Augenschein nahm. Daß Amira, wenn sie die beiden fortgehen sah, zu ihm lief und bettelte, auch mitgenommen zu werden, dann aber nur einen kleinen Klaps auf das Hinterteil bekam und zu ihrem Kindermädchen oder der Mutter zurückgeschickt wurde. Djamilas Stolz und gesellschaftliche Stellung ließen es nicht zu, daß sie diese Dinge irgend jemandem anvertraute. Niemals könnte sie zugeben, daß sie in den Augen ihres Ehemanns nicht mehr existierte und daher keine Macht besaß, ihn in irgendeiner Weise zu beeinflussen.

Und doch glimmte noch ein Funken Hoffnung in ihr, denn vielleicht würde er sich geschmeichelt fühlen, über ein so ehrenwertes Vorhaben die Schirmherrschaft zu übernehmen. Ein Vorhaben zur Erinnerung an Isaac bar Simha, das stimmte zwar, aber unter der erhabenen Schirmherrschaft von Da'ud ibn Yatom … Doch dieser Funke erlosch, kaum daß er aufgeflackert war. Wenn sie ihm einen solchen Vorschlag unterbreitete, er würde ihn zurückweisen, nur weil sie ihn gemacht hatte. Wie sollte sie dann ihren Freundinnen je wieder unter die Augen treten? Wie könnte sie eine so unerklärliche Weigerung begründen, ohne ihnen zu offenbaren, daß ihre Stimme im Hause ihres Ehemannes nichts mehr zählte? Sie mußte also einen anderen Weg finden, ihm die Anfrage nahezubringen, vielleicht durch einen neutralen Boten … Wenn sie sich nun an seinen Sekretär für Angelegenheiten der Gemeinde wandte, diesen unauffälligen, äußerst bescheidenen Menschen, der mit den grauen Wänden des Raumes zu verschmelzen schien, in dem er schweigend die Befehle seines Herrn ausführte …

»Ich werde mit Da'ud sprechen, sobald sich eine Gelegenheit ergibt, aber jetzt muß ich gehen«, erwiderte sie hastig auf die fragenden Blicke ihrer Freundinnen.

»So bald schon?«

Sie rief Amira zu sich und meinte leichthin: »Ich habe versprochen, mit Amira ihren Großvater zu besuchen, sobald das Wetter besser ist. Jetzt, da er nicht mehr in der Talmud- und Thoraschule unterrichtet, ist sie seine einzige Schülerin. Ihr könnt Euch gar nicht vorstellen, was für ein Vergnügen er daran hat, ihr das Lesen und Schreiben beizubringen«, erzählte sie lachend im Weggehen.

Djamila war zu unruhig und verwirrt, um gleich in die bedrückende Atmosphäre des Hauses Ibn Yatom zurückzukehren, und wanderte ziellos durch die Gassen und Sträßchen ihrer Wahlheimat. Ihre Nasenflügel bebten vom betäubenden Duft der frischen Gewürze, der vom Markt her wehte, vom Geruch des Pferdedungs, der aus den Ställen des Palastes drang, vom scharfen Gestank des Eselsurins, der in der Sonne trocknete – eine Mischung von Gerüchen, die sie an ihre sorglosen Kindertage erinnerte, an ein Leben, nach dem sie sich immer mehr zurücksehnte. Würde die Ehre, die Tochter Da'uds zu sein, Amira in späteren Jahren dafür entschädigen, daß ihr die Vaterliebe gefehlt hatte? Das fragte sie sich zum tausendsten Male.

»Mami, warum konnten wir nicht am Fluß bleiben, statt durch diese stinkenden Gassen zu spazieren?« beschwerte sich Amira. »Ich will nach Hause. Ich bin müde.«

»Quengle nicht«, antwortete Djamila barsch.

»Aber mir ist schlecht«, jammerte das Kind. »Ich will wieder zum Fluß und für Sari Blumen pflücken. Warum können wir da nicht hingehen?«

»Weil ich es sage.«

»Du bist wie Vater«, murmelte das Kind und senkte den Kopf, während seine Lippen bebten und ihm Tränen über die Wangen rollten. Djamilas Herz krampfte sich vor Reue zusammen. Sie nahm ihre Tochter auf den Arm und drückte sie an sich. Zum Teufel mit den Bar Simhas, murmelte sie vor sich hin. Sie würde mit Menahem sprechen, gleich morgen, am Donnerstag, und die Sache hinter sich bringen. Zur Entschädigung kaufte sie Amira auf dem Markt die schillernden Glasmurmeln, die sie sich schon so lange wünschte. Trotz all ihres angeborenen Selbstbewußtseins war Djamila beklommen zumute, als sie am nächsten Morgen den mittleren Flügel des Hauses betrat. Sie drang selten in Da'uds Bereich vor, hatte sich in der einschüchternden Strenge dieser Räume nie wohl gefühlt. Jetzt erhöhten die dunklen Holzpaneele, die an den Wänden aufgehängten hebräischen Texte in mattroter Kalligraphie, die dicken weinroten Teppiche, die ihre Schritte dämpften, nur noch ihre Unsicherheit. Die Tür zu Menahems Zimmer stand ein wenig offen. Sie klopfte leise an und betrat den düsteren Raum, ohne eine Aufforderung abzuwarten. Menahem hob den Blick von seinen Urkunden und schaute sie mit unverhohlenem Erstaunen an.