»Guten Morgen. Kann ich etwas für Euch tun?« fragte er höflich.
»Ich denke schon«, antwortete Djamila mit strahlendem, selbstbewußtem Lächeln. »Es geht um die wohltätige Schenkung, die Isaac bar Simha hinterlassen hat.«
»Eine nicht näher bezeichnete Spende, nicht wahr?«
»Ihr seid sehr gut informiert.«
»Das ist meine Aufgabe.«
»Natürlich. Genau deshalb bin ich hier, weil der Zweck der Spende nicht näher bestimmt wurde. Isaac bar Simhas drei Töchter möchten die Mittel im Andenken an ihren Vater für den Anbau eines neuen Flügels an das Waisenhaus für jüdische Mädchen verwenden, und sie bitten um die Zustimmung meines Mannes für dieses höchst lobenswerte Vorhaben.«
»Aus meiner bescheidenen Kenntnis der Gemeindeangelegenheiten«, antwortete Menahem vorsichtig, »ist mir bekannt, daß allein der Vorsteher der Gemeinde den Nutznießer einer nicht näher bezeichneten Schenkung bestimmt.«
»Ich weiß. Deswegen möchte ich Euch bitten, die Sache so vorzutragen, daß die Wünsche der Schwestern meinem Ehemann bekannt werden und er sie wohlwollend in Erwägung zieht.«
»Warum ich? Warum legen ihre Ehemänner nicht selbst einen offiziellen Antrag dieser Art vor?« fragte Menahem, der inzwischen vorsichtig geworden war.
»Angesichts der langjährigen Freundschaft zwischen den Familien Bar Simha und Ibn Yatom schien es mir einfacher, die Angelegenheit direkt zur Sprache zu bringen.«
»Warum wünscht Ihr dann meine Hilfe?«
»Derlei Dinge werden am besten von Mann zu Mann besprochen«, sagte Djamila leichthin.
»Eure Bitte ist so ungewöhnlich wie der Wunsch der Schwestern Bar Simha, den Nutznießer der Erbschaft ihres verstorbenen Vaters selbst zu bestimmen. Ich bin nur Angestellter und dem Willen meines Herrn in allen Dingen untergeordnet. Ich wiederhole noch einmal, daß es bei den Ehemännern liegt, einen förmlichen Antrag an Da'ud ibn Yatom zu stellen, und daß ich nicht befugt bin, diese Angelegenheit zur Sprache zu bringen. Wenn sie, wie ich vermute, nur ungern von der hergebrachten Tradition abweichen und nicht in die Vollmachten des Gemeindevorstehers eingreifen wollen, dann schlage ich vor, redet Ihr am besten selbst mit ihm.«
»Die Männer von Córdoba neigen nicht dazu, die Wünsche einer Frau in Betracht zu ziehen.«
»Ebensowenig, wie sie kaum unausgegorene Vorschläge von seiten ihrer Untergebenen erwägen«, konterte Menahem trocken und wandte sich wieder dem Studium der Papiere zu, die vor ihm lagen.
Da beugte sich Djamila vor, packte seine kantige Hand mit den wenig gepflegten Nägeln und legte sie mit der Handfläche nach unten neben ihre eigene bebende Hand.
»Seht nur!« rief sie. »Seht nur, wie sich Eure Hand und die meine ähneln! Beide sind sie groß und knochig, es sind muskulöse Hände, die auf dem Land hart gearbeitet, geschuftet und gepflügt haben, um den Lebensunterhalt zu verdienen. Wir sind beide Bauern, Wachs in den Händen der Prinzen. Wer und was hat aber jenen die Macht gegeben, uns so zu führen, als wären wir leblose Marionetten ohne eigenen Willen oder eigene Meinung? Was kann der Vorschlag der Schwestern schon schaden, daß Ihr Euch so fürchtet, ihn zu unterbreiten?«
»Es geht nicht um schaden oder nicht. Ich brauche schlicht und ergreifend die Schirmherrschaft Eures Gatten, um mein hebräisches Lexikon und die Grammatik fertigzuschreiben. Ich kann es mir nicht leisten, mir seinen Unmut zuzuziehen, indem ich mich gegen jegliche Tradition stelle.«
»Was Ihr doch für ein jämmerlicher Feigling seid!« beschimpfte ihn Djamila, und Tränen der Verzweiflung brannten ihr in den Augen.
Menahem hob den Kopf und schaute sie unverwandt an. »Zweifellos, so lange diese Einstellung meinen Zwecken nützt. Aber, von einem Bauern zum anderen gesprochen, sie währt vielleicht nicht ewig.«
»Was währt vielleicht nicht ewig?« schnitt Da'uds Stimme wie eine kalte Stahlklinge durch die Luft.
Menahem und Djamila erbleichten, bestürzt über die Anwesenheit ihres Herrn zu einer so ungewöhnlichen Stunde.
»Was währt vielleicht nicht ewig?« wiederholte er eisig.
In blinder Wut fuhr Djamila zu ihm herum. »Die Unterwerfung der Frauen unter ihre Männer«, schrie sie ihm ins Gesicht, und all ihr Zorn lag in diesen unerhörten Worten.
»Wirklich? Und das war das Thema deines Gespräches mit meinem Sekretär?« erkundigte sich Da'ud beiläufig, nahm ein Dokument von Menahems Tisch und überflog es.
»Keineswegs«, erwiderte Djamila und erstaunte Menahem mit der festen Entschlossenheit, die sie angesichts der furchterregenden Gelassenheit ihres Gatten an den Tag legte. »Ich habe mit ihm über eine besondere Bitte der Schwestern Bar Simha gesprochen, die möchten, daß die wohltätige Schenkung, die ihr verstorbener Vater hinterlassen hat, für den Bau eines neuen Flügels am Waisenhaus für Mädchen verwendet wird. Menahem meinte, es sei nicht üblich, daß Frauen in solchen Angelegenheiten ihre Wünsche äußerten, und als ich mein Mißfallen darüber bekundete, meinte er, die Situation würde vielleicht nicht ewig währen.«
»Du möchtest zweifellos, daß sie jetzt gleich beendet wird?« fragte Da'ud kalt.
Djamila galoppierte weiter wie ein durchgegangener Gaul, konnte die Kraft ihrer Auflehnung nicht mehr zügeln. »Ich glaube, wenn man Mädchen eine grundlegende Bildung angedeihen ließe, ähnlich wie den Jungen, dann wären sie besser in der Lage, die Wirklichkeit des Lebens jenseits der engen Grenzen ihrer Häuser zu begreifen und sich eine eigene Meinung zu bilden.«
»Und du hast es also übernommen, die ›Meinung‹ deiner engsten Freundinnen vorzutragen?«
»Es würde mich freuen, wenn ihre Wünsche, die an sich schon großen Wert haben, wohlwollend in Betracht gezogen würden.«
»Da du es bist, die in ihrem Namen gehandelt hat, wäre es der Ehre unseres Hauses abträglich, wenn ich so ungnädig wäre, diese Bitte zu verweigern«, erwiderte Da'ud ohne einen Augenblick des Zögerns und setzte sie damit völlig außer Gefecht. »Ihre Ehemänner müssen trotzdem einen förmlichen Antrag in ihrem Namen vorlegen. Aber laß alle Betroffenen wissen, daß dies unter keinen Umständen als Präzedenzfall gelten darf. Ich verbiete dir strengstens, je wieder eine solche Initiative zu ergreifen. Ich habe deine Freundschaft mit diesen Frauen wider besseres Wissen toleriert. Strapaziere meine Geduld nicht übermäßig.«
Damit drehte er sich auf dem Absatz um, rief Hai aus dem Garten zu sich, der dort mit Amira und ihren neuen Glasmurmeln spielte, und nahm ihn zu seinem Besuch auf der Baustelle für das Hospital mit.
Sari spielte mit Amira weiter, wo Hai aufgehört hatte …
Djamila wandte sich, strahlend vor Triumph, Menahem zu. »Seht Ihr, Unterwürfigkeit zahlt sich nicht immer aus.«
»Ich würde mich an Eurer Stelle nicht zu früh freuen«, antwortete er säuerlich. »Euer Gatte ist ein umsichtiger und entschlossener Mann. Nicht umsonst hat er all die Jahre hindurch seine privilegierte Position halten können. Ich habe oft beobachtet, daß er sich im einen Augenblick zurückzieht, um dann zu einem günstigeren Zeitpunkt nur um so weiter vorzupreschen. Ich sage dies nicht, um Euren Triumph zu schmälern, sondern um Euch vor Eurer eigenen Impulsivität zu warnen.« Er legte seine Papiere zur Seite und schaute sie unverwandt an. In seinen Augen war ein neues Licht aufgeflackert, in seiner Stimme lag eine Spur von Zärtlichkeit. »Ich danke Euch für Eure Geistesgegenwart, als Ihr mich in Schutz genommen habt. Ich bewundere Euren Mut, aber er kann nur etwas bewirken, wenn Ihr ihn auch zu zügeln vermögt.«
»Von einem Bauern zum anderen gesprochen, Ihr redet weise«, gab Djamila offen zu. »Euer Rat ist gut. Darf ich ihn mir auch in Zukunft einholen, sollte sich die Notwendigkeit ergeben?«
»Mit Vergnügen, aber auf diskretere Weise als gerade eben.«