Im Lesezimmer, wo er so viele ruhige Stunden im Gespräch mit seinem Herrscher verbracht hatte, dachte Da'ud bitter. Er liebte diesen Raum mit dem grauen Marmor und den Bogenfenstern hoch oben in den Wänden, die mit so feinem Maßwerk verziert waren, daß sie das Tageslicht ungehindert durchließen. Der Raum war nur spärlich möbliert, enthielt lediglich die zum Studium der Bücher absolut notwendigen Dinge – wunderbar geschnitzte Lesepulte mit damaszenischen Intarsien, Tische aus libanesischem Zedernholz, Diwane, bedeckt mit Berbertuchen in dunkeln Tönen und mit Dutzenden von Kissen in allen Formen, Größen und Farben. Vielleicht würde er nun zum letzten Mal über diese Schwelle treten …
Äußerlich ruhig, machte sich Da'ud auf eine Konfrontation mit seinem Herrscher gefaßt. Würde er Abu Bakr beim Kalifen vorfinden? Und wie war der Steuereintreiber die Sache angegangen? Beschuldigte er ihn direkt der Unterschlagung oder hatte er in Ermangelung handfester Beweise nur tückische Anspielungen und Andeutungen gemacht, die Da'ud nur noch schwerer zu widerlegen vermochte, da sie so vage waren? Da'ud holte tief Luft, als man die Türen des Lesezimmers vor ihm öffnete.
Völlig verdattert blickte er auf die Szene, die sich ihm bot. Das war es also! Al-Hakam II. al-Mustansir, der Herrscher der Gläubigen, lag mit geschlossenen Augen und schmerzverzerrtem Gesicht auf dem Diwan. Sofort bemerkte Da'ud unter den Gewändern den aufgeblähten Leib. Sollte doch jetzt Abi Bakr kommen und versuchen, ihn in Mißkredit zu bringen, dachte er mit süßen Rachegefühlen, während er das Buch, das er in der Hand hielt, auf einen Tisch aus Zedernholz legte und sich neben dem Kalifen auf den Diwan setzte. Während er mit der Hand leicht über den geblähten Leib strich, stöhnte der Kalif. »Nicht wieder einen Einlauf, bitte nicht. Ich kann den Aufruhr, den das in meinen Eingeweiden anrichtet, nicht mehr aushalten. Es muß eine andere Methode geben.«
»Entspannt Euch, o Herrscher der Gläubigen, entspannt Euch. Atmet tief ein und wendet Eure Gedanken Dingen zu, die Euch Vergnügen bereiten – einem exotischen Parfüm, der Schönheit einer soeben erblühten Rose, der üppigen Rundung einer jungfräulichen Brust, die Ihr mit der Hand umfaßt.«
Während er so sprach, massierte Da'ud sanft den Leib des Kalifen. Als sein Patient ein wenig beruhigt schien, erhob sich Da'ud und richtete einige schnelle Worte an den Eunuchen, der hinter der Tür bereit stand. Wenige Augenblicke später wurde ein warmer Umschlag gebracht. Da'ud legte ihn auf al-Hakams geblähten Bauch und massierte weiter, bis er merkte, daß sich die Spannung im Körper des Kalifen zu lösen begann und die Gase, die ihn aufblähten, sich grollend ihren Weg durch die Gedärme nach draußen bahnten.
»Es ist lange her, daß Ihr derlei Beschwerden hattet«, bemerkte er dann.
»Die Wesire plagen mich unentwegt, weigern sich, mich in Ruhe zu lassen, daß ich mich meinen Studien widmen kann«, beschwerte sich der Kalif weinerlich. »Als hätten sie nichts anderes zu tun, als meine Ohren mit schlauen Anspielungen und vagen Andeutungen zu belästigen, mich dazu anzustiften, selbst die treusten Untertanen zu verdächtigen.«
»Das ist ein Übel, dem alle Herrscher unweigerlich ausgesetzt sind«, antwortete Da'ud gelassen.
Die Blähungen vergingen nun rasch, und während al-Hakams Körper wieder seine normale Form annahm, verfolgte er seinen Gedankengang mit fester Stimme weiter.
»Stellt Euch vor, sie wollten sogar einen Mann von Eurer Statur und Eurer Unbescholtenheit verleumden, einen, der das Leben zweier Kalife in seinen treuen Händen gehalten hat. Ist ihre Boshaftigkeit, ist ihr Neid so mächtig, daß er sie für die Wirklichkeit blind macht?«
»Wir wollen eher sagen, daß sie versuchen, jede Situation zu ihrem Vorteil zu wenden. Nehmt zum Beispiel den Fall des Hospitals«, fuhr Da'ud fort und ergriff geschickt die Initiative. »Die Arbeiten sind dort aus Geldmangel praktisch zum Stillstand gekommen, weil die christlichen Fürsten den Tribut, der von ihnen fällig ist, nur sehr schleppend zahlen. Damit die Bauarbeiter nicht abwandern, mußte ich mein eigenes Vermögen angreifen, wofür ich selbstverständlich Eurem Schatzamt keinen Piaster Zinsen abverlangt habe. Aber ich kann nicht das gesamte Vorhaben finanzieren, und ich kann den Lohn für die Arbeiter auch nicht in alle Zukunft vorstrecken. Eine solche Situation bietet natürlich eine hervorragende Möglichkeit, den Verdacht auf mich zu lenken, zum einen wegen Unterschlagung der Tributgelder und zum anderen, weil ich meine eigenen Mittel vorstrecke, um damit ein ordentliches Sümmchen auf Eure Kosten zu verdienen.«
»Das alles verstehe ich, mein getreuer Freund. Ihre üblen Nachreden sind mir nichts Neues. Was ich nicht begreife, ist, warum ich nicht über die Zahlungsunwilligkeit der christlichen Fürsten unterrichtet wurde.«
»Damit Ihr mich nicht auch beschuldigt, daß ich Euch an Euren Studien hindere. Aber ich hätte irgendwann die Sache vor Euch zur Sprache gebracht. Die Prinzen von Leon und Navarra müssen zur Räson gebracht werden.«
»Mit Gewalt?«
»Wenn es sein muß, aber vielleicht reicht eine Drohung schon aus.«
»Wie ist Sanchos Gesundheitszustand dieser Tage?«
»Ich denke, zufriedenstellend. Seine Frau hat ihm unlängst einen Sohn geboren. Es wäre vielleicht angebracht, das Kind zu untersuchen. Wenn es die Krankheit seines Vaters geerbt hat, sollte frühzeitig eine entsprechende Behandlung verordnet werden.«
»Wie gut wir uns doch verstehen«, lächelte al-Hakam und erhob sich von seinem Diwan, stark und gesund, als hätten ihn niemals Krämpfe geschüttelt. »Ich werde eine kleine, aber gut bewaffnete Truppe zusammenstellen, die, falls nötig, eine Strafexpedition unternehmen kann und Euch nächste Woche nach Leon begleiten soll«, sagte er. Dann fiel sein Blick auf das in Leinen eingeschlagene Buch auf dem Tisch. »Ist dies das hundert Jahre alte Exemplar von Al-Fazaris Übersetzung der Werke der indischen Astronomen, das Ihr mir vor einiger Zeit versprochen habt?«
»Sehr richtig.«
»Wißt Ihr, Abu Suleiman – oder vielleicht sollte ich Euch Abu Hai nennen? –, manchmal denke ich, daß sie Euch wegen der Tiefe und Breite Eures Wissens hassen. Was wissen sie denn, diese Nachfahren von Wüstenkriegern, was kennen sie denn schon außer blutigem Krieg und niedrigen Intrigen? Sie glauben, daß sie kultivierte Männer sind, wenn sie einen schönen Reim schmieden oder einen Lobgesang komponieren können, aber es wird noch viele Generationen dauern, bis ihr Geist wirklich verfeinert ist. Wir jedoch, Ihr und ich, wir werden sie verwirren, bei Allah, wir werden sie verwirren.«
Da'ud verneigte sich tief, um das Kompliment des Kalifen entgegenzunehmen. Mit sorgfältigen, aber eifrigen Händen entfernte al-Hakam das Leinen und ließ die Augen über die verblaßten Illustrationen und die winzige Kalligraphie des uralten Werks streifen.
»Mit Eurer Erlaubnis, o Herrscher der Gläubigen, verlasse ich Euch nun«, sagte Da'ud. »Ich muß Vorbereitungen für meine Reise in den Norden treffen.«
»Geht in Frieden«, murmelte der Kalif, ohne den Blick von dem kostbaren Band zu wenden. »Aber vor allem, kehrt in Frieden zurück.«
Da'ud war das Herz leichter als seit vielen Monaten. Er verließ den Palastbezirk und machte sich eilig auf den Heimweg. Beim Stadttor sprach ihn ein reisender Vogelhändler an, ein riesiger, schwarzer Afrikaner, dessen Gesicht vor Schweiß glänzte und in einem breiten Grinsen strahlte. Ein großer Langschwanzpapagei saß ihm auf der Schulter, und in dem verbeulten Käfig, den er vor Da'ud hinhielt, kreischten schrill vielfarbige Kolibris.
»Einen guten Tag Euch, werter Herr. Wie ich sehe, seid Ihr ein Mann von verfeinertem Geschmack, ein Mann, der es wert ist, diesen Papagei zu besitzen, den Ihr auf meiner Schulter seht. Schaut ihn Euch gut an, o ehrenwerter Herr, er ist ein seltener Vogel mit seinem hellgrauen Gefieder und seinem scharlachroten Schwanz, er hat nicht das schreiende Gelb und Rot und Grün anderer Papageien, das Euch die Augen blendet, wenn Ihr sie von den erbarmungslosen Strahlen der Sonne ausruhen möchtet. Ein eleganter Vogel für einen feinen, eleganten Herren.«