Da'ud amüsierte sich über das freche Verkaufsgeschwätz des Händlers, schenkte ihm ein freundliches halbes Lächeln und strich mit dem Finger über die rundliche Brust des Papageis. Dann warf er dem Afrikaner zu dessen großem Erstaunen ein paar Goldmünzen in die ausgestreckte Hand. »Das ist ein kleines Vermögen für einen solchen Vogel«, sagte Da'ud und hielt dem Papagei einen Finger hin, daß er darauf Platz nähme. »Aber das Schicksal hat es heute mit uns beiden gut gemeint. Ich habe nach einem Geschenk für meinen Sohn gesucht, den ich heute morgen davon abgehalten habe, das Leben eines verwundeten Vogels zu retten«, sagte er, als könnte er sein schlechtes Gewissen erleichtern, indem er sich diesem Fremden anvertraute. »Ich hoffe, daß ich das mit diesem schönen Tier wiedergutmachen kann.«
»Sicherlich, Euer Ehren, sicherlich«, stammelte der Schwarze, immer noch völlig durcheinander von dem unglaublichen Glück, das ihm widerfahren war. Er folgte Da'ud mit Blicken, bis er beinahe nicht mehr zu sehen war. Dann wirbelte er den Käfig mit mächtigem Schwung um sich, jauchzte vor Freude und machte sich auf den Weg zum Marktplatz, um seinen neu erworbenen Reichtum zu verprassen.
22
Pedantisch genau, weil er sich nur ungern von beinahe der Hälfte des mageren Lohns trennte, den ihm sein Gönner zukommen ließ, zählte Menahem die Münzen für seine monatliche Miete in die ausgestreckte Handfläche der Witwe Tamara. Obwohl deren rauhe und gerötete Haut verriet, daß sie seit dem Tod ihres Gatten gezwungen war, niedrige Hausarbeiten zu verrichten, so waren doch ihre sorgfältig gepflegten Fingernägel und anmutigen Bewegungen stumme Zeugen der Eleganz und verfeinerten Lebensart, die sie früher einmal gekannt hatte. Sie dankte ihm nicht. Sie dankte ihm nie. Es hätte sie erniedrigt. Sie nahm das Geld einfach, als sei es Wechselgeld, das ihr ein Lieferant feinster Seide aus Córdoba noch schuldete, und steckte es geistesabwesend in die Falten ihres abgewetzten, früher einmal eleganten Gewandes.
Wie an jedem Tag außer am Donnerstag, Freitag und natürlich am Sabbat wandte sich Menahem wieder seinen Papieren und Büchern zu, machte sich an die Arbeit, um die Wortstämme der geheiligten hebräischen Sprache zu definieren und zu klassifizieren, ohne dabei auf arabische Beispiele oder arabische grammatische Ausdrücke zurückzugreifen. Es war still in dem weitläufigen Haus. Kein Diener störte ihn in seiner Konzentration. Doch plötzlich, kurz nachdem er sich an die Arbeit gesetzt hatte, schrillten Frauenstimmen durch die Stille. Eine Weile gelang es ihm, diese Störung zu ignorieren, aber als er den Namen Djamila hörte, legte er die Feder nieder, richtete sich auf und versuchte dem Gespräch zu folgen, das im Nebenzimmer stattfand: Es war die neueste Klatschgeschichte, die die Schwestern Ibn Isaac der Witwe Tamara erzählten, um diesen seltenen Besuch bei ihrer einsamen Verwandten ein wenig kurzweiliger zu gestalten.
»Ich war mir gar nicht sicher, daß sie damit Erfolg haben würde«, sagte Dona, »denn jeder weiß doch, daß sie in Da'uds Haus hinter Sari nur die zweite Stelle einnimmt.«
»Ich war mir auch nicht sicher«, ließ sich Palomba als Echo vernehmen.
»Unsinn«, schimpfte Sitbora. »Da'ud würde es niemals zulassen, daß die Ehre der Familie besudelt wird. Schließlich ist ja Djamila die Mutter seiner Tochter.«
»Das stimmt«, piepste Palomba.
»Das arme ungeliebte Kindchen«, bemerkte Dona traurig. »Ich sehe oft, wie Da'ud Hai zum Hospital mitnimmt, aber ich habe noch nie beobachtet, daß er Amira irgendwohin mitnimmt, nicht einmal auf den Markt, um ihr dort ab und zu einen Zuckerapfel zu kaufen. Wie das Djamila betrüben muß.«
»Sie hat es nicht anders verdient«, keifte Sitbora. »Sie ist nichts als die Tochter eines Fellachen aus den wilden Bergen Marokkos, die nur scharf auf alle Ehren und Reichtümer ist, die sie an sich raffen kann.«
»Du redest manchmal wirklich dummes Zeug«, widersprach ihr Dona. »So wie wir Da'ud kennen, hatte sie wahrscheinlich in der Sache gar kein Mitspracherecht. Er wollte unbedingt einen Erben haben, war aber nicht bereit, seine geliebte Sari in seinem Haushalt und in seinem Herzen vom ersten Platz zu verdrängen. Djamila war die ideale Lösung, eine einfache Bauerntochter, die er seinem Willen unterwerfen konnte.«
Genau wie mich, stimmte ihr Menahem insgeheim voller Bitterkeit zu, während er mit dem Zeigefinger die wenigen Münzen, die ihm von dem spärlichen Lohn, den ihm dieser herausragende Mäzen zudachte, noch verblieben waren, auf dem Tisch hin und her schob. Wenn sein Lexikon endlich fertig und veröffentlicht war, dann wußte er nur zu gut, daß Da'ud als Schirmherr allen Ruhm und alle Ehre ernten würde, während er, der Verfasser, wenn überhaupt, nur wenig Anerkennung erfahren würde …
»Frauen von höherem Rang, als sie es war, hätten ein solches Angebot nur zu gern angenommen«, fuhr Dona fort. »Ob nun an zweiter Stelle oder nicht, es geht ihr unendlich viel besser als in der Position der bettelarmen Tochter eines unbekannten Hebräischlehrers in der Talmud- und Thoraschule.«
»Da bin ich anderer Meinung«, fuhr die Witwe Tamara mit der Erfahrung eines älteren Menschen dazwischen. »Es ist immer noch besser, von einem einfachen Mann geliebt als von einem Großen verachtet zu werden.«
»Wie weise du bist, Tante Tamara«, seufzte Palomba mit vor Bewunderung weit aufgerissenen Augen.
Die Liebe eines einfachen Mannes, die Liebe eines Bauern zu einer Bauerstochter, sinnierte Menahem, während ihm das Bild von Djamilas stolzer Haltung, das Wiegen ihrer breiten Hüften, die Fülle ihrer schweren Brüste quälend vor Augen trat. Sie hatte eine natürliche, erdenschwere Ausstrahlung, die ihn mehr erregte, als alle parfümierte Lässigkeit der hochwohlgeborenen Damen von Córdoba das je vermocht hätte. Hatte sie ihn um seine Liebe ersucht, als sie um die Erlaubnis bat, ihn um Rat fragen zu dürfen, überlegte er. Auf diesem Gebiet, auf dem er kaum über Erfahrungen verfügte, war er sich seines Urteils nicht sicher. Er erhob sich von seinen Kissen und schritt unruhig im Raum auf und ab, um das aufsteigende Begehren zu zügeln. Es war Wahnsinn, solche Gedanken zu hegen, schalt er sich streng. Die kleinste Andeutung einer solchen Verwicklung würde eine Tragödie über sie beide heraufbeschwören.
»Am meisten bedaure ich das kleine Mädchen«, murmelte Dona. »Sie wird nicht nur von ihrem Vater verachtet. Sie hat auch darunter zu leiden, daß ihr Vater den Halbbruder ganz offensichtlich bevorzugt. Wenn wir Frauen uns auch damit abgefunden haben, daß die Söhne den Töchtern vorgezogen werden, so haben doch unsere Väter und Ehemänner niemals ihre Töchter dermaßen ignoriert oder jeglicher väterlichen Liebe beraubt, wie das Da'ud mit Amira macht.«
Als er diese Worte hörte, schoß Menahem ein wilder Gedanke wie ein Blitz durch den Kopf. Amira konnte in vielerlei Hinsicht als vaterlos gelten, war beinahe eine Halbwaise. Er, Menahem, würde also eine heilige Pflicht erfüllen, wenn er sie in seiner Obhut wie sein eigenes Kind aufzog. »Wahnsinn!« murmelte er vor sich hin, erstickte diesen Gedanken gleich im Keim, kämpfte auch die Versuchung nieder, die das sinnliche Bild Djamilas für ihn darstellte. Er verschloß seine Gedanken vor den Stimmen der Schwestern, beugte sich erneut über den Tisch und zwang sich, sich wieder der ordentlichen, systematischen, alphabetischen Liste zu widmen, in der er die hebräischen Wortstämme mit einem, zwei und drei Buchstaben zusammenfaßte, jeweils mit Bibelversen verdeutlicht. Allmählich vertrieb ihm die vertraute Routine die Hirngespinste und brachte seine Gedanken und Gefühle wieder ins Gleichgewicht.
Am folgenden Donnerstagmorgen betrat Menahem das Haus Ibn Yatom mit einem Gefühl unbestimmter Erwartung und unterschwelliger Erregung. Was er erwartete, was der Grund für seine Erregung war, weigerte er sich einzugestehen, denn er genoß die neuen Gefühle und unterdrückte sie doch gleichzeitig. Da Da'ud im Norden bei den christlichen Prinzen weilte, gab es für ihn viel zu tun, und trotz seiner Rastlosigkeit machte er sich mit gewohntem Eifer an die Arbeit. Der Morgen war schon halb verstrichen, ehe er den Kopf hob und zuließ, daß die Geräusche des Haushalts in sein Bewußtsein vordrangen. Hai wiederholte mit dem Hauslehrer seine Lektionen. Die beiden saßen draußen unter den Zypressen in der frischen Frühlingsluft. In seinem Käfig, der hinter ihnen an der Wand hing, kreischte der Papagei seine verballhornte Version vom Namen seines Besitzers: »Ayi! Ayi!« Amira quengelte, ihre Mutter solle ihr einen Kanarienvogel kaufen.