»Schon gut, aber nicht heute«, erklärte ihr Djamila.
»Warum nicht?« protestierte das Mädchen und stampfte wütend mit dem Fuß auf. »Hai hat einen Papagei. Warum kann ich nicht einen Kanarienvogel haben?«
»Weil heute Donnerstag ist. Am Donnerstag drängeln sich auf dem Markt die Muslime, die ihre Einkäufe für den Freitag erledigen, und die Juden, die für den Samstag einkaufen, und die Christen, die für den Sonntag einkaufen. Wir gehen am Montag hin, das ist ein schöner, ruhiger Tag, dann können wir ungestört einen Vogel aussuchen und ein besseres Geschäft machen«, sagte sie mit fester Stimme und stand auf, um sich ins Haus zu begeben.
Der gesunde Bauerninstinkt ist noch ganz stark in ihr zu spüren, überlegte Menahem. Aber als er hörte, wie ihre festen Schritte sich den Gemächern Da'uds näherten, begann er zu hoffen, daß weder die Menschenmengen noch die Hoffnung auf ein besseres Geschäft der Grund für ihr Zögern gewesen waren. Vielleicht lag es daran, daß heute Donnerstag war und er sich im Hause aufhielt …
Sie betrat sein Zimmer, ohne anzuklopfen, und kam in ihrer offenen, direkten Art gleich zum Thema.
»Ich bin hier, um mit Euch über den neuen Mädchenflügel des Waisenhauses zu sprechen«, verkündete sie. Menahem war enttäuscht. Er hatte sich gewünscht – und doch auch gefürchtet –, daß sie vielleicht andere Absichten hegte …
»Wie kann ich Euch behilflich sein?«
»Ganz einfach. Wenn die Zeit gekommen ist, möchte ich mit dem Maler selbst über die Farben und die Muster für die Innenräume sprechen. Ich möchte, daß die Räume eine helle, fröhliche Atmosphäre haben, nicht die traurigen Grau- und Grüntöne, die man so oft in derlei Einrichtungen sieht. Im Leben der Waisenkinder gibt es wahrhaftig ohnehin schon viel zu wenig Freude. Zumindest können wir ihre Phantasie mit strahlenden Farben und Licht beflügeln.«
»Das sollte nicht schwer zu bewerkstelligen sein, da ich zweifellos damit beauftragt werde, die Ausführung des Vorhabens zu überwachen.«
»Wenn wir das Geld mit Bedacht ausgeben«, drängte Djamila weiter und setzte nun erst recht auf den guten Willen, den er soeben gezeigt hatte, »dann ist vielleicht genug übrig, um auch noch Spielsachen und Spiele und …«
»Ich weiß, was Ihr in Wirklichkeit möchtet«, unterbrach sie Menahem. »Bücher und eine Lehrerin für die Waisenmädchen, wie wir sie auch den Jungen zukommen lassen. Leider kann ich Euch da nicht helfen. Es ist eine Frage der Grundsätze, der Tradition, und die zu ändern steht nicht in meiner Macht.«
»Zum Teufel mit der Tradition! Warum sollten wir den Mädchen die wichtigsten Mittel vorenthalten, die jeder erwachsene Mensch braucht, um in Notfällen mit dem Leben fertig zu werden? Seht Euch nur die arme alte Witwe Tamara an. Hätte man ihr auch nur die Grundzüge des Rechnens und der einfachen Geschäftsvorgänge beigebracht, niemand hätte sie betrügen und ihr das Vermögen abschwindeln können, und sie müßte jetzt nicht selbst ihre Schwelle fegen. Wie, meint Ihr, wären wir zurechtgekommen, nachdem meine Mutter tot war, wenn ich nicht den Bauernhof hätte bewirtschaften können, während Vater als Lehrer in Marrakesch so viel verdiente, wie er nur konnte? Es ist ein Verbrechen, Frauen in völliger Unkenntnis über die Welt ringsum zu belassen.«
Djamila wurde von ihrer Überzeugung mitgerissen und lief mit kräftigen Schritten durch das Zimmer, während sie ihre Gedanken hervorsprudelte. »Es muß eine unauffällige Methode geben, wie wir diesen hilflosen Mädchen eine grundlegende Bildung mitgeben können, die sie vor der Unbill des Lebens ein wenig schützen kann, denn sie haben keine Eltern, die das für sie tun können. Ihr selbst wißt besser als die meisten anderen, wie wichtig Bildung für Menschen von niedriger Geburt ist, und es fehlt Euch sicherlich nicht an Intelligenz. Euch fällt doch bestimmte eine Methode ein, wie man diese Kinder lehren kann, ohne gleich die Gemeinde zu schockieren?«
Djamila fuhr herum, um Menahem geradewegs ins Gesicht zu starren, aber sein durchdringender Blick ließ sie verstummen. »Was ist? Macht Euch meine Waghalsigkeit Angst? Bin ich die erste Frau, die je hilflose Mädchen zu schützen versucht hat?«
»Die erste Frau …«, wiederholte Menahem mit heiserer Stimme, »die erste Frau, die ich je … je …«, aber seine Stimme versagte.
»Je was?«
Menahem senkte den Blick auf seine Papiere und blätterte hin und her.
»Los doch. Sagt es mir. Ihr seid schon zu weit gegangen, jetzt gibt es kein Zurück mehr. Ich bin die erste Frau, die ihr je …«, versuchte sie ihm zu entlocken, wie man einem Kind eine Lektion entlockt, die es noch nicht ganz gelernt hat.
»… die ich je als Frau betrachtet habe«, stammelte er schließlich, die Augen immer noch unverwandt auf die Papiere gerichtet.
Djamila brach in schallendes, helles Gelächter aus. »Das nagt also an Euch! Und mit gutem Grund. Von einem Bauern zum anderen, das ist ein außerordentlich unnatürlicher Zustand für einen jungen Mann wie Euch! Aber es gibt in Córdoba viele andere Frauen wie mich. Wir müssen eine für Euch suchen, um das zu ändern.«
»Das hätte keinen Zweck. Die Heilung ist hier, in diesem Raum, aber sie ist mir verwehrt. Und selbst wenn es nicht so wäre, könntet Ihr mir sicherlich keinen Reiz abgewinnen. Ich besitze keine der Eigenschaften, die in einer Frau Liebe erwecken könnten. Allein schon meine rauhen, ungeschickten, herabbaumelnden Hände«, sagte er und legte die Handflächen auf den Tisch. »Die sind völlig abstoßend, und außerdem bin ich mit den höflichen Gepflogenheiten einer Werbung überhaupt nicht vertraut. Und weil es mir ohnehin an den Mitteln fehlt, eine Frau zu ernähren, die meinem Status als Gelehrter entspricht, mache ich mich auf ein Leben in Einsamkeit gefaßt.«
»Was für ein Unsinn!« lachte Djamila wiederum, obwohl Menahems zarte Anspielungen auf die Gefühle, die er für sie hegte, sie sehr gerührt hatten. »Es muß doch irgendwo eine passende Jungfer für Euch geben …«
Menahem hob den Kopf und hatte sich nun entschlossen, seine Gedanken – und seine Gefühle – offen zu bekennen.
»Jetzt, da meine Augen auf Euch geruht haben, sind sie blind für alle anderen Frauen. Euer natürlicher Stolz, Euer unabhängiger Geist, die üppige Fülle Eures Körpers, großzügig wie Mutter Erde selbst – all das verursacht in mir einen Aufruhr der Gefühle. Und dann ist da noch das besondere Band, das uns miteinander vereint: unsere bescheidene Herkunft und die zynische Art, wie wir alle beide von unserem gemeinsamen Herrn und Gebieter benutzt werden. Nachts träume ich davon, Euch seinen Fängen zu entreißen, tagsüber verlangt es mich selbst danach, mich aus diesen Ketten zu befreien. Und oft, wenn ich dieses Haus verlasse, sehe ich mich als liebenden Vater Eurer Amira, weil es mir das Herz zerreißt, wie Euer Gatte sie behandelt. Doch meine Hoffnungen und Wünsche werden keine Erfüllung finden, ich muß verzichten. Ich erwarte nicht, daß Ihr meine Gefühle erwidert. Ich bitte Euch nur, ihrer nicht zu spotten.«
Djamila lachte nicht mehr, war selbst durch die Gewalt von Menahems offenem Geständnis in Aufruhr geraten.
»Ihr geht jetzt besser«, sagte Menahem und griff wieder zur Feder, als seine grauen Augen – in denen Tränen schimmerten – ihre Verwirrung bemerkten. »Da Da'ud nicht im Hause ist, werden sich die Diener die Mäuler zerreißen, wenn Ihr zu lange bei mir bleibt, und schon bald wird irgendeine unschuldige Bemerkung von meinen Feinden zu bösartiger Verleumdung aufgeblasen.«