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»Und wen unterstützt Da'ud in dieser Debatte?«

»Mit der für ihn typischen Schlauheit keinen. Er spielt den einen gegen den anderen aus, um sich so seine eigene Vorherrschaft zu sichern, aber ich denke, seine Sympathien gehören Saul. Er hat stets die Übernahme arabischer poetischer Regeln durch unsere hebräischen Dichter befürwortet. Obwohl das arabische Versmaß nicht zum Geist der hebräischen Sprache passen will und obwohl Wein- und Liebesgedichte tatsächlich unserer Tradition fremd sind, ist er selbst, wie die meisten unserer Intellektuellen, so sehr von den arabischen Schriften beeinflußt, daß er an dieser Anpassung nichts Absonderliches finden kann. Im Gegenteil, ich habe ihn oft sagen hören, daß diese Vermischung der Kulturen ein innig zu wünschendes Ziel sei. So wie er es sieht, wird eine derartige Entwicklung die hebräische Dichtkunst zu ungeahnten Höhen literarischer Schaffenskraft führen und die hebräische und arabische Sprache auf die gleiche Stufe stellen.«

»Und doch hat er Menahem ausgewählt, um ein Gedicht zu verfassen, das in der neuen Synagoge, die zum ehrenden Gedenken an seinen Vater errichtet wurde, auf der Gesetzeslade steht.«

»Das ist ein religiöses Gedicht. Und es wahrt als solches alle alten Traditionen, die im Heiligen Land verwurzelt sind. Derlei Werke wurden nicht von arabischen Vorbildern beeinflußt. Letztere haben jedoch unsere Dichter zum Schreiben von weltlichen Gedichten inspiriert, was eine völlig neue Entwicklung in der hebräischen Literatur darstellt.«

»Glaubst du, daß Saul gerne Menahems Stelle als Da'uds Sekretär für jüdische Angelegenheiten hätte?«

»Nicht den Posten selbst. Er ist zu reich, als daß er ihn brauchte, und zu arrogant, um irgendeine untergeordnete Position einzunehmen. Aber er würde vor nichts zurückschrecken, um einen Mann zu ruinieren, der ihn in aller Öffentlichkeit beleidigt hat, seinen Stolz vor den Augen der arabischen Dichter verletzt hat, deren Werke er bewundert und an deren Meinung ihm viel liegt.«

»Natürlich«, sagte Djamila leidenschaftslos und nagte an einem Keks, während sie die Bedeutung dieser Worte erwog.

Den ganzen restlichen Nachmittag schmiedeten die beiden Pläne für Amiras weitere Bildung. Als die Schatten der Dämmerung sich auf das Haus senkten, verabschiedete sich Djamila.

Schnellen Schrittes ging sie nach Hause, von einer namenlosen Furcht erfüllt. Mit der drängenden, zwingenden Monotonie einer Nomadentrommel dröhnten ihr die Worte ihres Vaters im Ohr: »Er wird vor nichts zurückschrecken, vor nichts … nichts … nichts …« In ihrem innersten Herzen zitterte sie vor der grauenerregenden Wirklichkeit, die hinter diesen Worten lag, vor einer Brutalität, einer Gewalt, die so extrem war wie die köstliche Verfeinerung einer Kultur, die in der gesamten zivilisierten Welt gepriesen wurde. Hatte nicht einer der Herrscher von Sevilla, dessen Hof für seine Musik so berühmt war wie der von Córdoba für seine Dichtkunst, seine Feinde im Bad ermorden lassen, sie dann enthauptet und ihre Schädel als Pflanzkübel benutzt, die er ordentlich auf seiner Fensterbank aufreihte? Und was war mit dem schrecklichen Tod ihrer eigenen Mutter? Wenn Männer wie Saul die arabische Kultur mit solcher Begeisterung übernahmen, lag dann nicht die Schlußfolgerung nahe, daß sie nicht davor zurückschrecken würden, auch deren Methoden bei der Beseitigung ihrer Feinde zu übernehmen? Schaudernd vor Schrecken, suchte Djamila Zuflucht in der unschuldigen kindlichen Umarmung Amiras.

In den folgenden Wochen ging sie Menahem aus dem Weg. Er würde merken, daß sie mit ihrem Vater gesprochen hatte und daß sie nun um ihrer beider willen äußerste Vorsicht walten lassen mußte. In Gedanken war sie jedoch oft bei ihm, wie er da allein über seinen Verben saß, allein mit seinen Wortstämmen, seinen Phantasien. Wie er in seinen wachen Stunden mit dem unerfüllbaren Traum lebte, ihr den Reichtum an Liebe und Ergebenheit zu schenken, der in seiner Seele schlummerte – jenen Schatz im Tausch gegen die falsche, vergoldete Fassade, die sie in ihrer Jugend verblendet und verführt hatte. Und obwohl sein ungelenker Körper nichts von der höfischen Eleganz und Anmut Da'uds hatte, ertappte sie sich doch bei der Frage, ob nicht der Trost seiner ungeschickten Umarmung, die Aufrichtigkeit seiner unreifen Leidenschaft der kühlen Distanziertheit eines Mannes vorzuziehen war, der ihr kein einziges Mal gesagt hatte, daß er sie liebte. Während ihrer Besuche bei den Schwestern Ibn Isaac achtete sie auf allen Klatsch, den man dort austauschte. Doch da die Ehemänner der Schwestern Kaufleute waren, die ihren Status nicht ihrer Gelehrsamkeit, sondern ihrem Geld verdankten und also nicht zur gebildeten jüdischen Elite gezählt wurden, erfuhr sie nur wenig über den Zwist zwischen Saul und Menahem.

Wenige Wochen später erschien Menahem an einem Donnerstagmorgen nicht im Hause Ibn Yatom. Djamilas erster Gedanke war, zu seinem Haus zu eilen. Vielleicht war er krank, brauchte Betreuung? Aber sie unterdrückte diesen Wunsch, aus Angst, ihn zu kompromittieren. Sie könnte vielleicht einen Diener zu ihm schicken, um sich nach seinem Befinden zu erkundigen, aber da Da'ud nicht zu Hause war, würde auch das ein Risiko sein, das sie nicht eingehen mochte. Wenn ihm etwas Schreckliches widerfahren war, würden die Schwestern Ibn Isaac als erste davon hören, von seiner Vermieterin, ihrer Tante. In hastiger Eile kleidete sie sich an und mußte sich noch die Zeit vertreiben, bis der Morgen weit genug für einen Besuch bei Sitbora vorangeschritten war, bei der Schwester, die Tamara wohl am ehesten alarmieren würde, wenn etwas Schlimmes geschehen war.

»Gut, daß du hier bist«, begrüßte Sitbora sie mit säuerlicher Miene. »Da stecken wir in einem schönen Schlamassel. Der unglückselige Sekretär deines Mannes, der sich für berufen hält, selbst den gelehrtesten Männern die Leviten zu lesen, ist gestern abend verprügelt worden. Heute morgen war Tante Tamara hier, sie ist wütend und ziemlich erschüttert, obwohl sie ständig das Gegenteil beteuert. Wir haben getan, was wir konnten, um sie zu beruhigen, und dann hat Samuel sie nach Hause begleitet und nach einem Arzt geschickt, der Menahems Wunden versorgen soll.«

»Was hat Menahem denn getan, um eine solche Behandlung zu verdienen?« fragte Djamila unschuldig.

»Es ist während einer dieser hochgestochenen Zusammenkünfte passiert, bei denen die Dichter in ihren mondbeschienenen Gärten sitzen und sich bei einem, zwei Bechern Wein gegenseitig ihre neuesten Gedichte vortragen und alle darum wetteifern, ihre Talente zur Schau zu stellen. Menahem, so scheint es, hat alle gegen sich aufgebracht, weil er ständig etwas daran auszusetzen hat, daß sie den Stil ihrer arabischen Kollegen übernehmen. Aber sie laden ihn trotzdem immer wieder ein, zum einen, weil er so gelehrt ist, und zum anderen, weil er Da'uds Sekretär ist.

Nun, wie mir Samuel erzählt hat, als er schließlich zum Frühstück nach Hause kam – wütend, wenn ich das noch erwähnen darf –, hat Menahem Saul beschuldigt, ein Gedicht geschrieben zu haben, das wie das Liebesgedieht eines Mannes für einen zarten Jüngling klingt. Saul erwiderte, seine Anspielung auf die Antilope und die Gazelle oder worum es immer in diesem Gedicht geht, sei nur eine Metapher für den lebendigen Gott des Dichters. Daraufhin bezichtigte ihn Menahem rundheraus der Lüge. Die Araber, deren homosexuelle Gepflogenheiten ja allen bekannt seien, benützten derlei Bilder, wenn sie von ihrem ›Geliebten‹ schrieben, soll er angeblich erklärt haben. Und dann ging es los. Die Beleidigungen flogen hin und her, die Mehrheit war auf Sauls Seite, und Menahem verließ unter Protest die Zusammenkunft. Mitten in der Nacht drang dann eine Bande von üblen Schlägern gewaltsam in Tamaras Haus ein, und sie verabreichten ihm die schlimmste Tracht Prügel seines Lebens.

Was für ein Aufruhr! Als hätte die arme alte Witwe nicht schon genug Probleme mit all den Schwindlern, die ihr das ganze Vermögen abgeluchst haben. Jetzt beherbergt sie auch noch einen Unruhestifter unter ihrem Dach! Höchste Zeit, daß dein Mann nach Hause kommt und seinen Sekretär in die Schranken verweist. Samuel meint, wenn dieser Streit so weitergeht, muß irgendwann die gesamte Gemeinde Partei ergreifen, und dann streiten wir uns alle über etwas, das die meisten von uns nicht einmal verstehen. Samuel jedenfalls ist nicht bereit, eine Gemeinde zu finanzieren, die ihre Mitglieder nicht davon abhalten kann, Zwietracht zu säen. Du, Djamila, die du immer wieder darauf bestehst, daß auch Frauen ein Recht haben, ihre Meinung zu Dingen außerhalb des Heims zu sagen, du hast die Pflicht, das deinem Mann mitzuteilen.«