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»Warum machst du dir die Mühe? Was nützt es, einen alten Mann wieder zum Leben zu erwecken, für den die Zeit zum Sterben gekommen ist?«

»Leben verlängern, näher kann ein Mensch nicht an den göttlichen Schöpfungsakt gelangen.«

»Anmaßung! Die Natur nimmt ihren Lauf nach Gottes Willen. Du hast kein Recht, ihr ins Handwerk zu pfuschen. Aber du wußtest nicht, daß ich krank war, als du kamst. Was hat dich hierhergebracht?«

»Ich bin auf der Suche nach Eurem ungeheuren Wissen über das Leben der Pflanzen hierhergekommen.«

Diese Worte schienen den alten Mann wunderbar zu beleben. »Sieh sie dir an, bitte«, sagte er und zeigte auf die Reihe junger Sprossen auf dem Brett unter dem Fenster. »Es ist eine Pflanzenart aus dem Orient, die ich hier anzusiedeln versuche. Haben Sie Wurzeln geschlagen? Brauchen sie Wasser? Ich habe sie vernachlässigt, seit mich das Fieber ereilt hat.«

»Sie leben und gedeihen gut«, versicherte Da'ud ihm. »Schon bald werdet Ihr wieder auf den Beinen sein und könnt sie selbst pflegen.«

»Dafür bin ich dir dankbar«, seufzte der alte Mann. »Was willst du also wissen?«

»Ich suche eine Pflanze, die von den Griechen Vatermörder genannt wird. Das wenige, das ich aus den alten Manuskripten zu erfahren vermochte, scheint darauf hinzudeuten, daß die Früchte nicht fallen, ehe nicht neue Sprossen gewachsen sind. Aber vielleicht habe ich auch die Abschnitte falsch gedeutet.«

Ein Leuchten der Bewunderung flackerte im leblosen Blick des Alten auf. »Nein, junger Meister, das hast du nicht. Die Art, die du beschrieben hast, ist ein Baum mit einer glatten roten Rinde, dunkelgrünen, glänzenden Blättern und Blüten, die weiß oder rosa sind. Sie blühen im Herbst und mischen sich mit den scharlachroten Beeren des Baumes, die erst im zweiten Jahr nach der Blüte heranreifen. Daher sind sie noch am Baum, wenn die alten Blüten welken und neue knospen.« Der alte Mann schloß die Augen und verstummte einen Augenblick, nahm seine geringe Kraft zusammen, ehe er fortfuhr. »Der Baum gedeiht in Griechenland und Italien, daher wußten die Alten von ihm. Sein lateinischer Name ist arbustus unedo, und im Romanischen nennen wir ihn madrona.«

»Der Erdbeerbaum!« rief Da'ud aus. »Aber natürlich! Und er gedeiht hier ganz üppig. Ihr habt keine Vorstellung, wie lebenswichtig dieses Wissen für mich ist.«

»So lebenswichtig wie deine Anwesenheit hier für mich, ein Trost in meiner Sterbestunde«, flüsterte der alte Mann. »Aber ist das alles, was du zu wissen trachtest?«

»Da ist noch eine andere Art, die unter dem seltsamen Namen handakuka bekannt ist und die ich auch zu bestimmen begierig bin.«

»Die kenne ich nicht, aber wenn du mir ihre Eigenschaften beschreibst, dann kann ich sie vielleicht benennen.«

»Leider weiß ich außer dem Namen nichts über sie«, antwortete Da'ud und flößte seinem Patienten noch ein wenig Grütze ein. »Aber ich werde meine Suche fortsetzen, und wenn ich einen Hinweis gefunden habe, komme ich wieder und frage Euch. Doch aus reiner naturwissenschaftlicher Neugier wüßte ich gern den Namen der stacheligen Pflanzen, die ich vor Eurer Hütte gesehen habe?«

»Es ist eine Variante der Aloe, deren Auszug in Afrika als Wundermittel gilt.«

»Hat sie einen besonderen Namen?«

»Ich habe ihn nie herausgefunden.«

»Welche Eigenschaften hat diese Art?« fragte Da'ud wißbegierig, auf jedes Fetzchen Information versessen, das er bekommen konnte.

»Mehr als ich im Augenblick die Kraft habe, dir zu erklären.«

»Dann ruht ein wenig. Ich reite nach Córdoba und hole Milch und Schrot, das ich für euch in Essig kochen will. Es wird Euch gut tun. Inzwischen trinkt noch von dem Wasser, das ich für Euch abgekocht habe – hier, der Topf steht neben Euch –, und achtet darauf, daß Ihr ihn stets bedeckt haltet. Wenn Ihr Hunger verspürt, es ist noch ein wenig Grütze da, genug für Euch, bis ich wiederkomme.«

»Du schwörst, daß du mich bei deiner Rückkehr nicht zur Ader lassen willst?«

»Ich schwöre.«

»Dann darfst du kommen. Es ist an der Zeit, daß ich das Wissen, das ich mir in meinem Leben mit den grünen Dingen erworben habe, mit jemandem teile.«

Da'ud war trunken vor Freude, als er den Hang hinunter ritt. Er hatte nicht nur den Einsiedler dem Rachen des Todes entrissen, er hatte sich auch selbst ein gutes Stück vom Abgrund entfernt, war auf halbem Weg zur Erfüllung des Auftrags, den ihm der Kalif gegeben hatte. Mehr noch, er würde unschätzbare Reichtümer an Wissen erfahren, die er damit auch der ewigen Vergessenheit entriß. In wilder Hast kaufte er die Lebensmittel, die er brauchte, tauschte sein Maultier gegen ein feuriges Roß ein und galoppierte in halsbrecherischem Tempo zur Hütte zurück.

Aber als er dort ankam, war der Einsiedler tot. Da'ud fand ihn am Boden liegend, unter dem Brett, auf dem die Reihe neuer Sprossen wuchs, neben ihm zerschmettert ein Wasserkrug. Was für eine Niederlage! Er hob den beinahe gewichtslosen Körper auf, trug ihn nach draußen und begrub ihn inmitten der Pflanzen, die der Einsiedler sein Leben lang gehegt und gepflegt hatte. Anmaßung! Dieser Ruf des Alten hallte ihm noch in den Ohren wider, als er das Grab mit Erde bedeckte. Anmaßung, daß er versucht hatte, Gottes Willen zuwiderzuhandeln! Verdutzt stand er dem Rätsel des Lebens gegenüber, niedergeschlagen, weil er es nicht geschafft hatte, den Tod des Einsiedlers zu verhindern, bitter enttäuscht, weil der Alte all sein Wissen nun mit ins Grab genommen hatte. Da'ud ging in die Hütte zurück, nahm die zarten Sprossen – das einzige Erbe des Einsiedlers – vom Brett unter dem Fenster und trug sie mit sich zurück nach Córdoba.

5

Körperlich erschöpft und im Herzen ermattet vom Sturm der Gefühle, den er in den letzten Stunden des Einsiedlers durchlebt hatte, schlief Da'ud den ganzen restlichen Tag und die folgende Nacht hindurch. Als er am nächsten Morgen erfrischt und in vertrauter Umgebung erwachte, hatte er sein Gleichgewicht beinahe wiedererlangt, vertrieb ihm das angeborene Selbstvertrauen die Zweifel, die der Einsiedler in seinem Denken geweckt hatte, ob es etwa anmaßend sei, gegen den Willen Gottes anzukämpfen. Jetzt war nicht die Zeit für philosophische Betrachtungen. Er mußte all seine Energie auf die Suche nach dem handakuka bündeln, alles andere hatte zu warten. Nachdem er die griechischen und arabischen Texte erschöpfend befragt hatte, mußten nun andere Wissensquellen gefunden werden, andere Einsiedler, hier oder anderswo …

Da'ud verließ das Haus, ehe sich sonst jemand gerührt hatte, und machte sich auf den Weg zum Marktplatz. Dort trafen Menschen aus Ost und West, aus Nord und Süd zusammen, um zu kaufen und zu verkaufen, um Waren, Güter, Sklaven – und Informationen – zu tauschen und zu handeln. Zu dieser frühen Morgenstunde waren die Straßen noch menschenleer. Die kahlen Wände, die sie säumten, schlossen die Wohnhäuser gegen die Außenwelt ab und schützten diejenigen, die drinnen wohnten, vor neugierigen Blicken. Es war wie in einer Geisterstadt. Aber als sich Da'ud dem Marktplatz näherte, wurde er in die stille Geschäftigkeit hineingezogen, in die Vorbereitung auf das emsige Leben des Marktes, in jene ungesehenen Stunden, in denen eine Stadt zu erwachen beginnt. Hoch aufgeschossene berberische Fellachen, deren Schritt so würdevoll war wie der ihrer Kamele, trugen auf dem Kopf Körbe voller glänzender schwarzer Oliven und dunkelblauer Trauben, Orangen, Aprikosen und runder gelber Melonen. Bäcker klopften Teig flach für die Pitas des Tages, formten ihn rund für Brötchen. Konditoren buken aus Blätterteig und stark duftendem Ziegenkäse goldene Wunder, die schon bald von den Straßenverkäufern in der ganzen Stadt wohlfeil gehalten würden. Nach und nach wurden die hölzernen Läden vor den schattigen Nischen entfernt, wo die Kunsthandwerker ihre Ware ausstellten und ihren Berufen nachgingen: die Töpfer und Kupferschläger, die Lederarbeiter und Seidenweber wünschten einander einen einträglichen Tag.