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Als die Dämmerung hereinbrach, legte sich die ganze Anspannung der letzten Tage wie Blei auf ihn. Er befahl dem Diener, ihm das Bett zu richten, und legte sich hin, sobald es dunkel geworden war. Doch der Schlaf wollte nicht kommen. Der Anblick seiner ermordeten Eltern stand ihm vor Augen und wollte nicht weichen. Unfähig, die Bilder des Grauens zu verjagen, zündete er eine Kerze an und ging unruhig in dem ungewohnten Haus umher, betastete hier einen verbeulten goldenen Kelch, schob dort ein verschlissenes Kissen zurecht, öffnete ein völlig verklemmtes Fenster und starrte in die Nacht. Seine Gedanken jagten hin und her zwischen der Endgültigkeit des Todes und dem unverwüstlichen Drang nach Leben. Er mußte sich von diesen Gedanken befreien, mußte sie aufs Papier bannen, um endlich Ruhe zu haben. Fast wie von selbst fand er die richtigen Worte, kaum daß er die Feder ergriffen hatte.

Ich betracht' den Himmel und die Sterne,
Sehe Dinge, die sich nun am Boden krümmen,
Und in meinem Herzen weiß ich wohl,
Daß sie einem guten Plane folgend einst gemacht.
Der Himmel gleicht der Laube wohl. Schaut nur hinauf
Und seht dort Tücher aufgehängt mit Haken, Ösen.
Und Mond und Sterne sind dem Hirtenmädchen gleich,
Das Schafe auf dem freien Felde grasen läßt.
Vor den Wolken scheint der Mond ein Schiff zu sein,
Das unter vollen Segeln weite Meere überquert.
Die Regenwolke gleicht der Jungfer, die im Garten
Einher spaziert und ihre Myrrhensträuchlein wässert.
Des Nachttaus Wolken sind wie Mädchen, die, den Kopf bewegend,
Beim Schütteln tausend Perlentropfen gleißen lassen.
All jene, die auf dieser Erde leben, gleichen Tieren,
Die schweren Schrittes auf den Stall, die Scheune zugeh'n.
Sie alle woll'n der Todesangst entflieh'n,
Wie Turteltauben sich im Schrecken Adlers Klauen rasch entzieh'n.
Doch mit der Zeit ergeht es ihnen wenig besser als dem Teller,
Der leicht zerbricht und in den Staub getreten wird – das ist ihr Los.

Als er die letzten Zeilen geschrieben hatte, erbarmte sich seiner der Schlaf.

Früh am nächsten Morgen folgten die Tuchhändler, die ihre Vorräte prüften, um sich auf den Tag vorzubereiten, und die Handwerker, die ihre Werkzeuge auf den Arbeitstischen auslegten, dem Fremden mit den Augen, als er aus dem Judenviertel ausritt und sein Roß in Richtung Norden zum Albaicin lenkte. Schnell machte das Gerücht von einem zum anderen die Runde: Der Mann hatte mit dem Hof des Prinzen zu tun. Welcher Art wohl seine Geschäfte waren? Das war ein Geheimnis. Die Spekulationen überschlugen sich und nahmen noch zu, als Amram an jenem Abend nicht zurückkehrte. Und weder am nächsten Tag noch am übernächsten.

Erst Mitte der folgenden Woche tauchte er wieder auf, und inzwischen waren die Juden von Granada gründlich verwirrt. Doch niemand wagte es, den Neuankömmling zu befragen, so verschlossen schien er ihnen. Drei ganze Monate vergingen: Immer verbrachte er ein, zwei Tage in Granada, meist bei den Berbern am Albaicin, dann folgte wieder die gleiche unerklärliche tagelange Abwesenheit.

Die Verwunderung der Juden wuchs. Aber das war alles noch gar nichts verglichen mit ihrem Erstaunen, als sie eines Tages mit weit aufgerissenen Augen sahen, wie er an der Spitze eines langen Zugs von Maultieren in das Judenviertel einritt, an der Seite eine hinreißend schöne junge Frau. Jetzt, da eine Gattin in den Haushalt des Fremden eingetreten war, würden die Ehefrauen sein Geheimnis im Nu lüften, frohlockten die meisten. Die reichen Händler waren weniger entzückt. Viele von ihnen hatten Amram als möglichen Ehemann für eine ihrer heiratsfähigen Töchter beäugt. Ibrahim war der erste unter ihnen, aber zu seinem großen Kummer erkannte er auch als erster mit seinen flinken Augen die Braut, sobald sie vom Pferd stieg und ins frühere Heim seiner Eltern eintrat. Die Art, wie sie ging, eine Art wiegendes Schwanken, leicht zurückgeneigt, war unverwechselbar. Bei ihrem Anblick sank sein Herz. Es war Leonora, die älteste Tochter seines Freundes und Kollegen Joseph ibn Aukal aus Málaga. Für dieses wunderschöne Geschöpf war schon seit langer Zeit sein einziger Sohn als Gatte bestimmt gewesen. Da hatte sich also dieser schweigsame Eindringling dazwischengedrängt und sie ihm fortgenommen! Kein Wunder, daß er so verschlossen gewesen war! Allmächtiger Gott, wie naiv er gewesen war, seinen schmeichlerischen Worten Vertrauen zu schenken! Wie ahnungslos! Er hätte wahrhaftig schlauer sein müssen, hätte begreifen müssen, daß etwas im Busch war. Aber damit sollte die Sache nicht abgetan sein, das schwor er sich. Weit gefehlt! Der geschätzte Herr hatte zuviel als selbstverständlich vorausgesetzt. Dachte er wirklich, daß Ibrahim derlei einfach hinnehmen würde?

Amram widmete sich der Kunst der Liebe mit dem gleichen Anspruch auf Vollkommenheit wie allen anderen Dingen, die er in Angriff nahm. Als guter Menschenkenner hatte er sich eine Gattin ausgewählt, bei der er einen Ehrgeiz spürte, der, wie es sich für Frauen geziemte, verborgen war, dem seinen aber durchaus entsprach. So wie sie ihm darin ähnelte, war sie ihm auch bei den Freuden und Leidenschaften des Bettes an Glut und Geschick ebenbürtig. Nun betrachtete er sie, wie ihre großen eisblauen, ein wenig mandelförmigen Augen schmolzen und sich dann mit innigem Vergnügen schlossen, als er ihre kleinen, erwartungsvoll aufgerichteten Brustwarzen mit den Lippen faßte. Er hörte ihre leidenschaftlichen Seufzer und Schreie. Er spürte, wie sie sich um ihn schlang, einmal straff angespannt und dann wieder fügsam unter seinen Händen, und er freute sich an ihrer instinktiven Reaktion auf seine anfängliche Zartheit und die ungestüme Kraft, mit der er sie dann eroberte. Sie vereinigten sich in einem ungeheuren Sturm, einer Explosion, die alle Grenzen ihrer irdischen Gestalten zu sprengen schien, um sie mit dem ewigen Quell des Lebens zu verbinden. Die ganze Nacht hindurch ergötzten sie sich aneinander, einer passiv, wenn der andere aktiv war, einer ruhig und entspannt, wenn der andere erregt war. Von Zeit zu Zeit erfrischten sie sich mit einem Schluck Wein, den Amram aus einer goldenen Karaffe in die blitzenden silbernen Pokale schäumen ließ.