Es war schon beinahe Mittag, als sie strahlend von der Wärme der Liebe in den Tag hinaustraten. Leonora hielt eine üppige Traube in der einen Hand, pflückte mit der anderen eine Weinbeere ab und ließ sie in den Mund gleiten. Auf Zehenspitzen ging sie durch das Haus, in das ihr Ehemann sie gebracht hatte, betrachtete es mit leichtem Abscheu.
»Wir müssen sofort hier ausziehen«, erklärte sie und ließ prüfend den Finger über die abgeplatzte Kante einer Nische fahren, in der die goldene Karaffe stand. »Es ist ja kaum ausreichend Platz für uns beide hier, ganz zu schweigen von den Truhen mit meiner Aussteuer. Außerdem paßt ein so heruntergekommenes Anwesen nicht zu einem Mann deines Ansehens.«
»Ansehen, das ist etwas, das die Ibn Yatoms nicht gern zur Schau stellen«, antwortete Amram leise, aber bestimmt. »Wir ziehen es vor, unsere Größe in der Abgeschiedenheit und Diskretion unserer eigenen vier Wände für uns zu behalten.«
»Aber nicht in so schäbigen wie diesen hier.«
»Nein, meine Liebe«, beruhigte sie Amram, pflückte eine Traube ab, hielt sie zwischen den Zähnen und zog dann ihr Gesicht zu dem seinen, so daß sie beide gleichzeitig in die Frucht bissen und sich ihre Lippen dabei berührten. »Ich suche ein Haus, das deinen Gefallen findet, aber wir müssen jeglichen Prunk vermeiden, trotz der großzügigen Mitgift, die dein Vater dir mitgegeben hat. Als Jude im Dienst des Berberreiches, in dem die Beziehungen zwischen den Menschen wechselhaft, unberechenbar und allein von Eigeninteresse geprägt sind, müssen wir so unauffällig wie möglich bleiben, bis unsere Position durch nichts mehr zu erschüttern ist.«
Leonora schmollte, und Amram mußte sie auf ihre nach unten gezogenen Mundwinkel küssen, bis sie wieder lächelte. »Du mußt an mich glauben«, murmelte er und strich sanft mit dem Finger über ihre gerade Nase, um die breiten Nasenflügel und dann hinauf zu den elfenbeinglatten Wangen. »Unterstütze mich treulich in all meinem Handeln, und ich schwöre dir bei der Ehre des Hauses Ibn Yatom, du wirst nicht enttäuscht sein.«
Ehe er wieder zu seinem Rundritt zum Eintreiben der Steuer im Tal des Genil aufbrach, kaufte Amram ein verlassenes Haus am östlichen Rand des Judenviertels. Es stand an den unteren Hängen des Berges, über dem innerhalb der Stadtmauern die Festung Hisn Maurur thronte, von deren runden Türmen ständig die südlichen Zugänge zur Stadt bewacht wurden. So, neckte Amram seine Frau, als er ihr das Grundstück zeigte, hätten sie immer die Möglichkeit, Zuflucht in der Festung zu nehmen, falls einmal der eine oder andere Feind der Berberprinzen einen Überfall auf Granada wagen sollte.
»Jetzt«, fuhr er fort, »werden wir hinter dieser schlichten Fassade den schönsten Garten anlegen. Ringsum soll ein Säulengang verlaufen, mit Säulen so schlank wie dein Hals, mit Hufeisenbögen, die so vollkommen gerundet sind wie deine Brüste und sich dann so nach innen schwingen wie deine wunderschöne Taille. Von dort wird man in die Gemächer gelangen, deine zur Rechten, meine zur Linken.«
»Und was ist mit dem jetzigen Haus?«
»Wir werden es zu einem großen Salon umbauen, in dem wir, wenn die Zeit gekommen ist, unsere Gäste empfangen. Später verzieren wir noch die Westfassade mit einem Balkon, der genauso elegant sein soll wie der Säulengang. Von dort, meine Liebste, mein Reh, werden wir zusammen zusehen, wie die Sonne über dem Vega untergeht. Und wenn wir uns ein wenig umdrehen, wird es uns scheinen, als brauchten wir nur eine Hand auszustrecken und könnten den Berg berühren.«
Auf Leonoras leises Lächeln meinte er: »Ich wußte, daß mein Plan dir gefallen würde.« Ehe sie noch Zeit hatte, etwas zu antworten, fuhr er eilig fort: »Die Arbeiten sollen unverzüglich beginnen. Ich komme so bald wie möglich wieder, um die Arbeiter zu beaufsichtigen und um meine Geliebte in den Armen zu halten, nach der mein Herz sich in jeder Sekunde meiner Abwesenheit verzehren wird. Während ich fort bin, kommen sicherlich die Damen der Gemeinde zur dir zu Besuch. Ihre Gesellschaft wird dir die Zeit verkürzen, aber hüte dich vor ihren Versuchen, etwas über meine Tätigkeit herauszufinden. Du mußt als ein Muster an Unschuld und Unterwürfigkeit auftreten, ahnungslos über die Geschäfte, die dein Herr und Meister treibt. Wenn die Zeit reif ist, werden sie sich alle vor dir verneigen, aber noch ist es nicht so weit.«
38
Kaum hatte man Amram die Stadt verlassen sehen, da konnte sich Leonora, wie er vorausgesagt hatte, vor dem ständigen Strom von Besucherinnen kaum noch retten, die alle vorgeblich nur erschienen waren, um sie in der jüdischen Gemeinde willkommen zu heißen. Sie begrüßte sie mit untadeliger Gastfreundschaft, lächelte lieblich, hörte aufmerksam zu und ließ angemessene Bekundungen der Freude und des Mitgefühls hören, wenn sie ihr hier von einer Geburt und da von einem Todesfall berichteten. Und doch wich sie mit einem Geschick, das ihrem Ehemann Bewunderung abgenötigt hätte, allen Fragen aus, die sich auf Themen bezogen, die er ihr zu vermeiden geraten hatte. Schließlich mußten die Damen sich geschlagen geben. Ihre Verhöre fanden ein Ende, ebenso ihre Besuche. Aber ihre Neugier bestand weiter; als das neue Haus fertig war, erreichte sie erst ihren Höhepunkt. Die gleiche Frage lag auf den Lippen jedes Juden von Granada: Wie hatte dieser Neuankömmling, ein Flüchtling aus der verwüsteten Stadt Córdoba, so schnell so viel Geld verdienen können? Oft wurde Leonoras Mitgift als Quelle dieses neuen Reichtums genannt, bis Ibrahim, dessen Entrüstung noch immer schwelte, dieser Spekulation ein Ende bereitete. Obwohl es seinen Stolz verletzte, ließ er verlauten, er selbst hätte mit Joseph ibn Aukal über die Summe gesprochen, die dieser seiner Tochter mit in die Ehe geben würde, wobei die Verlobung mit seinem Sohn – wie er mit leiser Stimme hinzufügte – seit der Geburt der beiden Kinder als abgemachte Sache gegolten hatte.
»Er mag ja ein großer Künstler sein«, säuselte Ibrahim in die Ohren seiner Glaubensgenossen, »aber er ist ein elender Geizhals. Verglichen mit seinem Vermögen hat er nur eine jämmerliche Summe angeboten. Als ich dagegen Einspruch erhob, hat er mich mit vagen Versprechungen zu trösten versucht, zu gegebener Zeit würde seine geliebte Tochter gleichberechtigt mit seinen Söhnen erben. Meine Ablehnung eines solch wertlosen Versprechens, ganz zu schweigen von meinem Zorn darüber, daß er mich für so naiv hielt, all das hat mich vor seinen zynischen Machenschaften bewahrt«, erklärte Ibrahim dann noch, um seine angeschlagene Ehre zu retten. »Glaubt mir, Freunde, mit Joseph ibn Aukals Geld ist das Haus des Ibn Yatom bestimmt nicht gebaut worden.«
Obwohl Ibrahim es schaffte, in einigen Köpfen Zweifel an Amrams Rechtschaffenheit zu säen, gelang es ihm doch nicht, den Großteil der Gemeinde gegen ihn aufzubringen. Und so wurde seine Mißgunst nur noch größer, als seine Frau und seine Töchter von ihren Besuchen im Hause Leonoras mit neidvollen Erzählungen über die Eleganz seiner Säulengänge und die Schönheit seines Gartens zurückkehrten. Aber erst als er an einem Sabbatabend aus der Synagoge trat und dort die gesamte Gemeinde um seinen Feind versammelt stehen sah, als wäre er ein Prinz, wurde sein Zorn grenzenlos.
»Schau sie dir an!« zischte er zwischen den Zähnen hervor, als er, nur von seinem verschmähten Sohn begleitet, nach Hause eilte. »Geblendet von seinen schönen Reden, seinen höfischen Manieren und seinem berühmten Namen. Aber was wissen sie schon von ihm und seinen finsteren Machenschaften? Ich schwöre, ich bekomme alles heraus und räche die Schande, die man unserer Familienehre angetan hat.«
»Wie denn, Vater?«
Während des Sabbatessens brütete Ibrahim vor sich hin, und obwohl der ganze Haushalt wußte, was an ihm nagte, wagte niemand, seine Gedanken auch nur mit einem einzigen Wort zu stören. Als der Sabbat vorüber war, hatte sich seine Miene jedoch aufgehellt. Er hatte einen Entschluß gefaßt. Wenn die Juden nicht zu ihrem geschmähten Glaubensbruder standen, dann würde er seine Verbündeten eben anderswo suchen …